Bei dem russischen Komponisten ist Netrebko in ihrem Element. Wenn sie im dritten Akt um ihr Schicksal bangt, lässt sie die Furcht dieser jungen Frau mit Emphase spüren. Mit ihrem dunkel timbrierten Sopran drückt sie die Einsamkeit, das Verlorensein ihrer Figur mit einer Wahrhaftigkeit aus, die zutiefst bewegt. Man nimmt ihr diese junge Frau ab, die Gewissheit darüber haben will, ob ihr Geliebter ihre Großmutter getötet hat oder nicht. Netrebko singt das betörend schön, bringt die Farben ihrer Stimme zum Leuchten und wird dafür zurecht ausführlich bejubelt.
Russischer Otello
Yusif Eyvazov hat den Hermann bereits vor einigen Jahren an der Met in New York gesungen. Er hat die Kraft, diese fordernde Partie, die auch „der Otello des russischen Repertoires“ genannt wird, von der ersten bis zur letzten Note mühelos zu stemmen. Dabei leuchten von Szene zu Szene immer mehr Farben in seiner Stimme auf. Das könnte man mit dem Polieren von Metall vergleichen. Eyvazov spielt als Hermann das Ass, das ihn reich machen kann, nicht aus, auf der Bühne ist er das Ass. Subtil zeigt er den Hermann als geheimnisvollen, introvertierten Fremden, der wie von unsichtbarer Hand gesteuert mit allen Mitteln der betagten Gräfin das Geheimnis um drei gewinnbringende Karten abringen will und sich immer mehr zum Psychopathen wandelt.
Elena Zaremba ersetzt das Dämonische dieser Figur durch eine gewisse noble Zurückhaltung. Boris Pinkhasovich bewährt sich auch in dieser Serie als eleganter Jeletzki. Seine Liebesklärung an Lisa kostet er mit jeder Note aus. Alexey Markov ist ein markanter Tomski und ergänzt unauffällig als Pluto. Stephanie Maitland lässt als Gouvernante aufhorchen. Hiroshi Amako und Dan Paul Dumitrescu intonieren solide die Spieler. Maria Nazarova ergänzt makellos als Mascha und Chloe.
Gezügeltes Grauen
Elena Maximova hat es mit ihrem Klagelied als Polina nicht leicht, denn Timur Zangiev dehnt diese Passage mit dem Orchester aus. Bei den Salzburger Festspielen überzeugte dieser Dirigent mit Prokofjews „Spieler“. Im Graben der Wiener Staatsoper hat man den Eindruck, dass er ständig etwas ausprobieren will. Das geht auf Kosten der Spannung. Das musikalisch gezügelte Grauen hält den Horror dieser Musik in Grenzen. Aber das kann sich bei den nächsten Vorstellungen ändern.
Das Publikum bejubelte alle Beteiligten. Nach der Vorstellung warteten mehr Anhänger vor dem Bühnenportal der Staatsoper auf La Netrebko und die anderen als zuvor mit ukrainischen Fahnen gegen ihren Auftritt protestiert hatten.
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