Ein Genie verließ die Musikwelt

Ein älterer Mann in einem weißen Anzug lächelt.
Lorin Maazel starb im Alter von 84 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung.

Jede einzelne seiner musikalischen Begabungen hätte für eine große Karriere gereicht. Er besaß jedoch Talent im Übermaß, wie einst die Universalkünstler, die heute so rar geworden sind. Er war Geiger, ein besonders guter sogar, von seinem fünften Lebensjahr an. Er war Dirigent, ein genialer sogar, und leitete als solcher bereits im Alter von neun Jahren ein Orchester anlässlich der Weltausstellung im Jahr 1939 in New York. Rasch folgte der Ehrentitel "Wunderkind", der bei ihm zweifellos auch zutraf.

Er war sogar Komponist, gar nicht erfolglos, schrieb zahlreiche Orchesterwerke und wurde vor allem für die Oper "1984" nach dem Roman von George Orwell gerühmt.

Abschied

Am Sonntag starb Lorin Maazel im Alter von 84 Jahren im amerikanischen Bundesstaat Virginia und entschwand damit von einer Musikwelt, die er jahrzehntelang geprägt hatte und von der er verehrt wurde und bestimmt noch lange verehrt werden wird. Das Festival von Castleton, das er mit der deutschen Schauspielerin Dietlinde Turban, seiner dritten Ehefrau, gegründet hatte, ging mit dieser traurigen Nachricht an die Öffentlichkeit. Vor zwei Wochen hatte er eben dieses noch selbst eröffnet. Geboren wurde Maazel in Frankreich, am 6. März 1930 in Neuilly-sur-Seine.

"Sein Tod ist ein unersetzlicher Verlust für die Musikwelt", verlieh Werner Resel, der ehemalige Vorstand der Wiener Philharmoniker, seiner Trauer Ausdruck. "Am Todestag von Kleiber", fügt Resel hinzu. Dieser Pultgigant war vor zehn Jahren gestorben.

Wiener Jahrzehnte

"Lorin Maazel ist Wien immer treu geblieben", erinnert sich der ehemalige Orchester-Vorstand Resel. "Und er hatte als Dirigent regelmäßig große Erfolge. Mit den Wiener Philharmonikern hat ihn enorm viel verbunden. Auch in schwierigen Zeiten an der Wiener Staatsoper."

Dort war Maazel von 1982 bis 1984 Direktor, er beendete seine Tätigkeit jedoch vorzeitig, nachdem es zum Zerwürfnis mit dem damals für Kultur zuständigen Minister Helmut Zilk und mit Teilen der Presse gekommen war. Der Grund für die Streitigkeiten – mit großer Intensität und Vorurteilen statt mit inhaltlichem Tiefgang ausgetragen – war die Einführung eines Blocksystems innerhalb des Repertoires, die Maazel vorantrieb. Damit wollte er die Qualität steigern, indem Werke besser geprobt, im Block gespielt und dann wieder aus dem Programm genommen werden. Aber an einem Ort, der Änderungen gegenüber resistenter ist als andere, sorgte das für einen heftigen Konflikt. Wie sehr Maazel Vorreiter war, beweist, dass dieses System längst übliche Praxis an vielen Häusern weltweit ist.

Ein einziges Mal kehrte Maazel danach noch an die Staatsoper, an der er 1964 mit Beethovens "Fidelio" debütiert hatte, zurück – für ein Mahler-Konzert 1998 unter Direktor Ioan Holender. Dieser sagt: "Ich bin sehr froh, dass das noch gelungen ist." Auch der amtierende Opernchef Dominique Meyer zeigte sich "tieftraurig". Übernächste Saison hätte er in Wien Puccinis "La fanciulla del West" dirigieren sollen.

Bei den Salzburger Festspielen sorgte Maazel ebenso für Sternstunden, etwa mit der Uraufführung der Berio-Oper "Un re in ascolto" oder in zahlreichen anderen seiner insgesamt mehr als 100 Dirigate. Am Pult der Wiener Philharmoniker hatte er 1963 debütiert – als Einspringer für Herbert von Karajan. Er dirigierte elf Neujahrskonzerte (das letzte 2005) und auch das Sommernachtskonzert.

Er war im Verlauf seiner Karriere u. a. Chef in Pittsburgh, beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, bei den New Yorker Philharmonikern und zuletzt bei jenen in München. Es gibt kaum einen Musiker, der nicht von seiner dirigentischen Genialität schwärmte.

Lorin Maazel wurde am 6. März 1930 geboren. Er galt als Wunderkind mit Dreifachbegabung als Violinist, Dirigent und Komponist.

Mit 30 Jahren debütierte er 1960 als erster Amerikaner in Bayreuth. Im Laufe seiner Karriere war er Chefdirigent bzw. Musikchef u.a. der New Yorker Philharmoniker, der Deutschen Oper Berlin oder, zuletzt, der Münchner Philharmoniker. 1982 wurde Direktor der Wiener Staatsoper, wo er 1964 mit "Fidelio" debütiert hatte.

Nach Konflikten kündigte er 1984 seinen Vertrag. Erst 1998 kehrte an die Staatsoper zurück. Mit den Wiener Philharmonikern verband Maazel eine fast ein halbes Jahrhundert währende Zusammenarbeit.

"Tieftraurig" hat sich Staatsoperndirektor Dominique Meyer angesichts des Ablebens von US-Stardirigent Lorin Maazel gezeigt. "Ich bin tieftraurig über diese Nachricht. Lorin Maazel habe ich persönlich als vielfältigen Künstler, großartigen Dirigenten sowie global interessierten und feinen Menschen bewundert", hieß es in einer Aussendung am Sonntagabend. Meyer sei sehr dankbar für die "inspirierende regelmäßige Zusammenarbeit" mit Maazel, die er in seiner Direktionszeit in Paris erlebt habe. "Wurde er in den Achtzigerjahren als Direktor zum Teil auch heftig kritisiert, sind viele seiner Leistungen und Neuerungen bis heute nach wie vor gültig, um nur eine zu nennen, etwa die Einführung von kurzen Vorstellungsserien im Repertoiresystem, um genügend Vorbereitungszeit und entsprechende Proben zu gewährleisten", so Meyer weiter.

Maazels Tod sei ein großer künstlerischer und menschlicher Verlust. "Wir sind aber dankbar für die vielen Spuren, die er hinterlässt und die uns bleiben werden", betonte Meyer. Laut Meyer hätte Maazel in der übernächsten Saison eine Wiederaufnahme von "La fanciulla del West" an der Wiener Staatsoper dirigieren sollen.

Bestürzt sind auch die Wiener Philharmoniker, die Maazel über Jahrzehnte begleitet hat: "Die Welt hat mit Lorin Maazel einen überragenden und faszinierenden Künstler verloren. Die Wiener Philharmoniker trauern darüber hinaus um einen der treuesten Freunde, den sie in ihrer 172-jährigen Geschichte je besaßen", so das Orchester über sein Ehrenmitglied.

Für die Salzburger Festspiele würdigen Präsidentin Helga Rabl-Stadler und Intendant Alexander Pereira den Maestro: "Lorin Maazel war eine der charismatischen Dirigentenpersönlichkeiten, denen die Festspiele ihren Weltruf verdanken. Die Festspiele gedenken seiner in großer Dankbarkeit."

Kulturminister Josef Ostermayer (SPÖ) würdigte in einer ersten Reaktion auf den Tod des Stardirigenten Lorin Maazels diesen als "eine der prägendsten Künstlerpersönlichkeiten des Jahrhunderts". Maazel habe es verstanden, Orchestern einen besonderen Klang zu verleihen. Seine Interpretationen seien weltweit sehr geschätzt worden und hätten die Herzen der Menschen erobert, betonte Ostermayer weiter. Maazel sei ein Künstler von Welt gewesen, der in besonderer Weise mit Österreich verbunden gewesen sei.

Trauer auch in München, wo Maazel bis vor Kurzem Chefdirigent der dortigen Philharmoniker war. "Sein Tod ist ein unglaublich großer Verlust, er hat uns mit seinem Wissen, seiner Präzision und seinem Wesen sehr geprägt", schreiben die Münchner Philharmoniker. Auch der FC Bayern München trauert: "Die Musik hat einen ihrer größten Stars, der FC Bayern einen Freund verloren", so der Vorstandsvorsitzende des deutschen Fußball-Rekordmeisters, Karl-Heinz Rummenigge. Dirigenten-Kollegen sind ebenfalls bestürzt: Mariss Jansons: "Ich bin tief getroffen und sehr traurig. Er war uns Musikern ein Vorbild und wird es immer bleiben." Riccardo Chailly: "Wir haben eine der vielfältigsten Persönlichkeiten der Musik verloren."

In memoriam Lorin Maazel ändert der ORF sein Programm und gedenkt des US-Stardirigenten am Sonntag, 20. Juli, um 9.55 Uhr mit einer Kurzfassung des von ihm im Mai 2013 dirigierten "Sommernachtskonzerts" der Wiener Philharmoniker vor dem Schloss Schönbrunn. ORF III zeigt dann das gesamte Konzert (ca. 105 Minuten) um 18.30 Uhr im Rahmen von "Erlebnis Bühne". Auch 3sat wiederholt das Kulturereignis am Samstag, dem 19. Juli, um 10.55 Uhr in voller Länge. ORF III bringt außerdem im Vorfeld des "Sommernachtskonzerts", um 16.50 Uhr, die von Lorin Maazel 2007 dirigierte "Messa da Requiem" von Giuseppe Verdi aus dem Markusdom in Venedig. Ö1 sendet am Samstag, dem 19. Juli, um 15.05 Uhr ein "Apropos Musik" ganz im Zeichen von Lorin Maazel.

Kommentare