All diese Merkmale finden sich auch in seiner neuen, sechsteiligen Mini-Serie „Copenhagen Cowboy“ wieder (abrufbar auf Netflix), die Refn nach 17 Jahren erstmals wieder in Dänemark drehte. Stilbewusst frönt er seinen alten Themen wie Verbrechen und Vergeltung – allerdings mit weiblicher Schubkraft. Im Zentrum steht Miu (Angela Bundalovic), eine Superheldin im Trainingsanzug, die emotionstot einen Rachefeldzug durch die Kopenhagener Unterwelt beginnt. Dabei trifft sie auf albanische Menschenhändler ebenso wie auf die chinesische Mafia und frauenmordende Vampire, die die Herrschaft des Patriarchats sichern wollen.
„Miu ist eine Fortsetzung der Figuren, die ich mit Mads Mikkelsen in ,Walhalla Rising’, mit Ryan Gosling in ,Drive‘ und dem thailändischen Darsteller in ,Only God Forgives’ begonnen habe“, sagt Nicolas Winding Refn zum KURIER: „Ich wollte wieder so eine Figur erfinden, doch diesmal sollte es eine Frau sein. Warum? Ich habe zwei Töchter und bin umringt von Frauen – insofern war Miu für mich eine logische Fortsetzung. Außerdem glaube ich, dass Rache einer der Urtriebe menschlichen Verhaltens ist und niemals aus der Mode kommt. “
Seine andauernde Faszination für mafiöse Orangisationen und die Welt des Verbrechens erklärt Refn folgendermaßen: „Es ist weniger die Unterwelt, die mich fasziniert, sondern die Angst vor dem Tod. Wann immer Todesangst ins Spiel kommt, wird auch das Drama besser. Ich drehe ja keine Dokus, sondern mache Spielfilme mit überhöhten Realitäten, die man aber emotional trotzdem nachvollziehen kann. Ich glaube, wenn Shakespeare heute am Leben wäre, würde er nicht über königliche Familien, sondern über Verbrechen schreiben.“
Was seine eigenen Vorlieben für super-stilisierte Neo-Noir-Bilder betrifft, ist der 52-jährige Däne höchst auskunftsfreudig: „Ich bin Fetischist“, erzählt er vergnügt: „Ich liebe es, Dinge zu fetischisieren. Das liegt vielleicht an meiner Dyslexie: Ich konnte sehr lange in meinem Leben nicht lesen. Auch meine Schreibfähigkeit ist sehr beschränkt. Normalerweise sehen Sätze bei mir so aus: ,Eine Person geht durch die Tür und nimmt Platz. Punkt.’“ Refn lacht. Aber das ist noch längst nicht alles: „Zudem bin ich farbenblind. Mit Malerei kenne ich mich kaum aus und im Töpfern bin ich schlecht. Fetischisieren ist alles, was ich kann. Das ist mein Werkzeug.“
Und was gibt es Schöneres, als in eine komplett stilisierte, fetischisierte Neo-Noir-Welt und ihre fiebrigen Bilder einzutauchen?
„Meine Noir-Welt ist großartig für Drama, für Subtext, für Sexualität und Tabu“, schwärmt Refn: „Wir alle leben unser normales Leben, aber in unserer Fantasie wünschen wir uns etwas anderes. Genau da will ich hin.“
Den Titel „Copenhagen Cowboy“ habe er übrigens deswegen gewählt, weil ihm die beiden Buchstaben CC hintereinander gefielen, da sie sowohl „homoerotisch und heterosexuell zugleich klingen. Das gibt meiner Serie einen gewissen sexuellen Unterton, den ich gut finde.“
Obwohl er vor „Copenhagen Cowboy“ für Amazon die Serie „Too Old To Die Young“ drehte, ist Nicolas Winding Refn ein bekennender Kinofan: „Ich liebe das Kino. Das Kino ist wie eine Kathedrale, in der wir gemeinsam etwas erleben. Jedes Mal, wenn ich an einem Supermarkt vorbeigehe, muss ich weinen, weil dort zuvor mit großer Wahrscheinlichkeit ein Kino gestanden ist. Im Ernst. Ich finde das sehr traurig.“
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