Kriegenburg will die Geschichte vom Dogen, der seine Tochter Maria in der Person der Amelia Grimaldi wiederfindet, mit vielen Feinden zu kämpfen hat, vergiftet wird, stirbt und mit seinem Tod doch irgendwie zur Versöhnung beiträgt, offenkundig auf heutige Gültigkeit abklopfen. Wie banal in dieser Ausstattung mit auf die Bühne projizierten Tweets und einem ganzen Handyfriedhof. Ein Fall für die Ö 3-Wundertüte.
Nun gehört es geradezu zwingend zum Operngenre, dass die inszenierte Geschichte mit unserem Leben, mit unserer Zeit zu tun haben MUSS. Aber solche Simplifizierungen, solche Updates in der digitalen Welt, greifen analytisch viel zu kurz und sind bestenfalls eine Provokation für die Intelligenz des zum Mitdenken bereiten Publikums. Und die Zeitmaschine, die Kriegenburg verwendet, schießt Genua zwar vom 14. Jahrhundert ins 21., das Opernschaffen aber um Jahrzehnte zurück. Dieses würdevolle Steh- und Schreittheater könnte von Peter Stein, also aus der Steinzeit, stammen. Nein, halt, pardon: Stein hatte „Simon Boccanegra“ in Salzburg und dann für Wien (mit dem großartigen Thomas Hampson) fabelhaft inszeniert. Eine seiner letzten guten Arbeiten. Die nun von Kriegenburg ist eine seiner ersten schlechten.
Man weiß gar nicht richtig, was man beschreiben soll, weil das Nichts traurig vor sich hin nichtet. Die Personenführung ist so klischeehaft wie der Handy-Schmäh. Kommen wir also zur Ausstattung mit den feschen Kostümen (Tanja Hofmann), und der Bühne von Harald B. Thor, die zu zwei Dritteln aus einer Betonwand, also auch quasi aus Nichts, und zu einem Drittel aus einem Zylinder besteht, der sich dreht und an italienische Mussolini-Ästhetik erinnert. Damit es spektakulärer wird, gibt es einen riesigen weißen Vorhang, auch eher reduktionistisch also. Gab es möglicherweise am Vortag bei der Premiere von Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ zu viel, so gibt es hier zu wenig. Eine szenische Verdi-Diät, glutenfrei und vegan.
Dass dennoch manche Momente zutiefst berührend geraten, liegt an der phänomenalen Musik, man sollte dringend über Social Media ein Komitee zur häufigeren Aufführung von „Simon Boccanegra“ gründen und dafür Likes sammeln. Dieses Werk zählt musikalisch zu den allerbesten, was man an diesem Abend immer wieder auch hört. Valery Gergiev sorgt am Pult der exzellenten Wiener Philharmoniker für traumhaft schöne Klangfarben, für feine Differenzierung, einen dramaturgisch gut strukturierten Aufbau. Er weicht mit seiner Sensibilität sogar den Beton auf der Bühne etwas auf.
Leider wackelt es zwischendurch da und dort, auch in der Koordination mit den Sängern besteht Luft nach oben. Vielleicht hätte eine vernünftige Probenanzahl mit dem Maestro doch ganz gut getan. Dazu kam es nicht, weil Gergiev der am intensivsten beschäftigte Klassik-Künstler dieses Sommers ist. Zuletzt hat er in Bayreuth eine „Tannhäuser“-Aufführung absagen müssen (wegen eines Todesfalls in seiner Familie). Aber auch ohne viel zu proben realisiert Gergiev einen packenden Opernabend. Und die Zeiten, als er so sehr ins Volle griff, dass man Angst bekam, das Dach vom Festspielhaus würde sich bald lösen, erlebt etwa bei seiner „Turandot“-Premiere 2002 in Salzburg, sind längst vorüber.
Bei der Sängerbesetzung gibt es eine wirkliche Schwachstelle: André Heyboer als Paolo Albiani, der Giftmörder, der diesmal weder darstellerisch, noch stimmlich auch nur im geringsten bedrohlich wirkt. Luca Salsi ist ein ausdrucksstarker, schön phrasierender Simone mit noblem Timbre – gut, wenn ein echter Bariton diese Partie singt und nicht ein ehemaliger Tenor.
René Pape ist ein mächtiger, durchschlagskräftiger, nie zu stark forcierender Fiesco, der in dieser Inszenierung jedoch nur herumsteht und schon allein dadurch nie zum wirklichen Gegenspieler von Simone wird. Marina Rebeka singt die Amelia Grimaldi berührend, schon recht dramatisch, mit leichten Schärfen in der Höhe. Charles Castronovo muss für die Partie des Gabriele Adorno viel Kraft aufwenden, facettenreicher wird sein Tenor aber dadurch nicht. Antonio Di Matteo ist besonders gut in der kleinen Partie des Pietro, die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor wieder famos.
„Simon Boccanegra“ war die letzte szenische Opernpremiere dieses Salzburger Sommers, jetzt kommen noch konzertante. Was in Erinnerung bleibt? Bestimmt die Offenbach-Premiere, vermutlich Enescus „Oedipe“. Eine große Bandbreite an szenischen Interpretationen, vom Weltverbesserungstheater des Peter Sellars über die Verschmelzung von Oper und Film bei Simon Stone bis zum Pointenfeuerwerk von Barrie Kosky.
Was die Dirigenten betrifft, sollte es kommende Saison opernmäßig besser werden, allein schon durch die geplante Teilnahme von Mariss Jansons. Bei den Sängern gab es bisher – wie immer – Licht und Schatten, keine echten Neuentdeckungen und Anna Netrebkos Absage einer „Adriana“-Vorstellung als meistdiskutierten Vorfall. Für 2020 also noch Potenzial.
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