Lucinda Childs in Salzburg: Neue Choreografien einer Tanzikone

46-217716006
"Four New Works" bei den Salzburger Festspielen.

von Silvia Kargl

Mit 85 tanzt sie und choreografiert neue Stücke: Lucinda Childs und ihre 1973 gegründete Lucinda Childs Dance Company gastieren bis 13. August mit „Four New Works“ bei den Salzburger Festspielen in der Szene Salzburg. Childs entwickelt in ihren jüngsten Stücken ihre choreografische Handschrift mit vielen Nuancen weiter. 

„Four New Works“ ist ein durchkomponierter Abend. Selten gelingen im Tanz derart schlüssig zu einem Stück verbundene kurze Stücke, als ob sich Lieder zu einem geschlossenen Zyklus fügen. Die Musik ist die Klammer für diese vom Pianisten und Komponisten Anton Bagatov am Klavier als Partner der Tänzer begleiteten Abend. In Zwischenspielen überbrückt er nicht nur kurze Tanzpausen. Gleichzeitig führt er schon vor dem Tanz in neue musikalische Welten.

Dass der Abend mit „Actus“, einem Duett zu Bachs „Actus tragicus“ beginnt, ist eine Referenz an die tanzgeschichtliche Bedeutung von Childs. Kurz vor der Entstehung von Pina Bauschs Tanztheater wirkte in New York das nach dem Auftrittsort in einer Kirche benannte Judson Dance Tänzerkollektiv, zu deren wichtigsten Vertreterinnen Childs zählt. Judson Dance war die Keimzelle des postmodernen Tanzes, der sich mit Einbeziehung von Alltagsbewegungen und Ironie gegen die festgefahrenen Strukturen der Stilrichtung Modern Dance richtete. Genau diese spielerisch anmutende Leichtigkeit durchzieht „Actus“.

46-217729737

NFL als Tanz

Darauf folgt „Geranium ´64“, basierend auf Childs‘ Solo „Geranium“ von 1965 und vor einer neuen Multimedia-Arbeit Anri Salas. Sechs Jahrzehnte später tanzt Childs dieses experimentelle Solo wieder. Ausgangspunkt ist eine Szene eines NFL-Meisterschaftsspiels der Cleveland Browns gegen die Baltimore Colts. Childs zerlegt den Bewegungsablauf eines Runningbacks, begleitet von der Stimme der Radioübertragung und von Filmaufnahmen. Sie agiert dabei an einem straff gespannten Band, um den Körper in die Schräglage des Ballfangversuchs während des Fallens wie in Zeitlupe zu dekonstruieren. Der Counterpart-Tänzer steht auf der Seite der Bühne, unsichtbar fürs Publikum. Dieses Solo basiert auf einem choreografisch ungewöhnlichen Blickpunkt, wobei Childs die Bewegungen in einem Text beschreibt. So thematisiert sie auch die Diskrepanz zwischen Sprache und Bewegung. 

Darauf folgt mit „Timeline“ zu zeitgenössischer Musik von Hildur Guðnadóttir ein Gruppenstück. Zu der klaren Ausrichtung der Körper im Raum kommen phasenverschobene Bewegungen, und das für Childs neue Element der Berührungen von Tänzerinnen und Tänzern. Den Abschluss macht „Distant Figure“ als Dialog mit dem Pianisten, mit vielen Wiederholungen von Bewegungsvarianten, die auch eine Brücke zum Ballettvokabular bauen. Die Musik von Philip Glass führt zurück zur Theatergeschichte, war Childs doch auch die Choreografin und Tanzsolistin in Robert Wilsons legendärer Inszenierung von Glass‘ Oper „Einstein on the Beach“.  

Kommentare