Kanye West: Stellt euch vor, er hätte einen wilden Tag

Kanye West: Stellt euch vor, er  hätte einen wilden Tag
Der Über-Problembär des US-Hip-Hops hat ein kurzes, tolles, Album veröffentlicht.

Kanye West ist keine leichte Übung. Der Rap-Star fühlt sich der „Drachenenergie“ von Donald Trump verbunden, bezeichnete – zum Missfallen seiner Frau, der für ihre Berühmtheit berühmten Kim KardashianSklaverei als „persönliche Entscheidung“, scheint immer nah am Explodieren und sieht so aus, als hätte er seit der Ära Bill Clinton nicht mehr geschlafen

Kanye West: Stellt euch vor, er  hätte einen wilden Tag

Was ja irgendwie lustig war, bis es zuletzt auch ernst unterfüttert wurde: Er war wegen einer bipolaren Störung in Behandlung, sagte er.

Was wiederum die Rezeption des neuen, kurzen Albums „Ye“ – 23 Minuten, sieben Songs – auch nicht unkomplizierter macht. West tanzt darin auf allen möglichen Vulkanen, von schonungsloser Offenheit (mit Mordgedanken und Überlegungen in Richtung Selbstzerstörung) bis hin zu extremer Kasperlheit.

Das wäre auch egal, wäre West nicht eine der prägenden Figuren des öffentlichen Lebens der Staaten. Und dieses öffentliche Leben hat es eh gerade nicht leicht. West nun rollt von einer anderen Seite das Feld auf ähnliche Weise auf wie : West ist Assoziationsmeister und scheut nicht davor, auf der Ferse kehrt zu machen und nach einem besonders empörenden Statement das Gegenteil zu behaupten.

Man sieht ihm live bei der Selbsterschaffung zu: Und darf man sich immer wieder fragen, wen oder was man da sieht: Einen Gebeutelten, Kranken; oder einen absolut Künstlichen, hoch Berechnenden. „Ich hasse es, bipolar zu sein ist fantastisch“, steht auf dem neuen Album. Es gibt auch sonst keine Antworten. Die Songs sind ein kurzweiliger wundersamer Gesamt-Monolog, der jedem Satz gleich die Entgegnung zuwirft; es streitet ein Superstar mit seinem selbstzweifelnden, aber gewaltigen Ego.

Sich g’spüren

„Die schönsten Gedanken sind immer nah den dunkelsten“, rappt er zu Beginn. In einer der schrägsten (und tollsten) Hymnen überhaupt, „Ghost Town“, lässt West eine Gastsängerin in den Lyrics die Hand auf den Ofen legen, um zu sehen, ob es noch blutet (oder überhaupt etwas fühlt). Tut er nicht, und daher fühlt er sich „irgendwie frei“.

Er g’spürt sich nicht, würde man hierzulande sagen. So reflektiert er in „Wouldn’t Leave“ auch noch – von oben herab – über seinen Sklaverei-Sager: „Stellt euch vor, ich hätte einen wirklich wilden Tag gehabt.“ Die Musik aber unterfütert das mit einem Hörwert, der vieles Kantiges vergessen lässt. Wests abstrakte, Gospel- und Pop-informierte Kunstmusik ist so unverkennbar wie, auf unmittelbare Art, befriedigend. Es sind Hooks dabei, die man beim ersten Mal mitsingen kann. Und verschachtelte Bausteine, die man auch beim x-ten Mal hören noch nicht entschlüsseln kann.

„Manchmal erschrecke ich mich selbst“, sagt West in „ “. Andererseits lässt er, Hip-Hop-gemäß, den Frauenhelden bis zum letzten raushängen. Und West ist bei diesem „letzten“ angekommen: Denn in der Abschlussnummer „Violent Crimes“ überkommt in die Karmafurcht. Er spiegelt das von ihm gerne zelebrierte Frauenbild darin, was seine Tochter dank Männern wie ihm erleben wird müssen. Das ist vielleicht der realste Moment eines irrealen, absolut hörenswerten Albums.

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