"Die letzten Tage der Menschheit": Der von den Medien befeuerte Krieg

SALZBURGER FESTSPIELE 2025: FOTOPROBE ?DIE LETZTEN TAGE DER MENSCHHEIT?
Dušan David Pařízek collagierte für die Salzburger Festspiele die Collage von Karl Kraus: Im Mittelpunkt steht ein infernalisches Trio.

Der zentrale Satz fällt schon früh: „Das ist eine Liveschaltung!“ Auch das Herzerl, mit den Händen gebildet, gab es damals nicht. Und der Satz „Ich liebe den Geruch von Chlorgas am Morgen“ dürfte auf „Apocalypse Now“ verweisen. Aber Regisseur Dušan David Pařízek interessiert sich ohnedies weniger für den Hergang des Ersten Weltkriegs, als für die Mechanismen des Krieges generell. Das Monumentaldrama „Die letzten Tage der Menschheit“, das mit der Ermordung des Thronfolgers beginnt, ist denn auch eine zeitlose Parabel.

Karl Kraus erzählt die Geschichte vom Untergang in 220 Szenen an 137 Schauplätzen; die über 1.000 Figuren sprechen die unterschiedlichsten Dialekte. Und der Herausgeber der Fackel schaute nicht nur dem Volk aufs Maul: Er verwertete Zeitungsartikel, Verordnungen, Korrespondenzen, Propagandamaterial et cetera. „Die letzten Tage“ sind eine monströse Collage – und gilt ob der enormen Fülle als nahezu unaufführbar. Paulus Manker bewies mit seiner opulenten, auf historisches Flair bedachten Umsetzung 2018 in Wiener Neustadt und in den folgenden Jahren das Gegenteil.

Sieben Stellvertreter

Pařízek ging bei der Koproduktion des Burgtheaters mit den Salzburger Festspielen, die am Freitagabend auf der Pernerinsel ihre Premiere hatte, aber einen entschieden anderen Weg: Er collagierte die Collage. Und reduzierte die Tausendschaft auf nur sieben Stellvertreter.

Jede der archetypischen Figuren setzt sich aus mehreren bei Kraus zusammen. Der Viktualienhändler Vinzenz Chramosta, im Original mit nur einem pointierten Auftritt als Preistreiber bedacht, ist auch stolzer Patriot wie besorgter Vater, der seit sechs Wochen nichts mehr von seinem Sohn an der Front gehört hat.

Branko Samarovski darf auch dem Nörgler die Stichworte liefern: Der Fädenzieher sitzt zumeist seitlich an der Rampe (von weiter hinten fast nicht zu erkennen) und bringt auf dem Overheadprojektor Anschauungsmaterial. Verblüffenderweise spricht er Schweizerdeutsch. Vielleicht, weil sich der Chronist, beißend kommentierend, auf die Beobachterposition zurückgezogen hat? Oder nur, weil Elisa Plüss, mit Krawatte und Brille auf Kraus hergerichtet, in Zürich geboren wurde?

Pařízek hat, um die sprachliche Vielfalt hörbar zu machen, jeder Figur eine andere Sprachfärbung zugewiesen. Der manipulative Feldkurat des Felix Rech, die wenig heroische Position der Kirche vertretend, spricht daher rheinische Mundart.

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Lächerliche Figuren: Dörte Lyssewski und Michael Maertens

Die Reduktion führt allerdings dazu, dass einige Figuren zu dominant werden: Das Panoptikum verengt sich bei Pařízek zu einem infernalischen Trio aus Politik, Kunst und Journalismus.

Michael Maertens begeistert als clownesker Gesandter in Wien, der die Österreicher nicht ernst nimmt, und als Politiker Sigmund Schwarz-Gelber. Er steht mit aufgepolsterten Schultern und ohne Hose, neckisch bekleidet mit Strumpfhaltern, jammernd unter der Fuchtel seiner Frau, hinreißend verlogen gespielt von Dörte Lyssewski, die genau weiß, was gut ist für die Karriere.

Unheilige Allianz

So kooperieren sie extensiv mit Alice Schalek, der enthusiasmierten Kriegsberichterstatterin, die auch als Society-Reporterin unterwegs ist: Marie-Luise Stockinger zieht mit Wiener-Bazi-Slang und burschikosem Hauruck in den von den Medien befeuerten Krieg. Nebenbei drängt sie Lyssewski (als Schauspielerin Elfriede Ritter), vor der Kamera Gräueltaten der Russen zu berichten.

Der Journalismus kommt gar nicht gut weg bei Pařízek, und Kraus liefert dafür die Grundlage. Allerdings war Alice Schalek nicht jene Megäre, als die sie in den „Letzten Tagen“ dargestellt wird: Wie Manker darlegte, warnte sie, geläutert von Erlebnissen an der Front, schließlich vor dem Krieg. Dies hätte Pařízek nicht ins Konzept gepasst. Er liefert eine Interpretation mit Schuldzuweisung ab, die schließlich revueartig (mit Gesangseinlagen) zerfasert.

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Aus dem riesigen Holzkubus, der als Projektionsflächen auch für Live-Video-Bilder dient, fallen nacheinander krachend die Seiten heraus. Bis nach dreieinviertel Stunden (inklusive Pause) nur mehr das Gestänge übrig bleibt – samt einem Baugerüst. Peter Fasching, zwischendurch unter anderem brutaler Feldwebel, liefert dazu auf der offenen Bühne den Sound – mit viel Donnergrollen, peitschenden Schüssen und brachialer E-Gitarre. Er hallt eindrücklich lange nach.

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