Überwältigend lässt Kate Lindsey das Wort „Fortunately“ mit einem gedehnten „i“ lang ausklingen, ihre Stimme verschmilzt mit der Posaune, löst sich jedoch sofort aus dem Klanggemenge. Das ist erst der erste von unzähligen vokalen Kraftakten, die sie in „Lee Miller in Hitler’s Bathtub“ von Jan Lauwers erleben lässt. Gemeinsam mit der Darstellerin Romy Louise Lauwers verkörpert die Mezzosopranistin die amerikanische Fotografin Lee Miller (1907-1977).
Deren Arbeiten stellte die Albertina vor zehn Jahren in Wien aus. Da war auch jenes Foto zu sehen, das Jan Lauwers, den niederländischen Theatermacher und Vater der Schauspielerin, zu seiner „tragischen Kantate“ inspirierte, die er am Sonntag im NEST, der neuen Spielstätte der Wiener Staatsoper, zur Uraufführung brachte. Ihre Arbeit als Kriegsreporterin führte Miller am 30. April 1945, dem Tag, als Hitler Selbstmord beging, in dessen Münchner Wohnung. Dort ließ sie sich in der Badewanne ablichten.
Maarten Seghers hat dafür eine über weite Strecken hypnotisierende, atonale Musik komponiert. Dan K. Kurland leitet das Ensemble (Klavier, Violine, Kontrafagott, Cello, Posaune, Schlagzeug), das in zotteligen Fellen auf der Bühne platziert ist. Warum, erschließt sich erst am Ende.
Das titelgebende Requisit hat Lauwers an den hinteren Bühnenrand gerückt. Denn ihn interessieren die Abgründe dieser Frau, die ihr Handwerk als Fotografin bei Man Ray studierte, Pablo Picasso und die französischen Surrealisten faszinierte. Ins Zentrum seiner Betrachtungen stellt er den Missbrauch, den Miller als siebenjähriges Kind durch einen Bekannten der Eltern erlitt. Ausführlich werden die Behandlungen danach geschildert, denn der Mann hatte sie infiziert.
Ihr Vater lebte seine Lust an ihr als Foto-Model aus und lichtete sie nackt im Schnee ab. An einer Eisstatue symbolisiert Lauwers die Zerstörung von Millers Kindheit.
Die Gewalttaten, die sie erfuhr hat, machten sie selbst zur Täterin. Zuerst reißt sie ihrem Teddy die Augen aus, am Ende erzählt sie, wie sie in Sibiu einen Tanzbären quälen ließ. Deshalb müssen die Musiker im Fell auftreten. Irgendwann erkennt sie: „Eine Frau muss ein Monster sein, wenn sie Künstlerin sein will“. Als Kriegsreporterin sieht Miller stundenlang einem Säugling beim Sterben zu, arrangiert die Leichen einer Nazi-Familie und dokumentiert die Gräuel in Dachau.
Das Herausragende an dieser Produktion sind die beiden Darstellerinnen. Zunächst treten sie wie ein Zwillingspaar in Uniform mit blonden Perücken auf, agieren simultan, hochkonzentriert, bis das erste Wort gesungen wird.
Lindsey intoniert atemberaubend, changiert zwischen dunklen jazzigen Anklängen und intensiven Höhen. Sie geht bis zur Selbstentäußerung, wenn sie eine Frau zeigt, die Zeit ihres Lebens zwischen Unterwerfung und Überlegenheit hin- und hergerissen ist. Lauwers schwebt anmutig, wie eine freche Fee durchs Geschehen und verwandelt sich am Ende in den gequälten Bären. Sehr viel Applaus. Für ein Publikum ab 16.