"Zauberflöte": In der Volksoper sind Schwarze nicht mehr "hässlich"

Es ist heuer die bereits zweite neue „Zauberflöte“ in Wien: Nach der Staatsoper, die Mozarts Hitwerk im Jänner zur Premiere brachte, zieht am Sonntag die Volksoper nach.
Hausherrin Lotte de Beer inszeniert die erste Premiere der neuen Saison selbst: Sie erzählt das Werk aus einer jungen Perspektive heraus, etwas, das bei der oftmals für Kinder angepriesenen Oper ja nahezuliegen scheint.
Zum Auftakt des Interviews muss der KURIER-Redakteur aber ein Geständnis machen.
KURIER: Als Kind habe ich überhaupt nichts bei der „Zauberflöte“ kapiert. Außer, dass die Erwachsenen die Oper super fanden und sie lustig sein sollte. Zumindest für mich war es weder lustig noch berührend.
Lotte de Beer: Genau! Im zweiten Akt kennt man sich überhaupt nicht mehr aus und denkt sich: Mit wem soll ich da eigentlich mitfühlen? Andererseits singt jedes dreijährige Kind die Melodien mit. Musikalisch ist es ein Zauberwerk, aber es hat auch so viele Fragezeichen. Was ist Gut, was Böse? Was heißt es, ein Mann zu sein, was, eine Frau zu sein? Überhaupt: Was heißt es, ein Mensch zu sein? Haben Sie Antworten? Obwohl es kein Kinderstück ist, ist es ein junges Stück – für mich eines über das Erwachsenwerden. Dass einmal der eine, dann wieder der andere böse ist – das erinnert mich an die Gedankenwelt eines 14-jährigen Buben. Er ist in eine Kampftrennung geraten, und lebt einmal in der Welt, in der der Papa der Böse ist, dann wieder die Mama. Ich lasse daher einen 14-jährigen Buben den Autor dieser Geschichte sein. Er zeichnet ein Märchen und so wie das immer geht mit Autoren, fließt auch seine eigene Biografie in diese Erzählung ein. Papageno, Pamina und Tamino verkörpern dabei unterschiedliche Facetten seiner Gefühle und seiner Persönlichkeit. Wir erzählen so die Geschichte auf zwei Ebenen, der Märchenebene und der psychologischen. Denn der Weg ins Erwachsenenwerden ist das größte Abenteuer, das wir erleben.

Meistens kein angenehmes.
Der Weg ist schrecklich! Plötzlich hat man vom Apfel vom Baum der Erkenntnis über Gut und Böse abgebissen – und ist aus dem Paradies gestürzt. Das machen wir alle als Kinder durch. Und das sind für mich diese Prüfungen: Man bekommt etwas von den Erwachsenen serviert, und muss selbst aus all diesen Rätseln etwas für sich errichten.
Gibt es dabei eine Lösung?
Nein, aber man sieht am Schluss den Anfang einer Reise. Ich finde es so schlimm, dass die weibliche Seite, die Königin der Nacht, Monostatos, der einzige schwarze Mensch, und die drei Damen in die Hölle stürzen. Das kann doch kein Happy End sein! Bei uns kommen Pamina und Tamino zurück und denken sich, „Entschuldigung, geht’s noch?“ Und dann nehmen sie die Zutaten der Traumata, die die Erwachsene auf sie geladen haben, und bauen daraus ein Schiff, um in die eigene Zukunft zu reisen.

Man hat ohnehin den Eindruck, dass Mozart und Schikaneder in der „Zauberflöte“ Dinge aneinandergereiht haben, die fürs Theater funktionieren – und nicht unbedingt zusammenpassen müssen.
Das macht es ja eigentlich so wunderbar! Es ist geschaffen aus einer Unmittelbarkeit, aus Spielfreude, es ist so sinnlich. Aber ich glaube, man findet keine große einzige Wahrheit in dem Stück. Man muss das Material nehmen und sich denken: Was und wie spielen wir damit?
Das haben schon viele, viele Regisseure in Wien gemacht. Da lastet schon viel Geschichte auf jeder Neuinszenierung, oder?
Es ist das Tolle an Wien mit seinen drei Opernhäusern in diesem Musikland, dass wir diese Meisterwerke immer wieder neu interpretieren. Und zwar so, dass es etwas darüber sagt, wer wir im Moment sind, und über die Geschichte, die wir im Moment miteinander teilen wollen.

Jetzt gibt es aber gerade bei der „Zauberflöte“ die Gefahr, dass das Publikum mit einem klaren Bild in die Vorstellung geht, so eines mit Federgewand und Vogelkäfig. Und das ist dann das Maß, an dem die neue Interpretation gemessen wird.
Ja. Ich glaube aber, wenn wir das so machen würden, wenn wir einfach die Erwartung auf die Bühne bringen, wie wir es immer gemacht haben, dann sind wir weit weg vom sprühenden Geist von Schikaneder und Mozart. So macht man auch ein Genre kaputt, denn Theater ist jetzt! Theater ist, was wir heute miteinander fantasieren und miteinander erzählen und spüren. Was ich versucht habe, ist ein Märchen so zu spielen, dass man ohne Vorkenntnis mitgehen kann. Und dann haben wir die Ebene darunter und ich hoffe, dass die Leute sich darauf einlassen wollen.
Ein anderer Aspekt ist die musikalische Umsetzung. Auch in Klangfragen gab es zuletzt viel Bewegung – und starke Meinungen.
Wir haben mit der „Nozze“ einen Versuch gemacht. Omer (Meir Wellber, Anm.) hatte eine außergewöhnliche Herangehensweise, die mir sehr viel Spaß gemacht hat. Es ist alles drin in Mozart! Man kann es sehr klassisch machen, oder eben rockig. Man kann auch sehr auf der Text gehen, was wir nun in der „Zauberflöte“ machen. Wir haben ein Ensemble von richtigen Mozartsängern. Die das natürlich sehr gut singen können, aber auch das Sprechen und Singen ineinander verknüpfen. Es ist schließlich eine Spieloper.
Was es extraschwierig macht.
Ja. Aber auch etwas, das wir richtig gut können. Das Sprechen, die Unmittelbarkeit und das Im-Moment-Sein der gesprochenen Dialoge fließt in die Musik rein.
Ab Sonntag, 14. September 2025, zeigt die Volksoper in Wien eine neue „Zauberflöte“. Intendantin Lotte de Beer inszeniert, am Pult steht Tobias Wögerer.
Besetzung
David Kerber (Tamino), Rebecca Nelsen (Pamina), Daniel Schmutzhard (Papageno), Jaye Simmons (Papagena), Stefan Cerny (Sarastro), Anna Simińska (Königin der Nacht), Karl-Michael Ebner (Monostatos).
Besuch
Die Neuinszenierung ist ab 9 Jahren empfohlen. Karten, Termine und weitere Info auf
Gefällt Ihnen alles, was man da so hört? Das Frauenbild?
Die Welt ändert sich. Mozart und Schikaneder waren damals revolutionär und provokant. Wie man über schwarze Menschen, Frauen oder Sexualität spricht, hat sich geändert. Und genau damit muss man umgehen. „Ein Weib tut wenig, plaudert viel“? Bei uns sagt das ein verwirrter alter Mann, der eine Puppe in der Hand hält. Und der Bub, dem er das erzählt, denkt sich: „Häh, was?“ So kann man das Stück und seine Töne lassen, aber man beleuchtet es auf eine andere Weise.
Geht sich das immer aus? Oder haben Sie etwas geändert?
Mozart hat wahrscheinlich nicht viele schwarze Menschen gekannt. „Und ich soll die Liebe meiden, weil ein Schwarzer hässlich ist“? Das will ich auf der Bühne nicht hören.
Also wird es anders?
Man kann mit der Änderung eines Wortes die Geschichte erzählen. „Weil ein Junge hässlich ist“ – denn auch das wird von dem 14-Jährigen gezeichnet, der sich wie so viele jungen Menschen denkt, dass er hässlich ist, wenn er sich in den Spiegel schaut. Er fragt sich: Wer wird mich lieben? Dann hat es plötzlich eine emotionale Sprengkraft und holt das Rassistische weg. Denn warum würde man darüber etwas heute erzählen wollen?
Manche empfinden das als Eingriff in ein geniales Werk.
Wenn wir so dogmatisch sind, dann hört es irgendwann auf, dass wir diese Werke spielen wollen oder sehen wollen. Die Musik spricht eine universelle Sprache und geht direkt ins Herz. Das muss man nicht übersetzen. Aber Theater lebt nur im Augenblick. Man spielt für ein Publikum, das jetzt zuschaut. Und wenn man das nicht ans Jetzt anpasst, dann hat man verloren.
Insgesamt ein harter Brocken zum Saisonstart, oder?
Ich bin nicht nur Intendantin und Regisseurin, sondern auch Mutter. Und man will eigentlich zum ersten Elternabend gehen und sich ganz langsam einleben in den Alltagsrhythmus. Und dann gleich das! Gott sei Dank habe ich ein ganz tolles Team um mich. Da es es ein filmlastiges Projekt ist, haben wir den ganze Sommer Videos hin und hergeschickt. Ich glaube, ich bin schon wieder bereit für Ferien! (lacht)
Es ist auch der Start in eine Saison, die viele Fragezeichen hat: Das Land muss viele Milliarden sparen.
Man schaut sich in der Welt um und denkt: Wie glücklich sind wir, dass wir noch so Theater machen dürfen, dass wir das so feiern dürfen. Wer weiß, was in der Zukunft auf uns zukommt. Deshalb müssen wir alles machen, was das Theater kann: verbinden, berühren, Menschen mit anderen Gedanken anstecken. Jetzt können wir das noch. Die Volksoper ist ja nicht unser Opernhaus, wir dürfen drauf passen und wir müssen das so machen, dass es Sinn ergibt. Das Einzige, das ich machen kann, ist künstlerisch, menschlich, idealistisch, so zu planen, dass es weitergehen kann. Wenn die Weltwirtschaft kippt, dann werden wir alle reagieren müssen.
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