Neujahrskonzert: Eine Sternstunde mit Pfiff

Ja, es gab schon viele fabelhafte Neujahrskonzerte in der 75-jährigen Geschichte dieses musikalischen Klassikers. Aber dieses war fabelhafter. Vielleicht sogar am fabelhaftesten. Und dabei ist es völlig egal, ob solche Steigerungsformen überhaupt erlaubt sind, weil sich Mariss Jansons per se künstlerisch superlativisch verhält und mit seinen Interpretationen auszudrücken vermag, was mit Worten ohnehin niemals gelingt.
Was sich am Neujahrstag, im Beisein von UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon als Gast von Bundespräsident Heinz Fischer, im Wiener Musikverein ereignete, war eine Sternstunde. Auch das nicht im abgegriffenen, allzu oft verwendeten Sinn, sondern als Synonym für überirdisch Schönes. Und damit wir gar nicht erst in die Versuchung kommen, allzu pathetisch zu werden (mit Jansons als Vorbild, der zwischen Pathos und Emotion exakt zu unterscheiden vermag), gleich einen Einwand: Der Blumenschmuck war diesmal nicht besonders fantasievoll. Wenn’s nur das ist ...
Ideale Balance
Es gab schon analytische Neujahrskonzerte, kontrollierte, streng strukturierte. Dann solche, bei denen die Musiker – Verzeihung! – spielten, was sie selbst für richtig hielten. Bei Mariss Jansons, dem wichtigsten Dirigenten unserer Zeit, freuen sich die Dialektiker: Er bietet die Synthese aus straffen Zügeln und lockerer Leine, aus tiefgründiger Forschung und Glanz, aus Kopf und Bauch, aus Nouvelle Cuisine und Schweinsbraten. All das in genauer Kenntnis der Materie, nach ewig langer Beschäftigung mit den einzelnen Werken. Das Ergebnis ist verblüffend schön und zugleich höchst intellektuell. Und die Damen und Herren Musiker scheinen ihm bei jeder Geste, bei jeder Bewegung leidenschaftlich zu folgen – man kann nur erahnen, wie viel Arbeit dahintersteckt.
Geprobt wurde diesmal nicht nur am Instrument, sondern auch pfeifend. Bei Carl Michael Ziehrers "Weana Madln" betätigte sich das gesamte Orchester als Chor von Kunstpfeifern. Dem Vernehmen nach hatte der Dirigent die Musiker einzeln zum Probepfeifen antreten lassen. Vielleicht kommt ja beim nächsten Konzert unter Jansons (bitte möglichst bald!) noch das Dudeln dazu. Das Seufzen bei den "Seufzer-Galoppen" von Johanns Strauß Vater funktionierte schon mal sehr gut.
Taktstock von Strauß
Jansons selbst betätigte sich auch als Instrumentalist: Er blies zur Polka "Vergnügungszug" von Johann Strauß Sohn das Signalhorn im Stil eines Bahnwärters. Bei den Proben davor hatte er dafür auch zahlreiche andere Gerätschaften ausprobiert. Für "Extra-Post" von Eduard Strauß ließ er sich von einem Postmeister einen alten Taktstock überreichen – dieser gehörte einst Johann Strauß und ist seit einiger Zeit im Besitz von Jansons.
Am Beginn des Konzerts stand der "UNO-Marsch" von Robert Stolz, der so zu seinem Neujahrskonzert-Debüt kam. Jansons rüttelte das Publikum damit sofort wach, weshalb das Stück an dieser Stelle gut eingesetzt war. An anderer wäre es musikalisch zu sehr abgefallen. Ebenfalls zum ersten Mal gespielt wurde ein Werk von Émile Waldteufel, und zwar dessen Walzer "España" – eine raffinierte Komposition im französisch-spanisch-wienerischen Stil.
Fast nur Highlights
Zu den Höhepunkten des Konzertes, das an solchen reich war, zählten die farbenprächtig und sensibelst musizierten "Sphärenklänge" von Josef Strauß, die man bei diesem Anlass gar nicht oft genug spielen kann; der "Kaiser-Walzer" von Johann Strauß, den der Autor dieser Zeilen noch nie zuvor so schön gehört hat; die von den Geigen virtuos gespielte "Ballszene" von Josef Hellmesberger; die zart flirrende "Libelle" von Josef Strauß; der "Donauwalzer" von Johann Strauß mit großem Tempo und wunderbar ausgereizten Ritardandi – und vieles mehr.

Im kommenden Jahr wird Gustavo Dudamel (dann 35 Jahre alt) als bisher jüngster Dirigent das Neujahrskonzert leiten. Die Latte liegt höher denn je.
Die über Wien schwebende Terror-Warnung hat den Klang der Wiener Philharmoniker nicht trüben können. Das Neujahrskonzert 2016 verlief am Freitag in gewohnter Walzerseligkeit. Dirigent Mariss Jansons vereinte Nationen - nicht nur bei der Eröffnungsnummer, Robert Stolz' "UNO-Marsch".
Jubiläen gilt es für die Philharmoniker am Ersten des Jahres immer zu würdigen. Diesmal betraf es aber das Event an sich: Jansons feierte 75 Jahre Neujahrskonzert mit dem Orchester und stand dabei selbst zum dritten Mal am Pult. Selbstreferenzen gab es keine, stattdessen war Stolz die Ehre zuteilgeworden, zu Beginn an den 70. Jahrestag der ersten UNO-Vollversammlung zu erinnern. Es war das Neujahrskonzert-Debüt für eine Komposition der Operettenlegende.
Philharmonische Pfeifeinlage
Drei Meisterwerke von Johann Strauß schlossen sich an: Der "Schatz-Walzer", die Polka francaise "Violetta" und der "Vergnügungszug" dampften durch den Goldenen Saal des Musikvereins, bei letzterem bediente Jansons persönlich das Signalhorn. Bei Carl Michael Ziehrers "Weaner Mad'ln" überraschte das Orchester zwischendurch mit einem kollektiven Pfeifkonzert. Die Musiker pfiffen die Melodie des Walzers gemeinsam.
Eduard, der jüngste Strauß-Bruder, dessen 100. Todestag im heurigen Dezember ansteht, war mit den beiden Schnell-Polkas "Außer Rand und Band" und "Mit Extrapost", die dem Maestro in Form eines Kapellmeisterstabs übergeben wurde, vertreten. Sein Bruder Josef mit dem bekannten Walzer "Sphärenklänge" und der Polka mazur "Die Libelle". Aber auch eines von zwei Stücken mit den Wiener Sängerknaben stammte von ihm: Das fidele "Auf Ferienreisen". Davor hatte der Kinderchor schon "Sängerlust" von Johann Strauß intoniert.
"Französischer Strauß"
Eine weitere Premiere war eine Komposition von Emile Waldteufel, der Walzer "Espana" des "französischen Johann Strauß". Die Hits, wie der "Kaiserwalzer" blieben aber dem Strauß-Clan, vorzugsweise Johann, überlassen. Den "Seufzer-Galopp" des Vaters ließ Jansons neu orchestrieren.
Als erste Zugabe war "Im Sturmschritt" von Johann Strauß zu hören. Und spätestens "An der schönen blauen Donau" kam man wieder im schwelgerischen Optimismus an. Der "Radetzky-Marsch" entließ das Publikum wie immer in ein hoffnungsgetränktes neues Jahr.
In 90 Länder übertragen
Und das weltweit: Mit 15 Kameras übertrug der ORF abermals in über 90 Länder der Welt mit 50 Millionen Zuschauern. Dem TV-Publikum wurden wieder voraufgenommene Balletteinlagen geboten, heuer im Park von Schönbrunn ("Kaiserwalzer") und in der Kaiserloge in der Freudenau ("Außer Rand und Band"-Polka). Der Pausenfilm rückte Salzburg mit der Dokumentation "Zauberhaftes Salzburg - 200 Jahre bei Österreich" in den Mittelpunkt.
( APA)
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