Es folgt aber keine trockene Belehrung: Fast linkisch stellen sich zwei ukrainische Schauspieler vor. Oleh Stefan erzählt, dass er 1965 nahe Odessa geboren wurde – als Russe mit dem Suffix -ow. In der Schule gab es nur zwei Wochenstunden Ukrainisch, der Blick war – wie bei Tschechow – nach Moskau gerichtet. Erst mit 18 habe er entdeckt, dass er Ukrainer ist. Nicht weniger launig berichtet Dmytro Okiink aus seinem noch jungen Leben.
Und wie das eben bei Projekten so ist – noch dazu bei einem, das binnen weniger Monate Gestalt angenommen hat: Es geht nicht ohne die Entstehungsgeschichte. Dieser Part fällt Holger Bülow zu. Für ihn hatte Krieg bisher nur in den Nachrichten stattgefunden; und plötzlich war er mit ihm konfrontiert – als Ensemblemitglied bei den Proben. Das Team begab sich auf Recherche, führte Interviews mit Kollegen, die Widerstand leisten. Man sieht Videos von Fahrten durch endlose Felder und von Max, einem Puppentheaterregisseur, aus dem Schützengraben. Ein anderer, schwer verletzt im Erdbunker, fragt: „Warum ist Sterben so schmerzhaft?“
Zwischendurch gibt es eine unnötige Klamauknummer, später werden Mitschnitte des ukrainischen Geheimdienstes zugespielt: von Telefonaten russischer Soldaten, die ihren Angehörigen über das Kehle-Durchschneiden, Hunde-Abknallen, Vergewaltigen berichten. Heftig. Zusammengehalten werden all diese Facetten mit Bobby McFerrins „Don’t Worry Be Happy“, von den drei Schauspielerin wehmütig a cappella angesungen.
Und dann trägt Bülow das Tagebuch von Pavlo Arie vor, das mit dem 24. Februar beginnt: „Der Lärm einer Explosion weckt mich auf.“ Er will sich zur Territorialverteidigung melden, doch allein schon die Durchsuchung seiner Wohnung nach Saboteuren fährt ihm derart in die Glieder, dass er davon Abstand nimmt: „Ich kann es einfach nicht. Verzeiht!“
Die Verzweiflung wird immer größer, dazu ein dumpfes Grollen, der beharrliche Anschlag einer Klaviertaste, ein Schattenspiel mit Händen. Gebannt hört man Bülow zu – und man hätte ihm noch lange zuhören wollen. Lange Stille, Betroffenheit, dann Standing Ovations.
Gegen das Regime
Um mehr oder weniger die gleiche Thematik geht es auch in „Exil“: In seinem 1940 veröffentlichten Roman erzählt Lion Feuchtwanger von Menschen, die nach der Machtübergabe an Adolf Hitler Deutschland verlassen haben – und nun, man schreibt das Jahr 1935, von Paris aus gegen das Regime ankämpfen. Mit Worten als Waffe: Der Komponist Sepp Trautwein bringt mit seinen Artikeln in den „Pariser Nachrichten“ die Nazis zur Weißglut.
Zusammen mit Sibylle Baschung dramatisierte Luk Perceval (sein Shakespeare-Reigen „Schlachten!“ bei den Salzburger Festspiele ist legendär) den kaleidoskopartigen Roman für das Berliner Ensemble. Ihm gelingt ein spannender Abend, durchzogen mit Witz, absurden Choreografien und Redaktionsstuben-Hektik im „Wartesaal“ vor einem imposanten Eiffelturm: Von Bühnenbildnerin Annette Kurz aus Sesseln zusammengesetzt, kracht er in der Pause in sich zusammen.
Oliver Kraushaar spielt den aufmüpfigen Komponisten mit breitem bayrischen Dialekt – als Seelenverwandten des Wiener Fleischhauers Karl Bockerer. Die zermürbende Lage wirkt sich allmählich auf die Ehe aus: Anna nimmt sich das Leben. Pauline Knof, etliche Jahre Ensemblemitglied des Burgtheaters und der Josefstadt, berührt mit ihrem langen inneren Monolog. Die Bühne wird immer kahler, zum Schluss schleppt jeder – eine großartige Ensembleleistung! – nur seinen eigenen Sessel mit sich. Für den Opportunisten-Nazi Erich Wiesener (Marc Oliver Schulze) reicht natürlich ein Kinderstuhl.
Zudem erlebte an der Volksbühne Florentina Holzingers Choreografie „Ophelia’s Got Talent“, ein Wasserbecken-Spektakel, ihre heftig akklamierte Uraufführung.
Und in Wien? Nicht nur das Volkstheater döst.
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