Mordende Frauen sind ihr Spezialgebiet: Ingrid Noll wird 90

Mordende Frauen sind ihr Spezialgebiet: Ingrid Noll wird 90
Die deutsche Krimiautorin Ingrid Noll wagte sich erst mit Mitte 50 ans Schreiben. Bisher sind fast 30 Bücher erschienen, einige davon wurden verfilmt.

Die besten Ideen kommen Ingrid Noll beim Kartoffelschälen oder Bügeln. Auch in der Badewanne oder sogar im Traum habe sie schon einige Geistesblitze gehabt, sagte die Schriftstellerin kürzlich. Dass die Krimiautorin vor Einfällen nur so sprudelt, zeigt auch ihre beeindruckende Werkliste. Alle ein oder zwei Jahre veröffentlicht Noll einen neuen Roman. Fast alle wurden bisher Bestseller, einige sogar verfilmt. Am Montag wird Noll 90 Jahre alt.

Noll wurde am 29. September 1935 in der chinesischen Metropole Shanghai geboren, wohin ihre Eltern in den 20er-Jahren ausgewandert waren. 1938 wollte der Vater, ein Arzt, mit seiner Familie nach Deutschland zurückkehren, machte aber angesichts der politischen Verhältnisse schnell wieder kehrt.

Von China nach Deutschland

So wuchsen Noll, ihre beiden Schwestern und ihr Bruder zunächst in China auf. Unterrichtet wurden sie zu Hause. "Meine Eltern waren keine Lehrer", sagte Noll vor einigen Monaten im Saarländischen Rundfunk. Aber sie seien der Meinung gewesen, "ein bisschen zu unterrichten" könne nicht schwer sein. Als Kind habe sie es genossen. Es gab keine Noten, keine Hausaufgaben, und um zwölf Uhr mittags war Schluss.

Doch als 1949 die Volksrepublik ausgerufen wurde und die Familie nach Deutschland floh, hatte Noll Schwierigkeiten in der neuen Schule. Sie sei "grottenschlecht" gewesen, erinnerte sie sich in dem Radiointerview. Nur das Schreiben fiel ihr schon damals leicht. "Das war meine Rettung."

Erst mit 55 zur Schriftstellerei

Doch erst mit 55 wagte sich Noll an ihr erstes Buch. Ihre drei Kinder waren aus dem Haus, zum ersten Mal in ihrem Leben konnte sie sich in ihrem Haus im baden-württembergischen Weinheim ein eigenes Zimmer einrichten. "Bereits als kleines Mädchen war das mein großer Wunsch", sagte Noll 2023 dem "Tagesspiegel". "Und nun saß ich am eigenen Schreibtisch. Ein eigenes Zimmer bedeutet für eine Frau, schöpferisch und geistig unabhängig arbeiten zu können."

Ihr Debütwerk "Der Hahn ist tot" schrieb Noll noch still und heimlich - nur ihr Ehemann war eingeweiht. Eine Frau geht darin über Leichen, um den Mann ihrer Träume zu erobern. Schon der erste Verlag, dem sie das Manuskript anbot, der Schweizer Diogenes-Verlag, griff zu. Mittlerweile erschienen fast 30 Bücher von Noll dort.

Fast immer geht es in Nolls Romanen um mordende Frauen. Sie könne sich in weibliche Protagonistinnen besser hineinversetzen, sagte sie im Saarländischen Rundfunk. Außerdem hätten schon viele Frauen ihr das Herz ausgeschüttet. "Ich weiß, wie es in denen so aussieht."

Weniger der Mord, vielmehr die Umstände interessieren sie

Nolls Interesse gilt weniger dem Mord an sich, sondern den Umständen, die Frauen zu Mörderinnen machen. Sie schreibe keine Kriminalromane, sondern Menschengeschichten, sagte sie vor drei Jahren dem "Spiegel". In bestimmten Situationen würde jeder zu weit gehen, ist Noll überzeugt. "Mich nervt die Selbstgerechtigkeit von Menschen, die behaupten, sie hätten sich noch nie moralisch fragwürdig verhalten und würden das auch nie tun."

Schon ihr zweiter Roman "Die Häupter meiner Lieben" wurde mit Heike Makatsch und Christiane Paul verfilmt. Auch Nolls dritter und vierter Roman überzeugten als Drehbücher. 1997 kam "Die Apothekerin" mit Katja Riemann in der Hauptrolle ins Kino, im Jahr 2000 "Kalt ist der Abendhauch" mit August Diehl und Fritzi Haberlandt.

Jüngstes Buch mit einer 15-Jährigen als Hauptfigur

Seitdem schrieb Noll mehr als ein Dutzend weitere Romane, erst vor wenigen Wochen wurde der jüngste veröffentlicht. In "Die Nachteule" geht es um eine 15-Jährige, die sich eines Obdachlosen annimmt. Dieses Alter habe sie schon immer besonders spannend gefunden, sagte Noll in einem Interview mit dem Diogenes-Verlag anlässlich der Buchveröffentlichung im August. Damals wie heute gehe es in der Pubertät um Versagensängsten, Größenwahn oder Liebesglück.

Sprachlich lässt sich Noll bei jungen Protagonisten mittlerweile von ihren Enkeln beraten. Ans Aufhören denkt sie auch im hohen Alter noch nicht. So lange es noch Spaß mache und es noch klappe, mache sie weiter, sagt sie. Aber sie mache sich keine Illusionen. "Ich weiß, dass die Sanduhr immer voller wird."

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