"Da haut man nicht einfach ab"

Robert Rotifer
Der in England lebende Musiker Robert Rotifer über die Folgen des Brexit für die Popmusik - und vieles mehr.

Vor Jahren überquerte der 1969 in Wien geborene Journalist Robert Rotifer wegen seiner Liebe zur britischen Popmusik den Ärmelkanal und schlug seine Zelte in England auf. Von dort aus beliefert er seither Magazine, Zeitungen und den Radiosender FM4 mit Berichten aus unterschiedlichen Bereichen.

Für den KURIER hat Rotifer zuletzt ausführlich über den britischen Seelenzustand und den Brexit berichtet. Neben dem Schreiben findet er aber auch immer wieder Zeit fürs Musizieren. Mit "Not Your Door" hat er soeben einen neuen Tonträger veröffentlicht – es ist sein erstes Soloalbum seit 15 Jahren.

KURIER: Können Sie das Wort Brexit eigentlich noch hören?

Robert Rotifer: Ich konnte es nie hören. Es klingt wie die Aldi-Version eines geschmacklosen Getreideriegels, der sich beim Kauen im Mund vergrößert. Wissen Sie übrigens, dass die Brexit-Wähler statistisch am meisten bei den zwei deutschen Diskontern Lidl und Aldi einkaufen? Das sagt alles über die Informiertheit der Briten vor dieser Abstimmung.

Werden Sie einen Song darüber schreiben?

Das habe ich schon. 2005 schrieb ich "Schengenländer Die". Der transkontinentale Wahnsinn war damals ein anderer, die Worte passen aber noch. Und "Tip of Your Shoe", das ich für das "John Howard & The Night Mail"-Album schrieb, handelt von genau jener Xenophobie, die nach dem Brexit so stark zum Ausbruch kommt.

Werden Sie das Land verlassen?

Wenn Sie fragen, ob ich das Land verlassen werde, frage ich zurück: Wohin? Im Übrigen hab ich zwei in Großbritannien geborene Kinder mit britischem Pass. Ich habe fast zwei Jahrzehnte dort verbracht. Da haut man nicht einfach ab.

Wie wird sich der Brexit persönlich auf Sie auswirken?

Er deprimiert mich und raubt mir den Schlaf, macht mich reizbar und melancholisch. Was sonst passiert, weiß ich noch nicht, solange man nicht weiß, was nun am Ende dabei rauskommt. Einstweilen sind meine Euros ein bisschen mehr wert. Angefeindet wurde ich als Europäer bisher nur online, aber der Fremdenhass grassiert merklich.

Wie wird sich der Brexit auf die Pop-Nation Großbritannien, auf die europäische Musikindustrie auswirken?

Großbritannien wird einiges von dem seit über 50 Jahren genossenen Coolness-Bonus verlieren. Der Union Jack als einstiges Kürzel für britischen Pop-Appeal sieht jetzt wie ein Symbol für engstirnigen Kleingeist aus. Die europäische Musikindustrie jedenfalls ist ohnehin schon – auch ohne Zutun des Brexit – auf eine Größe geschrumpft, die man nur schwer ernsthaft eine Industrie nennen kann. Der oberste Rand davon ist teils Nostalgieprogramm, teils Zielgruppen-Marketing mit musikalischen Mitteln, das passt sich ohnehin an wie ein Fugenkitt im Fensterrahmen. Im nur mehr von künstlerischem Sendungsbedürfnis und rührigem Narzissmus angetriebenen Independent-Bereich werden die Margen vermutlich noch knapper bzw. die Verluste noch größer sein. Aber wirklich wissen tun wir nichts.

Wie würde der Musikkritiker Robert Rotifer die neue Platte von Robert Rotifer beschreiben, einordnen?

Das würde er nicht. Er spielt seine eigenen Platten nicht im Radio, schreibt keine Kritiken über die eigenen Platten. Er genießt das Privileg, sich über die Einordnungen durch andere zu freuen oder zu ärgern, ohne dem was hinzuzufügen, so wie jeder andere Musiker auch.

Sie sind nicht nur Musiker, sondern auch Musikkritiker, freier Journalist und unter anderem auch für den KURIER als Korrespondent tätig. Gefällt es Ihnen, so vielseitig zu agieren? Oder ist es einfach nur eine Frage des Überlebens?

Zweiteres. Ich arbeite viel zu viel, kann aber nicht weniger arbeiten, weil es sich sonst nicht ausginge. Das geht aber sehr vielen Leuten so heutzutage.

Sie haben auch das Cover selber gemalt. Verdienen Sie mit ihren Bildern auch Geld oder ist das Hobby?

Ich habe ein paar Bilder verkauft, und ein von mir gezeichnetes Animationsvideo wurde vom MoMA New York in seine Sammlung aufgenommen. Aber eigentlich male ich fast nur zielgerichtet für Plattencover oder Videos, weil ich sonst keine Zeit dazu habe. So gesehen ist es jedenfalls kein Hobby. Wenn ich es recht überlege, hatte ich noch nie ein Hobby.

Warum hat Pop so auffällig an gesellschaftlicher Relevanz eingebüßt?

Popmusik war eine Zeitlang die identitätsstiftende Leitkultur für junge Menschen. Ihre Konsumation eignete sich zur Selbstdarstellung, sei es mit dem Ausstellen der eigenen Plattensammlung oder Band-Logos auf Anstecknadeln. Vielen Menschen ist Musik aber eigentlich eher egal, sonst würden sie sie nicht mit Ohrenstöpseln anhören. Das andere Problem ist die Wahrnehmung: Der Mainstream ist heute überall, aber dadurch ist er auch nirgends, er gehört einfach zum Hintergrundlärm so wie die Werbung. Dafür hören heutzutage viel mehr Leute mit Leidenschaft eine wesentlich breiter gestreute Auswahl von Nischenmusik, die aufgrund ihrer Streuung nie die kritische Masse gesellschaftlicher Relevanz erreicht.

Sie haben viel für die österreichische Popmusik getan – als Musiker, als Moderator, als Kurator des Popfests. Wie beurteilen Sie den aktuellen Hype um die österreichische Popmusik?

Es ist kein Hype, alles ist wahr und noch viel mehr. Österreich ist trotz seiner politischen Verengung kulturell vielfältiger geworden, die Einwanderung von Menschen aus aller Welt hat dem Pop hier über die Jahrzehnte viel gebracht. Außerdem schaut man nicht mehr auf Pop herab, bloß weil er aus dem eigenen Land kommt, wie das in Österreich früher oft der Fall war. Wenn aber Leute behaupten, sie mögen Musik, weil sie aus Österreich ist, stößt mir das sehr unangenehm auf.

Zuhören und sich Zeit nehmen – das muss man bei Ihrer Musik. Das Problem: Viele Menschen haben viel zu wenig Zeit, und zuhören kann auch kaum noch jemand.

Die, die es wirklich interessiert, nehmen sich die Zeit. Ich suche mir meine Hörer nicht nach ihrem Alter, aber es gibt erstaunlich viele Leute, die immer noch sehr bereit sind, sich in Musik zu vertiefen. Meine Hörer sind nicht viele, aber sie hören sehr genau. Das weiß ich wegen der Dinge, die sie mir sagen und schreiben.

"Not Your Door" – was steckt hinter dem Titel?

Der LP-Titel ist gleichzeitig der jenes Songs, der den Songzyklus über meine Erinnerungen an Wien auf der B-Seite des Albums beschließt. Er handelt von dem Tag letzten Sommer, als ich noch ein letztes Mal die Wohnung meiner verstorbenen Großmutter besuchen wollte. Es war kurz vor meinem Rückflug nach London, ich stand vor ihrer Haustür und merkte, dass ich den Schlüssel vergessen hatte. In diesem Moment wurde klar, dass das so auch stimmig war. Es gab nichts mehr zu sehen, sie war nicht mehr auf der Welt, die Türe war nicht mehr die ihre. Natürlich ist es auch eine Metapher für das Abschließen mit all dem, was man im Leben hinter sich gelassen hat. Die Welt wechselt ihre Besitzer, und irgendwann finden wir uns alle ausgesperrt wieder.

Sie bleiben ihrem Stil treu. Man könnte auch sagen, Robert Rotifer klingt seit Jahren gleich. Würden Sie nicht gerne auch mal den Stil wechseln?

Seit Jahren gleich, das könnte man sagen, aber es wäre gewagt. Außer man findet, ein mit einer akustischen Band eingespieltes Album wie "Before the Water Wars" klinge gleich wie eine von Wreckless Eric produzierte Garagenbeat-Nummer wie "Aberdeen Marine Lab". Oder ein zartes Soul/Jazz/Folk-Amalgam wie "If We Hadn't Had You" klinge gleich wie die geradeaus dahinbretternde Zwei-Akkord-Nummer "The Frankfurt Kitchen". Aber ich hatte ja versprochen, keine Kritikermeinung zur eigenen Musik abzugeben. Für meinen Teil kann ich sagen: Ich wechsle durchaus gerne den Stil, nicht nur von Album von Album, sondern auch von Song zu Song.

Tipp: Robert Rotifer und Band spielen sein neues Soloalbum "Not Your Door" in voller Länge - am 3. August im Theater am Spittelberg.

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