Umut Dag: Ja, damit schließt sich für mich tatsächlich ein Kreis. Allerdings war die Herangehensweise an dieses neue Projekt ganz anders. „Vienna Blood“ basiert auf einer Reihe von Kriminalromanen. Jeder Episode liegt also ein bereits vorgeschriebener Plot zugrunde. „Die Macht der Kränkung“ ist ein Sachbuch, in dem sich Reinhard Haller auf die Motive von Menschen konzentriert, die sie zu Verbrechern werden lassen. Uns war damit von Anfang an klar, dass die Spannung in erster Linie aus der Psyche der Figuren kommt und wir mussten daher einen Handlungsbogen finden, der die einzelnen Schicksale miteinander verbindet. Dies hat Agnes Pluch mit ihren Drehbüchern extrem toll geschafft. Damit war meine Aufgabe, so nahe an den Figuren zu sein, dass man deren Alltag und all die großen und kleinen Kränkungen versteht, denen sie ausgesetzt sind.
Jede Episode folgt einer der Hauptfiguren und man kommt ihnen tatsächlich sehr nahe. Hatten Sie nicht Sorge, dass die Zuschauer damit auch Verständnis für das Verbrechen haben?
Ich hoffe. Zumindest war es mein Ziel, dass man jede Figur – auch die in kleinsten Nebenrollen – und deren psychische Motivationen verstehen und nachvollziehen kann. Sonst wäre es ja auch zu einfach. Ich kann nicht sagen: Der Mann tötet, also ist er halt ein Psycho. Ich möchte aber versuchen, den Menschen dahinter zu finden. Dass Reinhard Haller mit seinem Buch und Agnes Pluch mit ihren Drehbüchern diese faszinierenden Einblicke in die menschliche Psyche ermöglicht haben, war eine große Herausforderung für mich und dafür bin ich ihnen als Filmemacher sehr dankbar.
Wie groß ist die Gefahr, dass man als Regisseur eben jene Figuren, für die man Verständnis aufbringen kann, mit Publikumslieblingen besetzt und damit auch die Sympathien auf sie lenkt?
Sympathie ist ein gefährliches Wort für mich. Gerade bei Fernsehfilmen wird dieses Wort im Vorfeld oft verwendet, weil die Produzenten und Sender ein erfolgreiches Produkt haben wollen, das auch Quoten bringt. Für mich ist es aber bei der Besetzung wichtig, dass die Persönlichkeit der Darsteller möglichst nahe an der Figur ist bzw. dass sie sich in die Figur soweit wie möglich hineinversetzen können. Man könnte jetzt entgegenhalten, dass gute Schauspieler und Schauspielerinnen jede Rolle spielen können. Aber mir geht es auch um eine innere Haltung, weil dadurch die Glaubwürdigkeit noch erhöht wird. Schauspieler sind ja keine Roboter, sondern Menschen. Und ihr „Menschsein“ bringen sie auch in jede ihrer Rollen ein. Eine Figur, die gar nicht sympathisch sein soll, weil sie so im Drehbuch geschrieben steht, mit einem Publikumsliebling zu besetzen, kann nach hinten losgehen oder sehr spannend sein, aber das hängt immer von dem Ergebnis ab, das man sich wünscht.
Regisseure müssen immer auch gute Psychologen sein. Haben Sie aus dem Buch von Haller für Ihre eigene Arbeit Erkenntnisse gewonnen?
Als Regisseur bin ich davon überzeugt, dass eine gute Zusammenarbeit mit Schauspielern und Schauspielerinnen auf Respekt und Vertrauen basieren muss. Wenn man auf Augenhöhe miteinander kommuniziert – das gilt übrigens für alle Bereiche beim Filmemachen – dann signalisiert man damit eine Wertschätzung. Und wer andere wertschätzt, versucht sie nicht zu kränken. Womit wir wieder bei der „Macht der Kränkung“ sind. Ich will den Regieberuf nicht als etwas sehen, bei dem man Macht ausübt. Eine Hierarchie sollte nie dazu missbraucht werden, andere zu unterdrücken. Sie ist nur dazu da, dass letztlich einer die Verantwortung übernimmt. Also ja, ich habe aus der Arbeit an diesen Filmen auch einiges für mich mitgenommen – eine Bestätigung meiner persönlichen Werte.
Waren Sie im Laufe Ihrer Karriere auch Kränkungen ausgesetzt?
Die größte Kränkung habe ich erfahren, als ich bei meinem ersten Versuch, an der Österreichischen Filmakademie zu studieren, abgelehnt wurde. Das war natürlich eine Enttäuschung. Aber ich habe diese Kränkung positiv kanalisiert, indem ich mir gesagt habe: Jetzt erst recht. Ich will diesen Beruf ausüben, egal was passiert. Ich habe dann versucht, mich von der Pike auf hochzuarbeiten. Unter anderem als Kaffee-Holer von Ottfried Fischer (lacht). Aber bei meinem zweiten Versuch wurde ich dann doch aufgenommen. Bei mir folgte auf die Kränkung eine Trotzreaktion, aus der ich auch Kraft schöpfen konnte.
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