Entzückende "Matilda" in Baden: Das singende Klassenzimmer

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Absolut sehenswert: Das Roald-Dahl-Musical „Matilda“ in deutschsprachiger Erstaufführung am Stadttheater Baden.

"Matilda“ ist ein Roald-Dahl-Märchen vom Sieg über das Böse und über das Blöde, und allein dafür lohnt sich natürlich der Abend.

„Matilda“ ist auch, im angloamerikanischen Raum, Kult, noch dazu ein Hollywoodfilm mit Danny DeVito aus den 1990ern und ein neuerer Musicalfilm mit Emma Thompson. Also doch durchaus eine gewisse risikobehaftete Herausforderung bei der Übersetzung ins Stadttheater Baden.

Was ebendort am Freitagabend aber zu sehen und zu hören war, war eine derart umfassende Freude, dass man getrost alle übergroßen Vorbilder vergessen kann, wenn man sie denn kennt. Und jedenfalls einen Besuch unbedingt in Erwägung ziehen sollte.   

Denn Hausherr Andreas Gergen inszeniert mit buntem Schmäh und Bühnentechnikhumor – was alles Räder haben kann, an denen man es auf die Bühne und wieder herunterrollen kann! – und viel Gespür dafür, wie Kinder nicht nur im Allgemeinen, sondern auch gerade heute so sind.

Und dann ist da noch die Hauptdarstellerin, ein absoluter Glücksgriff: Die zehnjährige Liv Perman (die die Matilda alternierend mit Tamaki Uchida und Mia Leigh Botha gibt) lieferte bei der Premiere einen schlicht sensationellen Auftritt, sang, spielte, tanzte hinreißend und wurde am Schluss zurecht noch ein bisschen mehr gefeiert als der gelungene Abend eh schon.

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Nie mehr Schule

Matilda ist das ungeliebte Wunderkind eines White-Trash-Paares (sehr witzig: Ann Mandrella und Boris Pfeifer). 

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Und wenn man kein Glück hat, kommt auch noch Pech dazu: Die Schule, in die Matilda dann hineingestoßen wird, ist ein regelrechtes Horrorhaus.

Deren superfiese Direktorin Agathe Knüppelkuh ist dank Andreas Lichtenberger ein herrliches Schwarze-Pädagogik-Schreckgespenst irgendwo zwischen Dolores Umbridge aus „Harry Potter“ und Till Lindemann als Crossdresser. 

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Einzig Klassenlehrerin Fräulein Honig (Anna Rosa Döller, siehe großes Artikelbild) erkennt die Begabung (und Verletztheit) von Matilda – und wird zur Lichtgestalt mit tragischem Familienhintergrund.

Die deutschsprachige Erstaufführung des Musicals punktet mit einer glaubhaften Interpretation der oftmals ein wenig hohl lächelnden Musicalenergie: Ein junges Ensemble gibt mit viel Einsatz vom ausgelassenen Tanzen bis zur verbissenen Turnstunde die Mitschülerinnen und -schüler von Matilda, ihr Baseballkappen tragender Bruder (Konstantin Pichler) ist eine gut beobachtete Bubenparodie, und dass man so nebenbei einen Schokoladentortenrülpser quer über die Bühne fliegen sieht, holt den Humor des jungen Publikums ab.

Für dieses hätte man an ein paar Ecken und Enden des Ganzen noch etwas abzwicken können, inklusive Pause waren drei Stunden Aufführungsdauer in Sichtweite, was doch viel ist. Doch Ermüdungserscheinungen waren keine zu erkennen. Auch nicht bei den Darstellerinnen und Darstellern, die mit viel Einsatz die Vorzüge des Fernsehens über das Lesen besangen, die tragische Geschichte eines Akrobatenpaares (Liviana Degen und Branimir Agovi) nahebrachten und am Schluss dann die Knüppelkuh in die Verbannung sangen.

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Das Orchester unter der Leitung von Christian Frank lieferte Ohrwürmer und Drive. Man ging beglückt nach Hause.

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