Radikales "Rheingold" im Ruhrpott

Alberich (Leigh Melrose) als Lüstling mit den Rheintöchtern
Wagner ergänzt mit DJ-Klängen und einem Jelinek-Text in einer historischen Industriehalle.

Wie können Opernproduktionen alte Stoffe heute einigermaßen zeitgemäß erzählen? Und: Wie schaffen es Kulturinstitutionen, vermehrt junges Publikum zu einem Besuch zu verführen?

Das sind zwei der wichtigsten Fragen für ein nach vorne blickendes Musiktheater. Die Ruhrtriennale, 2002 von Gérard Mortier gegründet, hat auch keine letztgültigen Antworten – aber sie stellt sich diesen Themen zumindest. Heuer in besonderem Maße, etwa bei der Aufführung von Richard Wagners "Rheingold" in der Jahrhunderthalle in Bochum.

Waggons und Waffen

Bei diesem Veranstaltungsort handelt es sich um einen Komplex zahlreicher Industriegebäude mit einer gigantischen kathedralenartigen Stahlkonstruktion im Zentrum. Dieses Gebäude, in dem nun Oper gespielt wird, war einst die Gaskraftzentrale für die Produktion nahtloser Eisenbahnräder, wie sie bis heute bei ICE-Waggons verwendet werden. Hitler wählte diese Anlage zum deutschen Vorzeigebetrieb, selbstverständlich wurden im Krieg dort Waffen hergestellt.

Radikales "Rheingold" im Ruhrpott
rheingold

Auch deshalb erinnert die Jahrhunderthalle an die Serbenhalle in Wiener Neustadt, in der Paulus Manker zuletzt "Alma" gezeigt hatte. Mit dem großen Unterschied, dass das Gelände in Bochum aufwendigst renoviert wurde und als Zentrum der Ruhrtriennale dient.

Diese wird heuer erstmals von Johan Simons geleitet, der selbst "Rheingold" inszenierte. Das Innovative daran: Sowohl Wagners Partitur als auch dessen Libretto sind nicht mehr sakrosankt, sondern werden aufgebrochen und ergänzt. Das Libretto durch einen Einschub von Elfriede Jelineks Essay "Rein Gold", eine Entlarvung von und Abrechnung mit Kapitalismus, deklamatorisch, ja aggressiv und höchst intensiv vorgetragen zu Beginn der Nibelheim-Szene von Stefan Hunstein. Dieser spielt Sintolt den Hegeling, eine in der "Walküre" erwähnte Figur, die diesfalls in "Rheingold" als Diener der Götter auftritt.

Hörner und Hämmer

Wagners Partitur wiederum wird erweitert (in den zentralen Stellen jedoch nicht angetastet) durch elektronische Musik des finnischen DJ Mika Vaino. Seine dröhnende Klanginstallation, das Es-Dur-Gewummere von "Rheingold" vorwegnehmend, begrüßt die Besucher schon beim Eintreten, sodass auch die formalen Grenzen der Oper durchbrochen werden.

Den spektakulärsten DJ-Einschub gibt es ebenfalls in Nibelheim, wenn zusätzlich zu den Elektronikklängen die Musiker des Orchesters MusicAeterna am Pult Hämmer holen, um damit die Stahlträger der 66 Meter langen Halle zu bearbeiten. Ein grandioser Effekt.

Dirigiert wird das riesige Ensemble (es gibt etwa fünf Harfen) von Teodor Currentzis, der zur Zeit als einer der aufregendsten und kreativsten Dirigenten weltweit gefragt ist. Currentzis, der vor allem mit Mozart-Interpretationen für Aufsehen gesorgt hatte, dirigiert in Bochum erstmals Wagner: Ohne Rücksicht auf Aufführungstraditionen, frech, aber dennoch respektvoll, enorm temporeich, aber die Zwischenspiele oder etwa die Erda-Szene durchaus zelebrierend, farbenprächtig und höchst emotional.

Die Inszenierung von Johan Simons ist sehr politisch, thematisiert die Geschichte des Ruhrpotts von einst und heute und passt perfekt in das Industriegebäude. Der Regisseur erzählt von ausgebeuteten Arbeitern (den Nibelungen) und überheblichen Göttern im Stil der Krupp-Familie, von Armut und Dekadenz, von Arbeitslosigkeit und Gewinnmaximierung. Das Orchester ist ins Zentrum der Produktion gerückt (im Gegensatz zu Bayreuth also sichtbar) und Teil der Inszenierung, wenn etwa alle Musiker zur Steigerung der Effekte gleichzeitig aufstehen. Darüber thront auf der Bühne von Bettina Pommer Walhall, darunter ist die Götterburg in drei großen (Rhein)-Becken bereits untergegangen. Simons schafft es mit diesem Kunstgriff, Anfang und Ende des " Ring des Nibelungen" zu verknüpfen, mit "Rheingold" schon die "Götterdämmerung" vorwegzunehmen.

Gesang und Gummi

Die größte darstellerische Leistung erbringt Alberich (Leigh Melrose), der im Wasser singt, sich an Gummipuppen vergeht, springt und turnt, als ginge es um sein Leben. Auch Loge (Peter Bronder), Erda (Jane Henschel) und Fafner (Peter Lober, inszeniert im Stil russischer Arbeiterplakate) sind exemplarisch gut besetzt. Mika Kares bietet als Wotan gesanglich Stückwerk statt schöner Bögen. Die Rheintöchter (Anna Patalong, Dorottya Láng, Jurgita Adamonytė im Stil von Trümmerfrauen) und Fricka (Maria Riccarda Wesseling) bieten solides Mittelmaß.

Aufgewertet ist Freia: Agneta Eichenholz spielt eine an der Leine herumgeführte Latex-Sklavin der Götter – in der Gewalt der Riesen geht es ihr plötzlich besser, und sie darf Kleider tragen. Ein kluges Statement zum Thema Besitz und Exzess.

Drei Saisonen lang leitet Simons die Ruhrtriennale. Die Wiener Festwochen, die auch auf dieses Konzept gesetzt hatten, sind davon wieder abgerückt. Von der deutschen Kritik wurde Simons’ "Rheingold"-Produktion als nicht radikal genug bezeichnet. In Österreich könnte man froh sein, einen Teil dieser szenischen Innovationskraft auf der Bühne zu sehen.

KURIER-Wertung:

Radikales "Rheingold" im Ruhrpott
Alberich (Leigh Melrose, Mitte) als unterdrückter Kohlearbeiter

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