Uraufführung: Den Halt verlieren in einem Meer aus Styropor-Linsen
Amir Gudarzi, 1986 in Teheran geboren, beteuerte in Interviews, dass es nicht seine Geschichte sei, die er in seinem berührenden Debütroman „Das Ende ist nah“ erzählt. Aber es gibt erstaunlich viele Parallelen. Auch A., der, wie er, szenisches Schreiben studierte, beteiligte sich 2009 an der Protestbewegung gegen das Ajatollah-Regime. Aus Angst, verhaftet zu werden, flieht er – und landet in Wien.
Erst hier beginnt die wahre Odyssee: A. versucht, anständig zu bleiben, sich zu integrieren, er lernt in Windeseile Deutsch, arbeitet bis zum Umfallen in einer Pizzeria. Aber das Asylverfahren zermürbt ihn, er macht triste Erfahrungen in Traiskirchen und anderen Flüchtlingsheimen, er wird hin- und hergeschoben, ist mit Rassismus konfrontiert. Halt gibt ihm eine Deutsche, die in Wien lebt. Doch so stabil, wie er annimmt, ist sie nicht.
Sara Ostertag, Leiterin des im Umbau befindlichen Teatas (vormals TAG), hat den Roman nun im Schauspielhaus auf die Bühne gebracht. Von einer Dramatisierung im engen Sinn kann man nicht sprechen: Wie es gegenwärtig Mode ist (siehe auch die „Traumnovelle“ im Volkstheater), gibt es ein formatfüllendes Bühnenbild als eindrückliche Metapher:
Nanna Neudeck, Weggefährtin von Ostertag, hat ein Geviert – ohne Brüstung an der Rampe – mit Unmengen an federleichten Linsen aus Styropor befüllt. Da kann man den Halt verlieren, sich fallen und wirkungsvoll zuschaufeln lassen. Man kann wieder auftauchen und wie Derwische ekstatisch im Kreis rennen. Die Körner spritzen, dass es eine Freude ist. Das erinnert insgesamt ein wenig an das Serapionstheater von Erwin Piplits, zumal die fünf Akteure wie von Ulrike Kaufmann eingekleidet scheinen (fotobedruckte Teile im Batik-Look von Romana Zöchling).
Florentine Krafft gibt eine betont herbe Deutsche; alle anderen (Shabnam Chamani, Kaspar Locher, Johnny Mhanna und Maximilian Thienen) fungieren, wie es gegenwärtig Mode ist, als Ich-Erzähler. Sie erproben sich im Ausdruckstanz, reden auf Deutsch und Farsi, sie bringen die Geschichte mit einer gewissen Leichtigkeit und bitterem Humor zu Gehör.
Selbstmordgedanken
Dann wieder macht sich tiefe Traurigkeit breit, wenn A., vor Islamisten geflohen, im Lager auf gewalttätige Islamisten trifft und an Selbstmord denkt. So reiht sich Episode an Episode, und Paul Plut untermalt das Geschehen nicht nur mit bedrohlichen Sirenen-Sounds: Er singt sentimentale Lieder im obersteirischen Dialekt und zu den Szenen passende Coverversionen, darunter Falcos „Out of the Dark“ (in einer stampfenden Disco-Version) und ganz langsam „Common People“ von Pulp. Es gibt zwar viele Dialogpassagen, aber wirklich gespielt wird, wie es Mode ist, leider nicht: Die Figuren sagen, was sie tun, statt es zu tun. Die Verzweiflung der deutschen Intellektuellen, die in Wien ein Fremdkörper bleibt, vermittelt sich daher nur über den gesprochenen Text. Das Ende berührt dennoch ungemein.
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