Zwei in der Selbstfindungshölle

Eine Frau mit roten Haaren und Halsketten vor einer weißen Wand.
Sibylle Berg präsentiert ihren neuen Roman am Sonntag im Wiener Rabenhof.

Die deutsche Autorin Sibylle Berg polarisiert mit ihren Büchern und Kolumnen. Auch in ihrem neuen Roman "Der Tag, als meine Frau einen Mann fand" geizt sie nicht mit drastischen Formulierungen und schickt Chloe und Rasmus, ein von der Ehe und dem Alltag frustriertes Paar, durch die Selbstfindungshölle.

Wir haben der auf Lesereise befindlichen Schriftstellerin ein paar Fragen per eMail gestellt. Ein Schriftverkehr:

KURIER: In Ihrem neuen Roman vermittelten Sie eine pessimistische Stimmung. Desillusionieren Sie gerne?
Sibylle Berg: Kitsch und Liebesromane gehören nicht zu meiner Kernkompetenz. Und ich interessiere mich auch nicht für Utopien einer umfassenden Glückseligkeit. Stattdessen ist es mir ein großes Anliegen, Zeitphänomene zu verdichten, zu unterhalten und das kleine Extra einiger Gedanken herzustellen.

Wollen Sie Menschen wachrütteln und aus ihren gescheiterten Beziehungen holen?
Nein, ich will bloß eine gute Geschichte erzählen, unterhalten und für mich Untersuchungen anstellen. Wachrütteln ist eine große Anmaßung, die ich mir nie erlauben würde. Was weiß denn ich, was Menschen mit ihrem Leben machen. Wer bin ich, mich da einzumischen?

Was wollten Sie mit der Geschichte untersuchen?
Das Paar im Buch hat eine gute Beziehung, in der sich aber die Leidenschaft nach den ersten Jahren abgenützt hat. Durch einen dritten Menschen erwacht noch einmal die Sehnsucht nach Neuem – nach neuer Haut, neuem Haar, nach einer Art jugendlicher Wildheit. Ich habe im Vorfeld des Buches sehr viele Paare beobachtet, die genau an diesem Punkt standen und sich fragten: War das jetzt alles? Diese Frage kann man ignorieren oder eben aufgreifen.

Sie schreiben: "Wenn man den anderen nicht mehr liebevoll betrachten kann, ist die Sache gelaufen". Was würden Sie Paaren raten, wenn sie an diesem Punkt angelangt sind?

Wenn es einen vor den Gesten des anderen ekelt, dann ist das Ende der Beziehung gekommen. Aber wenn man den Partner, die Partnerin trotz aller Probleme noch mit Liebe betrachten kann, lohnt es sich, die Sache auszusitzen.

Hat die "große Liebe" noch Platz in der heutigen Gesellschaft?
Nur durch die Liebe können wir der Depression entkommen. Damit meine ich aber nicht nur die geschlechtliche Liebe, sondern generell die Liebe zu Menschen oder auch zu einer Sache. Der Rest im Leben ist Beschleunigung, Technik, Terror und das Wissen über das baldige Ableben.

Haben Sie Angst vor einem Leben ohne Liebe?
Ich habe vor kaum etwas Angst, außer vor dem Verlust lieber Menschen.

Was bedeutet für Sie Romantik?
Ich schmelze, wenn mein Partner mir etwas kocht.

Am 8. März war Weltfrauentag. Möchten Sie den Frauen an dieser Stelle etwas ausrichten?
Ich denke, die Zeit des feministischen Theoretisierens ist vorbei. Es müssen politische Lösungen für eine Gleichstellung der Geschlechter her. Dafür sollten wir kurz vergessen, dass wir Menschen sind, die sich naturgemäß nicht besonders leiden können, und streiken.

Zur Person: Sibylle Berg 1962 in Weimar geboren, lebt sie als Autorin und Dramatikerin in Zürich und Tel Aviv. Sie schreibt Romane, Theaterstücke, Essays und Kolumnen (u.a. für die Neue Zürcher Zeitung und Spiegel Online).

Tipp: Am Sonntag präsentiert Sibylle Berg mit Dirk Stermann ihr neues Buch im (ausverkauften) Wiener Rabenhof.
Die beiden stellen sich der Frage: „Ist Sex lebensnotwendig? Oder doch eher die Liebe?“ Musikalisch begleitet werden sie von Gustav. Beginn: 20 Uhr; Eintritt: 18 Euro, www.rabenhoftheater.com

Kommentare