Regisseurin Leni Lauritsch: „Ich bin ein absoluter Science-Fiction-Fan“
Lebe lieber ungewöhnlich. Für ihren ersten Spielfilm hat die österreichische Regisseurin Leni Lauritsch ein überraschendes Debüt gewählt: „Rubikon“ (derzeit im Kino) ist ein Science-Fiction-Thriller, der in naher Zukunft auf einer Raumstation namens Rubikon spielt. In der österreichischen Produktionslandschaft ist Science-Fiction eine Rarität; zudem gilt es im Kino tendenziell als Männer-Genre – aber nicht für Leni Lauritsch.
Leni Lauritsch: Ich bin ein ein absoluter Science-Fiction-Fan. Ich würde behaupten, dass ich zu den größten „Star Trek“-Nerds in Österreich zähle.
Das hat mich auch immer sehr mit meinem Papa verbunden. Außerdem habe ich während meiner Zeit an der Filmakademie viel mit Visual Effects gearbeitet und kenne mich da recht gut aus. Ich wusste: Wenn ich den Film gut schreibe und gut umsetze, dann wäre das im Rahmen meines Budgets machbar.
Es ging mir sehr zu Herzen.
Jeder, jede Filmemacherin hat ihre Themen, und ich glaube, der krankhafte Neoliberalismus in unserer Gesellschaft und diese immer größer werdenden Schere zwischen Arm und Reich ist etwas, was mich sehr beschäftigt. Wenn man mir ein bisschen zu viel zu trinken gibt, rede ich auch über nichts anderes mehr (lacht). Krisen zeigen immer, wie ungleich wir wirklich sind. Da kann man noch so sehr behaupten, dass wir alle gleich sind. Das zu erzählen war mir auch im Film wichtig.
Haben Sie filmische Vorbilder?
Von der Machart her hat mich der Film „Moon“ von Ducan Jones, dem Sohn von David Bowie inspiriert. Das war auch ein Erstlingsfilm mit relativ kleinem Budget. Ich fand es toll, dass er nur an einem Ort stattfindet, also wirklich ein „contained thriller“ ist. Da dachte ich mir: Ja, das ist für einen Erstlingsfilm möglich. Ganz tief drinnen aber bin ich ein extremer „Raumschiff Enterprise“-Nerd: In den alten Serien wie „Star Trek: The Next Generation“ oder „Star Trek: Raumschiff Voyager“ gab es hoch philosophische Folgen, die sich extrem experimentell mit dem Menschsein auseinandergesetzt haben. Das ist etwas, was Science Fiction in seiner pursten Form - wie bei Stanislaw Lem - kann. Deswegen gibt es bei mir auch keine großen Explosionen, sondern es geht um den moralischen Konflikt.
Warum haben Sie auf Englisch gedreht?
Ich wollte nahe an der Realität bleiben. Es wäre absurd gewesen, wenn auf der ISS (Internationale Raumstation, Anm.) der Zukunft alle Deutsch reden. Mir war auch wichtig, dass man die verschiedenen Nationalitäten der Astronauten durch die Akzente spürt. Ich mag Sprachbarrieren, weil sie auch kulturelle Barrieren miterzählen. Ich finde die englische Version meines Films bei weitem besser als die deutsche, synchronisierte Fassung.
Warum heißt das Raumschiff „Rubikon“?
Ich hatte kurz vor Drehbeginn noch keinen Titel und habe deswegen schon zu schwitzen begonnen. Dann bin ich auf der Donauinsel spazieren gegangen und sah plötzlich ein altes, verrostetes Schiffswrack. Da stand „Rubikon“ darauf. Ich fand das war so ein schöner Name und hat so einen coolen Klang. Rubikon hieß der Fluss, den Julius Cäsar mit seinem Heer überquerte. Damals hieß es: Wenn er den Rubikon überschreitet, gibt es kein Zurück mehr. Dann gibt’s Bürgerkrieg. Es handelt sich also um den Point of no Return. Das fand ich total passend für meinen Film, denn da geht es auch um den Point of no Return in Sachen Umweltkatastrophe. Auch für jede einzelne der Figuren gibt es einen Punkt, wo er oder sie nicht mehr zurückkann.
Wo entstand der Film?
Es gab ihn Österreich kein Studio, das groß genug war. Dann haben wir uns auf die Suche nach Lagerhallen gemacht und die alte Panzerfabrik in Simmering gefunden.
War nicht auch einmal von Zwentendorf die Rede?
Ja, aber das sehr viel früher, als das Drehbuch noch anders aussah. Wir haben dann in der alten Panzerfabrik gedreht. Das war ein sehr cooler Ort und hat zum Dreh gepasst wie die Faust aufs Auge.
Was hatten Sie für einen Look im Auge?
Wir wollten ein möglichst ungewöhnliches Design entwerfen und nichts kopieren. Wir waren bei der ESA (Europäische Weltraumorganisation in Köln, Anm.), weil ich immer noch aus „Star Trek“-Conventions (eine Zusammenkunft von Fans, Anm.) gehe (lacht) und dort einen Astronauten und eine Ground Controllerin kennengelernt habe. Die beiden wurden zu wichtigen Beratern. Ich bin dann mit dem Setdesigner Johannes Mücke, meiner Koautorin Jessica Lind und meiner Kostümbildnerin Monika Büttinger nach Köln gefahren. In der ESA ist der europäische Teil der ISS nachgebaut, und wir duften uns dort mehrere Stunden alles genau anschauen. Das hat unsere Ausstattung inspiriert. Wir haben zudem einen Retro-Look aus den 70er- und 80er-Jahren einfließen lassen. Auch wenn man die Zukunft erzählen will, muss man nicht unbedingt den Futurismus steigern, denn es kommt ohnehin immer alles in Wellen zurück, das merkt man auch an den Kleidungsstilen. Außerdem ist die Raumstation, von der ich erzähle, ja auch schon wieder überholt und heruntergekommen – das wird durch den Retro-Look mittransportiert. Wir haben das recherchiert: Im Weltall werden keine Touch Screens verwendet, weil alles so sensibel ist. Das beste Segment auf der ISS ist immer noch das russische, weil dort einfach alles mechanisch funktioniert. Alles was zu elektronisch ist, klappt nicht. Deswegen sollte alles sehr haptisch und analog aussehen.
Wie kam die Idee zustande, im Weltall Algen als zukünftige Quelle für Sauerstoff und Nahrung zu züchten?
Die Algen als Lebensquelle haben gut ins Drehbuch gepasst, aber es kam auch ganz viel aus echter Recherche dazu. Es wird gerade tatsächlich an Algen geforscht, die essbar sind, Sauerstoff austauschen und sich vom Urin der Astronauten ernähren. Wir haben dazu mit Forschern in Köln geredet, die uns sehr inspiriert haben. Aber es gibt auch in Österreich, in der Nähe von Wien, eine Algenfarm namens Ecoduna, wo Nahrungsergänzungsmittel produziert werden.
Science-Fiction ist ein starkes Männer-Genre mit wenigen Ausnahmen wie zuletzt Sandra Bullock in „Gravity“ oder Eva Green in „Proxima“. War Ihnen das Aufbrechen von Genderstereotypen wichtig?
Eigentlich überhaupt nicht. Das Einzige, was ich von Anfang an wollte, war, dass es so wie in den alten „Star Trek“-Folgen ist, die in einer postfeministischen Zeit spielen und wo es kein Thema ist, ob Frauen in der Führungsrolle sind oder nicht. Ich hoffe auch, dass sich unsere Gesellschaft in diese Richtung beweget. Ansonsten habe ich mit der Hauptfigur Hannah einfach nur eine Figur geschrieben, die, so wie ich, sehr burschikos ist und gerne flucht. Es ist witzig, wie viel schon im Drehbuch geflucht wurde, sodass selbst die Schauspieler meinten, sie würden manchmal lieber weniger fluchen (lacht). Aber das bin eben sehr ich. Hannah, gespielt von Julia Franz Richter, habe ich so geschrieben, wie ich in so einer Situation reagieren würde. Wobei Julia, obwohl sie auch sehr burschikos ist, noch eine eigene Note dazu gebracht: Einen schönen, femininen Teil, den ich in Bezug zur mir selbst vielleicht gar nicht habe. Es war wunderschön, wie viele Schichten sie der Figur noch hinzugefügt hat.
Sie trifft als Heldin auch sehr ungewöhnliche Entscheidungen.
Das war auch ein Grund, warum wir diesen Film machen wollten: Um mit Erwartungshaltungen zu brechen. Alles andere war mir zu platt. Ich wollte einen Science-Fiction-Film machen, wo es ums Heldentum geht, aber dieses Thema auch ziemlich brutal abgehandelt wird-
Interessant ist auch, dass die Erde irgendwann auch zu einem Ort wird, an dem man nicht unbedingt zurück will.
Das war auch ein bisschen der Spaß daran. Normalerweise wollen die Astronauten immer auf die Erde zurück, aber ich fand es cool, diese Geschichte anders zu erzählen. Die Frage, die sich – auch für das Publikum – stellt, ist ja: Was ist, wenn ich in einen Bunker der Superreichen hinein dürfte? An einen Ort, wo einem nichts passieren kann? Wie geht man mit diesem Privileg um? Darum ging es mir. Und die Frage stellt sich dann auch: Wie sehr ist man noch bereit, anderen zu helfen, wenn man selbst in Sicherheit ist? Das fand ich sehr spannend.
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