US-Autorin Rufi Thorpe will mit ihrem Buch "Only Margo" den Madonna-Hure-Komplex sprengen
Mit "Only Margo" liefert Schriftstellerin Rufi Thorpe nicht nur einen unterhaltsamen Roman, sondern auch die Vorlage für eine neue Serie mit Nicole Kidman, Michelle Pfeiffer und Elle Fanning.
Margo ist Anfang 20, schwanger und pleite. Ohne Ausbildung, ohne Job und auf sich allein gestellt, startet sie einen Account auf OnlyFans, um u. a. mit Nacktfotos Geld zu verdienen. Dann zieht ihr Vater Jinx, ein ehemaliger Wrestling-Profi, bei ihr ein – und Margo erkennt, dass OnlyFans und Wrestling mehr gemeinsam haben, als sie vermutet hätte.
Mit „Only Margo“ (ab 28. Jänner erhältlich) ist US-Autorin Rufi Thorpe ein unterhaltsamer, temporeicher und liebenswerter Roman über die Herausforderungen im Leben einer jungen Frau gelungen. Dass es sich um eine zunächst wild anmutende Themenmischung handelt, gibt die in Kalifornien lebende Schriftstellerin selbst zu: „Ich habe das Gefühl, dass meine Bücher anfangs immer wie schlechte Ideen klingen, als würden zu viele widersprüchliche Geschmacksrichtungen zusammenkommen“, sagt sie lachend im Gespräch mit dem KURIER.
Seit Jahren habe sie eine Figur erschaffen wollen, „die den Madonna-Hure-Komplex sprengt, die also sowohl eine wirklich gute Mutter als auch eine wirklich gute Sexarbeiterin ist“, so Thorpe. "Ich wusste lange nicht, wie ich das umsetzen sollte, weil das kulturelle Stigma gegenüber Sexarbeit in den USA so stark ist und Mütter auf ein extrem hohes Podest gestellt werden. Über ihr Verhalten wird sehr schnell geurteilt.“ Als während der Pandemie die Plattform OnlyFans regelrecht explodierte, entstand die Idee zu Margo. „Ich hatte das Gefühl, dass die Leute bei OnlyFans etwas weniger moralisch sind.“
In den Roman eingeflossen ist auch eine Leidenschaft, die Thorpe im Lockdown entwickelte – zu dieser Zeit schauten ihre Söhne am liebsten Wrestling-Shows im Fernsehen. „Meine Mutter und ich gingen jeden Tag mit unseren Hunden spazieren und ich erzählte ihr endlos Geschichten über Wrestling-Stars. Irgendwann meinte sie: Wenn es doch nur eine Möglichkeit gäbe, all das in dein Buch einzubauen, dann müsste ich mir das vielleicht nicht mehr anhören“, lacht Thorpe. „Als ich dann die ersten Szenen mit Jinx geschrieben habe, ist das Buch zum Leben erwacht.“
Moralischer Kompass
Mit Jinx’ Hilfe baut Margo nicht nur ein erfolgreiches Business auf, sondern trotzt auch der Vorverurteilung aus ihrem Umfeld: Kann eine Frau, die ihr Geld auf diese Weise verdient, eine gute Mutter sein? Wenn sie aber kein Geld verdient, wie soll sie dann für ihr Baby sorgen? Wie sie es auch dreht und wendet, fühlen sich Menschen vor den Kopf gestoßen.
„Wenn die Leute keine gute Meinung mehr von dir haben, kannst du ihre Zustimmung nicht mehr als moralischen Kompass nutzen. Das zwingt Margo dazu, sich über ihre eigenen Werte Gedanken zu machen und sich zu fragen: Wer will ich eigentlich sein? Das empfinde ich als sehr ermächtigend.“ Genau darum gehe es auch in ihrem Roman: Wie man stark wird und wie female empowerment funktioniert. „Einer der wichtigsten Aspekte dabei ist, dass man aufhört, ein ,braves Mädchen‘ sein zu wollen. Das heißt nicht, dass es nicht wichtig wäre, ein guter Mensch zu sein. Margo ist ein von Grund auf guter Mensch, empathisch und liebevoll. Doch sie muss sich davon lösen, was die Gesellschaft als ,gut‘ definiert.“
Rufi Thorpe: „Only Margo“. Übersetzt von Heike Reissig. Ecco. 352 Seiten. 18,50 Euro
Zwei, drei Sandwiches
Thorpe hat viele Stunden auf der OnlyFans recherchiert und den Frauen auf der Plattform Trinkgeld gezahlt – nicht, um expliziten Content zu sehen, sondern um sie über ihren Job und die Kunden befragen zu können. „Am Anfang war ich schockiert zu erfahren, dass Männer wollen, dass ihre Penisse bewertet werden. Ich würde niemals dafür bezahlen, dass jemand meine Vulva bewertet. Margo sagt an einer Stelle im Buch auch, dass man sich für das Geld zwei, vielleicht sogar drei Sandwiches kaufen könnte“, schmunzelt Thorpe. Beeindruckt habe sie „die Stärke und Reife der Models, mit denen ich gesprochen habe. Um diese Arbeit machen zu können, muss man klare Grenzen setzen. Das ist etwas, das ich selbst erst viel später in meinem Leben gelernt habe.“
Schattenseiten
Während OnlyFans für Margo eine ideale Möglichkeit bietet, ihr Leben zu finanzieren und unabhängig zu sein, hat die Plattform auch Schattenseiten. „Es gibt definitiv das Potenzial für Missbrauch und Entmachtung bei OnlyFans. Aber im Vergleich zu anderen Formen von Sexarbeit ist es meiner Meinung nach die am meisten nutzerinnenorientierte Option. Wenn man das selbstständig betreibt, hat man die Kontrolle darüber, wie man sich präsentiert, mit wem man zusammenarbeitet, was man macht und was nicht. Außerdem bekommt man einen größeren Anteil der Einnahmen.“ Wahr sei aber auch, dass die meisten Frauen damit keine großen Summen erwirtschaften.
Beim Schreiben habe Thorpe sich auf die positiven Aspekte konzentriert. Fälle, in denen Frauen zum Erstellen von Pornos für OnlyFans gezwungen werden, waren 2020, als der Roman entstand, noch nicht in dem Ausmaß wie heute bekannt. „Ich denke auch, dass das Buch wahrscheinlich düsterer wäre, wenn ich es heute schreiben würde“, so die Autorin.
Aktuell arbeite sie an einem Roman, in dem es u. a. um Fake News geht. „Dass es in den USA keine gemeinsame Basis gibt, um sich darauf zu einigen, was unsere Realität ist, macht mir wirklich Angst und ich weiß nicht, wie wir da wieder rauskommen sollen.“ Ein hoffnungsvoller Roman wie „Only Margo“ habe jedoch nach wie vor seine Daseinsberechtigung: „Es ist nie eine schlechte Sache, wenn Frauen ein Buch lesen, durch das sie sich stark und ermächtigt fühlen – unabhängig von den dunklen Zeiten, in denen wir leben.“
Ein Buch, das auch Serienmacher David E. Kelley („Big Little Lies“) überzeugte: Ab Februar wird „Only Margo“ mit Elle Fanning, Michelle Pfeiffer und Nicole Kidman für AppleTV+ verfilmt.
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