„9/11 ist im Stück der Ausgangspunkt für die gesellschaftliche Lage, in der wir uns befinden, und die wir noch nicht wirklich überblicken“, erzählt Plüss. Viel mehr möchte sie jetzt, mitten im Probenprozess, noch nicht sagen: „Es geht um Gewalt, um Folter, um Machtverhältnisse – es geht um sehr viel.“
Plüss verfügt über einen feinen, Humor. Beim Versuch, sich auszurechnen, wie alt sie bei 9/11 war, scheitert sie. Als ihr Gesprächspartner sich ebenfalls zwischen den Zahlen verirrt, lacht sie und sagt: „Zum Glück.“ Sie war übrigens 12, wollte nach der Schule fernsehen und war verblüfft, auf allen Sendern nur rauchende Türme zu sehen. „Ich habe das gar nicht wirklich verstanden.“
Plüss hat in Zürich gespielt, in Berlin, bei den Salzburger Festspielen, bei der Ruhr-Triennale, in Paris. Sie hat in den vergangenen beiden Jahren das Nomadenleben geführt, das für Schauspieler heute so typisch ist. Jetzt will sie einmal in Wien sesshaft werden, sie hat eine Wohnung im Stuwerviertel.
Ihr gefällt die Abwechslung der Städte, der Menschen, der Theater. „Das war auch mit Ängsten verbunden, aber ich empfand diese Zeit als klärend, ich musste mich mit der Frage befassen, was der Beruf für mich bedeutet. Der große Nachteil war die Heimatlosigkeit, vor allem während der Pandemie.“
Plüss antwortet bedächtig, mit einer für eine Schauspielerin überraschend leisen Sprechstimme. Sie ist offen für Gedanken und Stimmungen. Mit ihr im Theater zu arbeiten, muss sich gut anfühlen.
Die vom Interviewer vorgeschlagene These, dass Schweizer eher protestantisch-nüchtern sind und Österreicher katholisch-barock, ist ihr merkbar zu klischeehaft. Sie geht dennoch höflich darauf ein: „Man trifft ja dann doch auf individuell unterschiedliche Menschen.“
Was ihr aufgefallen ist: Wie wichtig in Wien Kunst und Kultur genommen werden. „Neulich war ich im Café Schwarzenberg, da hat mich der Kellner gefragt, was ich beruflich mache – und mich anschließend nur noch ,Frau Doktor’ genannt. Das würde in Zürich nie passieren. Dort würde man eher gefragt: Wie schwer war es, die Stelle zu bekommen? In Wien heißt es: Sie spielen am Burgtheater, Sie müssen wirklich gut sein. Hier gibt es Vorschuss-Lob.“
Ihr Interesse gilt modernen wie klassischen Stücken gleichermaßen. „Ich bin einfach neugierig, was jetzt als Ensemblemitglied auf mich zukommt.“ Plüss erzählt vom Tanzen und Singen, dabei leuchten ihre Augen. Sie liebt es, wenn auf der Bühne mehrere Formen des Ausdrucks auf sinnlichem Weg zusammenfinden. Kein Wunder, dass sie gerne mit Christoph Marthaler gearbeitet hat.
In Zürich hat sie in der Schauspielhaus-Band gesungen. „Dabei ist es für mich gar nicht einfach, vor Publikum zu singen, obwohl ich mich danach sehne. Vielleicht finde ich in Wien ja eine Band...“
Zum Theater kam sie schon als Kind. „Am Schauspielhaus Zürich gab es einen Jugendclub, da konnte man einmal in der Woche hingehen. Und ich hatte es damals schwer, ein Hobby zu finden. Tanzkurse, Pfadfinder ... überall hatte ich meine Schwierigkeiten, mich in die Gruppe einzufinden. Meine Mutter hat dann gesagt, probiere doch einmal diesen Theaterkurs – und da habe ich sofort gewusst, das ist es.“
Plüss hat am Mozarteum in Salzburg studiert – und unterrichtet jetzt selbst dort. Was sie ihren Schülern mitgeben will? Dass man sich nicht zuviel Druck machen soll. „Es geht nicht darum, dass es auf der Probe gemütlich und bequem sein soll, aber gut zuhören und zuschauen und vor allem Zeit lassen ist wichtig. Dinge sollen entstehen können, ohne zu hohe Erwartungen und Ergebnisdruck."
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