„Was mir OTTO SCHENKte“: Heinz Marecek über seine wichtigste Lebensfigur

Otto Schenk und Heinz Marecek beim Mittagsschläfchen.
Heinz Marecek ist und bleibt ein „Schenk-Bua“. Hier ruft er Otto, dem Großen dankbar nach.

Schon arg, jemanden anzuhimmeln, der einem die Hölle verspricht: „Ich bin gekommen, um die letzten Reste an Theaterbegeisterung in Ihnen auszutreten wie einen alten Tschick!“

Mit diesen Worten begann Otto Schenk in den frühen 1960er-Jahren die allererste Unterrichtsstunde vor den Neuen am Reinhardt-Seminar, wie sich sein damaliger Schüler und lebenslanger Bewunderer Heinz Marecek (er wird heuer 80) gut erinnert.

Mit dem „Theaterer“, so Schenks Eigendefinition, entwickelte sich eine innige Seelenverwandtschaft, die jeder Zerreißprobe dank zärtlicher Zuneigung standhielt. Für den KURIER blättert Marecek anlässlich des Todes seiner „wichtigsten und prägendsten Bühnen- und Lebensfigur“ (mit 94 am 9. 1.) sowohl im Poesiealbum als auch im Anekdoten-Almanach.

„Was mir  OTTO SCHENKte“: Heinz Marecek über seine wichtigste Lebensfigur

Bad im Irrsee

KURIER: Wie kam’s zum Foto mit Schenk in Schlamm und Wasser?

Heinz Marecek: Ende der 1970er hatte ich während der Salzburger Festspiele, ein paar Hundert Meter von Schenks Domizil entfernt, ein Haus am Irrsee gemietet. Das vereinbarte Ritual sah vor, dass ich das Schlafzimmerfenster offen lassen musste, weil er mir da täglich um halb acht ein Pockerl (Tannenzapfen) hereinschoss. Dann joggten wir zu seinem Haus, die letzten 200 Meter auf sein Kommando im Sprint. Ich habe kein einziges Mal gewonnen – aber das kühle Schlammbad im See und das feine Frühstück danach genossen.

Da ist der „Burli“ (so Mareceks Spitzname) seinem Idol nachgelaufen?

Ich hatte das große Glück, dass meine Liebe von ihm sehr schnell erwidert wurde. Er war im Unterricht und im Vorspielen so einleuchtend und überzeugend, dass ich ständig hinausrufen wollte: „Genau! So ist es! Richtig!“ Man konnte so ungeheuer viel mitnehmen und verwerten. Er war und blieb ein ungemein gebildeter, belesener und kunstsinniger Feuergeist, den die Lust am Beobachten und die Leidenschaft, das Beobachtete so gut und echt wie möglich weiterzuerzählen zutiefst erfüllte. Wir fanden später sogar eine stillschweigende Übereinkunft, signalisiert durch kaum merkliches Zunicken, wenn es galt, einen Wichtigtuer oder Trottel zu erkennen.

Konnte er auch Angst verbreiten?

Nun, er hat mich oft in seinem Peugeot 404, mit dem Kennzeichen W 17.227, in die Stadt mitgenommen, wenn er vom Reinhardt-Seminar zur Oper musste. Diese Strecke bewältigte er in sechs Minuten, weil er mit 130 Sachen über die Mariahilfer Straße bretterte – fast nur auf den Straßenbahngleisen. „Weißt, Burli“, erklärte er mir dann und deutete abschätzig auf die Autospur, „da rechts derfst nie fahr’n, des halt’ nur auf.“

Schenk, der Genießer, kochte gern selbst. Konnte er das auch gut?

Weil grad von Angst die Rede ist: Einmal bin ich, als totaler Nichtauskenner, mit ihm im Wald am Irrsee Schwammerln suchen gegangen. Er hat die Pilze wie der „Schnitter Tod“ abgesäbelt und wir trugen sie im Nylonsackerl zum Seewirt, dem Enzinger-Ferdl. Dort hat der Otti begonnen, ein Schwammerlgulasch zuzubereiten. Ich habe zart gefragt: „Bist du eh sicher, dass da keine Giftigen dabei sind?“ Da hat er mir nur einen strafenden Blick zugeworfen und gemurmelt: „Wie du am Leben hängst, das is ja direkt unappetitlich.“

Was war der Zauber des grantigen Großmeisters des Humors?

Er stellte sich die richtigen Fragen und fand die gültigen Antworten darauf: Wie verhalten sich Menschen in bestimmten Situationen? Wie verraten sich innere Zustände? Wie versuchen Menschen diese Zustände zu verbergen? Wie gut oder wie schlecht lügen sie? Wann und warum werden sie ungeschickt? Er hatte nicht nur Humor, sondern auch Selbstironie. Dazu gehört die Geschichte seiner eigenen Aufnahmsprüfung fürs Reinhardt-Seminar.

Als ihn Helene Thimig abkanzelte?

Ja. Sie sagte nach seiner Darbietung knallhart: „Nein, nein, nein – das muss man ganz anders spielen.“ Als der blutjunge Schenk nachfragte: „Ja, aber wie anders?“, teilte ihm die legendäre Schauspielerin lapidar mit: „Ganz einfach: besser!“

Wie viel Schenk steckt in Marecek?

Was wir teilten, war diese unendlich kindliche Freude am Widerhall. Wir lieben begeisterte Leute im Publikum. Das ist der Sinn des Theaters! Der Otti pflegte ja kokett zu sagen: „Ich wurde Schauspieler, um berühmt zu werden.“ Ich aus genau demselben Grund. Sonst wär’ ich ja lieber a Fenster in Melk. Als ich vor vielen Jahren den großartigen Ernst Waldbrunn im Spital besuchte, nahm er meine Hand und sagte: „Ich weiß, du bist a Schenk-Bua. Aber könntest du net wenigstens verbreiten, dass du die Unarten von mir hast?“

Gutes Stichwort. Wenn schon nicht unartig, so doch eigenartig war die Angewohnheit Schenks, nach fast jeder Mahlzeit noch am Tisch einzunicken – egal ob daheim oder als Gast. Gibt es da ein Erlebnis?

Ach, viele! Am schönsten finde ich die wahre Geschichte aus dem Jahr 1995, als wir in dem berührenden Stück „Potasch und Perlmutter“ gemeinsam auf der Bühne der Kammerspiele standen.

„Was mir  OTTO SCHENKte“: Heinz Marecek über seine wichtigste Lebensfigur

Potasch und Perlmutter: Schenk und Marecek in den Kammerspielen

Allabendlich begleitete ich ihn nach Hause. Immer, wenn wir am Rudolfsplatz ankamen, bat er mich noch auf einen Sprung hinauf zu Tee und Cremetorte mit seiner Frau Renée. Und immer nickten die beiden nach wenigen Bissen ein. Als ich mich einmal leise davonschleichen wollte, ergriff Otti wie in Trance meine Hand: „Nicht geh jetzt, wo’s grad so gemütlich is!“ – Diesen Satz würd’ ich ihm gern nachrufen.

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