„House of Guinness“: Irlands Geschichte im Bierdunst

Mehrere Personen in dunkler, altmodischer Kleidung sitzen ernst nebeneinander auf einer Kirchenbank, eine Frau trägt einen schwarzen Schleier.
Die irische Bierdynastie im Fokus von "House of Guinness": Sehenswerte neue Netflix-Serie des „Peaky Blinders“-Schöpfers Steven Knight.

Der Bestatter ist gerade dabei, Benjamin Lee Guinness ein letztes Mal zum Lächeln zu bringen, während sich vor den Toren der Brauerei eine besondere Trauergemeinschaft versammelt. Da gibt es zum einen ein Grüppchen Protestanten, die dem Verführer zum Bierkonsum ein unfreundliches letztes Geleit in die Hölle geben wollen. Und dann gibt es die noch aufgeheiztere Truppe irischer Republikaner, die dem verstorbenen Bier-Magnaten die Allianz mit dem herrschenden England übel nimmt. Einige Flaschen treffen die Leichenkutsche des selig grinsenden alten Guinness, bevor es zur Schlägerei kommt. Denn Vorarbeiter Rafferty („Bond“-Anwärter James Norton), so treu wie brutal, hat mit bewaffneten Fabriksarbeitern vorgesorgt, damit sein toter Chef wenn schon nicht friedlich, dann wenigstens unbeschadet zum Requiem in die von ihm finanzierte Dubliner Kathedrale gebracht werden kann.

Ungleiches Erbe

Währenddessen treffen sich die hinterbliebenen Kinder, drei Söhne, eine Tochter. Der älteste, Arthur, hat die letzten Jahre in London verbracht und wurde laut jüngstem Bruder Edward (Louis Partridge, „Enola Holmes“) zu einem „unirischen Pinkel“. Benjamin ist dem Alkohol und dem Laudanum zugetan – und dem Glücksspiel, wie man später erfährt. Tochter Anne versucht sich als Mediatorin zwischen den dreien. Dass sie und Ben vom Vater jedoch keine Rolle bei der Zukunft der Brauerei zugeteilt bekommen haben, scheinen Arthur und Edward schon vor der Testamentseröffnung zu ahnen. Sie verschachern untereinander die wichtigsten Funktionen, während sie noch Beileidsbekundungen entgegennehmen. Edward tritt Arthur 35 Prozent der Erlöse ab, wenn er den Platz des Vaters im Unterhaus übernimmt und dort „im Sinne der Familie agiert“.

Serienmacher Steven Knight („Peaky Blinders“) nimmt in „House of Guinness“ die Dynastie des wahrscheinlich berühmtesten irischen Exportartikels als Basis für ein höchst sehenswertes historisches Panorama des revolutionsbereiten Irlands der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das gelingt spannend, mit eindrücklichen Bildern und intriganten Verkettungen. (Immerhin) zwei interessante Frauenfiguren (neben Anne die bedachtsame Rebellin Ellen) gibt es auch. Anachronistische Rapmusik (unter anderem von der wegen Antisemitismusverdachts umstrittenen irischen Band Kneecap) umspült die Historie mit modernem Klang.

Kommentare