Nikolaus Habjan: "Auch der Kasperl war arg drauf"

Das Puppenreich des Nikolaus Habjan: Der Clown, der den Zirkus hasst und außerdem ein Alkoholproblem hat.
Wie die Puppen des Künstlers aus Graz den Weg in unser Herz finden.

Kein Schauspieler ist so glaubwürdig wie eine Puppe. In ihrem scheinbar starren Gesicht sieht ein jeder, was er sehen will.

Puppen sind Nikolaus Habjans Lieblingsschauspieler. Und wer die lebensgroßen Schaumstoff-Geschöpfe des Theatermachers einmal kennengelernt hat, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Sie können geifern, grinsen, seufzen, jammern und überzeugend sterben – und sind doch nur Klappmaulpuppen. Wie die Muppets, im Grunde auf einen Gesichtsausdruck festgelegt.

Unter Habjans Händen erwachen sie, wie im bewegenden Shakespeare-Sonette-Abend "Fool of Love", (2012 im Burgtheater): Die Puppe eines alten Mannes verwandelte sich unter der behutsamen Bewegung Habjans zum Abbild des Entsetzens und der Ergriffenheit. Und als Habjan für das Elfriede-Jelinek-Stück "Schatten (Eurydike sagt)" eine Puppe nach dem Vorbild der Autorin baute, war die Nobelpreis-Trägerin von ihrem Ebenbild aus Schaumstoff hingerissen.

Derart emotionale Ausdrücke sind an dieser Stelle erlaubt und angebracht. So geht es nämlich den meisten Leuten, die jemals mit Habjans ungewöhnlichen Gestalten zu tun gehabt haben.

Leben und Überleben

Zuletzt waren sie Höhepunkt der Gerhard-Fritsch-Premiere "Fasching" im Volkstheater und eben dorthin ist nun aus Graz Habjans Camus-Bearbeitung übersiedelt, für die er für einen weiteren NESTROY nominiert ist. Einen hat er schon: Für sein dokumentarisches Puppenspiel "F. Zawrel – erbbiologisch und sozial minderwertig" über das Leben und Überleben des Friedrich Zawrel (1929–2015), der das Kinder-Euthanasie-Programm der Nazis überlebte.

Die Puppe des Friedrich Zawrel ist Habjan ans Herz gewachsen. So ganz trennen kann er sich von keinem seiner Geschöpfe. Auch jene Puppen, die er im Auftrag anderer baut, kehren, so hält er es vertraglich fest, zu ihm zurück, wenn sie nicht mehr gebraucht werden. Tragische Figuren, Schicksale, Charaktergesichter wie Qualtingers Herr Karl oder Canettis Peter Kien aus "Die Blendung". Oder der noch namenlose melancholische Clown, derzeit beschäftigungslos. "Er hasst den Zirkus und hat ein Alkoholproblem", erklärt Habjan, als wir ihn in seiner Werkstatt in Wien-Alsergrund besuchen. Der Puppenbauer kennt Schicksal und Lebensweg jedes seiner Geschöpfe, auch wenn sie nicht thematisiert werden. Wie bei einem Schriftsteller, ist die Story dahinter wesentlich für die Glaubwürdigkeit einer Figur.

Schiele und Teddybär

Merkwürdig berührend liegt der arbeitslose Clown mit den traurigen Schmucksteinaugen hier im Atelier. Depressiv und liebenswürdig. Noch in Arbeit ist die Puppe für "Das Wechselbälgchen", eine Erzählung von Christine Lavant, deren Bühnenfassung Maja Haderlap erarbeitet hat (ab 4. Dezember im Volkstheater). Habjan hat ihr ein bemitleidenswertes, rührendes Gesichtchen verpasst. Als Inspiration diente ihm ein Bild von Schiele, die Augen stammen von einem Teddybären. Das schüttere Haar der Puppe von einer Perücke seiner Oma. Erwachsene, an die sich Habajns Puppentheater richtet, finden so etwas manchmal unheimlich. Kinder, sagt er, haben keine Angst vor seinen Kreaturen. Nicht vor dem Mephisto-Kopf, der im Regal herumliegt, und auch nicht vor der imponierenden Maske des Dirigenten Karl Böhm, dessen Sprache und Gehabe Habjan perfekt nachahmt.

Nikolaus Habjan: "Auch der Kasperl war arg drauf"
Zu Besuch im Atelier des Puppenspielers Nikolaus Habjan mit Szenen aus einer Probe im Schubert-Theater. Wien, am 07.10.2015.

Musikalität hält Habjan für die wichtigste Voraussetzung eines Puppenspielers. Konsequenterweise studierte Habjan, der das Handwerk beim australischen Handpuppen-Revolutionär Neville Tranter erlernte, Musiktheaterregie an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien.

Für seine andere Leidenschaft gibt’s keine Ausbildung. Das Kunstpfeifen hat er sich selbst beigebracht, ist sogar mit den Philharmonikern aufgetreten. Sagt’s und ist schon mitten drin in der Dalila-Arie aus Camille Saint-Saëns Oper "Samson et Dalila".

Klingt nach Wunderkind. Zugleich aber ist Nikolaus Habjan, trotz seiner seiner vielen Begabungen, ein lustiger und sehr unaufgeregte Typ. Der im sanften Nieselregen vor seinem Atelier geduldig Butterbrot kauend auf den zu spät kommenden Besuch wartet, später als beflissener Gastgeber Tee und Guglhupf serviert und zwischendurch ein SMS von der Oma beantwortet, die regen Anteil an der Karriere ihres Enkels nimmt.

Der Draht ins Herz

Nikolaus Habjan ist gerade einmal 28. In Graz geboren, lebt er in Wien als Musiktheaterregisseur. Als Fünfjähriger verliebte er sich ins Marionettentheater, wenig später sah er die Zauberflöte an der Oper Graz. "Mit zehn Jahren wusste ich, ich werde Regisseur und Puppenspieler."

Die Faszination der Puppen? "Anders als Schauspieler haben sie einen direkten Draht in unser Herz." Und zwar auch die unguten Charaktere. Wie der "Dipl.Ing. Bernhard Schwingenschläger", Hauptfigur des bitterbösen Puppentheaters "Schlag sie tot". Der Schwingenschläger ist eine unsympathische Figur. "Aber auch der Kasperl war ja früher arg drauf, bevor man ihn kastriert hat. Leider ist man heute so politisch korrekt, dass man nicht einmal mehr blöde Hexe sagen darf", sagt Habjan. Das Gutmenschige, das ist nicht sein Ding: "Ich mag’s, wenn’s berührt und wenn’s Biss hat."

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