Volksoper: Eine "Zauberflöte" wie aus dem Bilderbuch von heute

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Lotte de Beer inszenierte Mozarts Hitwerk als Kinderfantasie mit viel Video. Musikalisch achtbar umgesetzt.

Es verstehe die Opernwelt, wer will - manches bleibt rätselhaft. Etwa, warum ein unentwirrbares Werk über Männerbünde, Schweigeprüfungen, Auftragsmordpläne, Selbstmordgedanken und Vogeljagen opernhistorisch als ganz besonders anschlusstauglich für Kinder eingebucht wurde. Aber, nun ja, Mozarts "Zauberflöte" gilt als genau das. Und zugleich halt als vielleicht allergrößte Oper überhaupt. 

Was als extraweiter Meinungsspagat durchaus eine Inszenierungsherausforderung ist. Die Volksoper nun schlägt sich zu 100, wenn nicht 110 Prozent auf die ideologische Seite "niederschwelliges Einstiegswerk": Hausherrin Lotte de Beer inszeniert die "Zauberflöte" als nie unfreundlich werdende Kinderfantasie in jener Optik, die bildungsbeflissene Eltern von aktuellen Kinderbüchern kennen, oder, wenn man dann auch selbst ein bisschen Ruhe braucht, aus dem Kinderfernsehen. 

Ein Bub sitzt anfangs auf der Bühne und zeichnet. Auf seinem Block wird, per Video auf sich bewegende Leinwandelemente projiziert, die gesamte Oper entstehen: Er ist, sieht man im Laufe des Abends, Scheidungskind und noch dazu mit den großen Fragen des Erwachsenwerdens konfrontiert, die eh die gleichen sind wie jene des Erwachsenseins: "Wer bin ich", fragen Tamino und Pamina und noch einige andere, und ja, es geht um Liebe und Wissen und darum zu erkennen, wer es mit einem gut meint und wer nicht.

Die Fantasiewelt, in die sich das Kind vor den Streits der Eltern flüchtet, erwacht also zum Video-Leben (Bühnenbild und Illustrationen: Christof Hetzer, Animation Lead: Roman Hansi), und der echte Tamino fliegt auf einem gezeichneten Bett herbei. Die ersten engen und schmalen Töne von David Kerber waren zum Glück nur Startschwierigkeiten, er fügt sich in eine achtbare musikalische Umsetzung ein. Tobias Wögerer und das Orchester setzen auf einen vollen, symphonisch breiten, nicht übermäßig spritzigen Sound, so flott, dass man dem witzigen, stimmlich sehr guten Daniel Schmutzhard als Papageno anfangs ordentlich davonlief, aber auch hier fand man zum Glück bald zusammen.  

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Die Optik des Abends ergibt sich aus der zentralen Regieidee: Das Personal trägt Kinderkleidung - Baseball-Leiberln, kurze Hosen, man sieht Farb- und Kreidekleckse am Gewand, und die Gesten und Mimik und Pointenfreude der Kinderoperntradition. Die Männerbündler des Sarastro (Stefan Cerny kostet genussvoll die tiefen Töne aus) sind Schachfiguren, immer wieder gibt es Weihnachtsbäume und zerbrochene Christbaumkugeln, weil die Rahmenhandlungseltern halt gerne zu Weihnachten streiten. Man darf hier ruhig auch als erwachsenes Publikum einen Gedanken jener Trauer und Verlorenheit widmen, die Kinder bei Trennungen so durchmachen.

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Erfreulich Rebecca Nelsen als Pamina, sie schafft den Spagat zwischen schönen Tönen und der glaubwürdigen Darstellung einer jungen Frau, die lieben will, nicht weiß, wie, und so nebenbei von der Mutter mit einem Mord beauftragt wird. Die  quirlige Papagena von Jaye Simmons hätte mehr Raum verdient. Dafür stieg man bei den drei Damen ziemlich drauf: Die eilen wie schräge US-Touristinnen durch die Märchenwelt.

Anna Simińska hat die Königin der Nacht schon an vielen Orten gesungen, es ist eine wahnsinnig schwere Partie. Jener allzu bekannte Moment der Oper mit den Kampfkoloraturen und auch das Rundherum wird hier dennoch eher absolviert als gestaltet, das hat man schon wesentlich besser gehört. 

Womit man nun bei der Gesamtbewertung wären, die diesfalls keineswegs geradlinig ist. Die Inszenierung ist eine Einladung an Kinder (ab 9) und deren Eltern mehr als eine Produktion, die auf Mozartpuristen setzt. Das lässt sich in der Aufgabenstellung der Volksoper sehr gut argumentieren, und trotz eigener Nebenspielstätten und einstigen "Kinderzauberflöten" an Schließtagen gibt es halt kein anderes Haus in Wien, das mit dem ganzen Orchester, dem Chor und den hauseigenen Paradestimmen ein groß angelegtes Angebot für junges Publikum stellt. 

Am Schluss gab es Jubel, dem muss man, klar, bei Premieren nicht vertrauen. Aber ebensowenig den Buhrufen für De Beer: Sie nimmt die "Zauberflöte" als das Ernst, was die Opernhistorie in ihr gerne sieht, und das kann man durchaus so machen.

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