"Schicklgruber" in der Josefstadt: Der „Gröfaz“ reitet einen toten Hund

46-218954441
Nikolaus Habjan und Manuela Linshalm brillieren in der bitterbösen Puppengroteske „Schicklgruber“.

Die letzten Tage im Berliner Führerbunker wurden in den Nullerjahren besonders ausgiebig verarbeitet. Episch und zugleich ernüchternd in Oliver Hirschbiegels Spielfilm „Der Untergang“ (2004), dokumentarisch in André Hellers Gesprächsfilm „Im toten Winkel“ (2003) oder satirisch in Walter Moers’ Cartoon-Musikvideo „Ich hock in meinem Bonker“ (2006). Grotesk-theatralisch setzte der Australier Neville Tranter das sperrige Thema in einer Schauspielhaus-Koproduktion bei den Wiener Festwochen 2003 um, in seinem Figurentheatersolo wurde Hitler zum hilflosen Würstchen.

Nun entwickelte Nikolaus Habjan das Werk seines Mentors weiter, erarbeitete mit Tranter für das Deutsche Theater Berlin eine neue Version und brachte sie am Donnerstag nach Wien. Um es vorwegzunehmen: Er und Manuela Linshalm absolvieren den eineinhalbstündigen Abend in beeindruckender Manier. Sie führen in einer gut geölten Dramaturgie eine beträchtliche Riege an Klappmaulpuppen – in diesem trostlosen Endspiel unter der Reichskanzlei. In Andeutung von deren faschistischem Prunk ist die Bühne eingefasst, der Reichsadler thront über einer Schwarzwälder Kirsch. Schließlich feiert Puppen-Hitler am 20. April 1945, wenige Tage vor seinem Tod, 56. Geburtstag. Fürs Kerzenausblasen will er allen Ernstes noch gelobt werden.

Um dem Stücktitel „Schicklgruber“ genüge zu tun, wird anfangs darauf eingegangen, dass dies der Familienname von Hitlers Vater war, bevor dieser seinen Namen änderte. Im Programmheft wird darüber sinniert, ob das härter klingende „Hitler“ erst den späteren Diktator geformt habe. Im Stück schlägt sich dies kaum nieder, außer, dass „Heil Schicklgruber!“ gerufen wird. Die Banalität des Bösen soll mit dem kleinbäuerlichen Namen offenbar unterstrichen werden. Dabei reicht der verfremdende Effekt der fahlgesichtigen Puppen völlig aus, um diese Farce aus der Nazi-Hölle als bitterböse Groteske zu verstehen.

++ HANDOUT ++ FOTOPROBE "SCHICKLGRUBER" AM THEATER IN DER JOSEFSTADT

Nikolaus Habjan mit Puppen von Hitler (alias Schicklgruber) und dessen Schäfer Blondi.  

"Frau Hitler" werden

Goebbels ist die heimliche Hauptfigur, er möchte noch die Fäden ziehen und setzt seine letzte Hoffnung in eine kämpferische Radiorede des „Führers“. Doch den hat, seinen Schäferhund Blondi zu Tode reitend, jeder Mut verlassen. Auch „Evchen“ – die im Brautkleid herumirrlichternde Eva Braun – verwehrt „Wolfi“ vorerst den größten Wunsch: noch „Frau Hitler“ zu werden, damit ihr Leben nicht umsonst gewesen sei. Sie ist die einzige Frauenfigur und besonders armselig, irritierenderweise auf sexuelle Wünsche reduziert. Die fünf Töchter Goebbels’ (dem humpelnden Propagandachef fallen nie alle Vornamen ein) bekommen keine Stimme – nur Söhnchen Helmut, der auf beklemmende Weise vergeblich unterm Führerschreibtisch nach einem Fluchttunnel sucht.

Es ist bekannt, wie unter dem Vorrücken der Roten Armee über der Erde diese Geschichte endete. Mit letzten sinnlosen Einsatzbefehlen, die noch Abertausende das Leben kosteten. Als tumbes, übergroßes Schweinsgesicht ist hier Göring zu sehen, der die Befehle umsetzte. Die Nazis unter der Erde griffen zu Revolver und Zyankali, töteten sich und ihre Liebsten.

46-218954443

46-218954444

++ HANDOUT ++ FOTOPROBE "SCHICKLGRUBER" AM THEATER IN DER JOSEFSTADT

++ HANDOUT ++ FOTOPROBE "SCHICKLGRUBER" AM THEATER IN DER JOSEFSTADT

++ HANDOUT ++ FOTOPROBE "SCHICKLGRUBER" AM THEATER IN DER JOSEFSTADT

++ HANDOUT ++ FOTOPROBE "SCHICKLGRUBER" AM THEATER IN DER JOSEFSTADT

++ HANDOUT ++ FOTOPROBE "SCHICKLGRUBER" AM THEATER IN DER JOSEFSTADT

++ HANDOUT ++ FOTOPROBE "SCHICKLGRUBER" AM THEATER IN DER JOSEFSTADT

Gruselclown

Symbolisch bläst hier ein riesiger Gruselclown mit Tintifax-Gesicht und gelben Vogelfedern Hitler das Lebenslicht aus. Er steht für den Tod, vom Weltenbrand mit all seinen Gräueltaten ermattet. „It’s showtime“, sagt er (Linshalm) mehrmals, aber die Zaubertricks misslingen.

Faszinierend ist, wie Habjan und Linshalm trotz exzentrischer Nazisprache hinter den Puppen zurücktreten – nur Habjan hat mit Kammerdiener Heinz Linge eine Schauspielerrolle. Als dem Goebbels verrät, er habe dessen Mutter hinrichten lassen, weil sie verdächtigt wurde, Juden „zugetan“ zu sein, wird Linges Reaktion zum schaurigen Moment. Einem wichtigen, der die manchmal allzu erheiternde Groteska in die unfassbare Realität zurückholt. Sie muss weiter erzählt werden – das macht aus dem Theatercoup „Schicklgruber“ auch einen wichtigen Abend.

Jubel und Standing Ovations in der Josefstadt.

KURIER-Wertung: **** von *****

Kommentare