ORF-Journalist Peter Fritz: "Eigene Standpunkte nicht zur Maxime machen"
Er ist der erste Träger des Hugo-Portisch-Preises – und den TV-Zusehern bekannt als jemand, der fundiert die Welt erklären kann. Peter Fritz im Interview über Journalismuskritik, weltbewegende Ereignisse und Hugo Portisch.
KURIER: Wie geht es denn dem Journalismus?
Peter Fritz: Der ist von sehr vielen Seiten praktisch gleichzeitig unter Druck geraten. Das hat alles mit Technologie zu tun, mit rasanter Weiterentwicklung aller Möglichkeiten, Dinge um die Welt zu schicken. Der große Traum des Karl Marx von der Vergesellschaftung der Produktionsmittel ist als Erstes in der publizistischen Welt wahr geworden.
Und das bedeutet?
Im Prinzip kann heute jeder Zwölfjährige mit einem Handy sich weltumspannend äußern und auch Gehör finden. Diese herausgehobene Stellung, die man als Medienmensch gehabt hat, die ist unter Druck. Auch, weil es wirtschaftlich dadurch schwieriger wird, dass mehr Menschen das können, was früher nur Verlagshäuser, Sendeanstalten usw. konnten.
Diese herausgehobene Stellung hat sich sogar ins Gegenteil verkehrt – weil diejenigen, die Journalisten ablehnen, durch die Social-Media-Mechanismen übermäßig viel Gehör finden, oder?
Es gibt ein verbreitetes Gefühl – und das wird von Populisten auch gefördert –, dass man auch uns Journalisten als Teil einer diffusen Obrigkeit wahrnimmt. Dass man das Gefühl hat, die kommen auch von oben und erzählen uns etwas, das sie selbst von oben eingegeben bekommen haben. Vor allem Trump hat das sehr gefördert und immer vom „tiefen Staat“ und den „Fake News“ gesprochen. Das ist, als ob bei einem Fußballspiel plötzlich alle auf den Schiedsrichter losgehen. In dem Moment wird das Spiel sinnlos.
Es haben in diesem Moment aber auch nicht alle die Nerven behalten – Teile des Journalismus und Teile der Medienhäuser bedienen diese Empörung mit, melken den Zorn. Kann man da als seriöser Journalist auch im Sinne eines Hugo Portisch, der ja in einer ganz anderen Welt gearbeitet hat, heute überhaupt bestehen?
Ich versuche schon immer noch nach diesen Grundsätzen, wie sie auch Hugo Portisch vertreten hat, zu agieren. Diese neueren Konzepte, die es gibt, also der sogenannte Journalismus mit Haltung oder auch der sogenannte konstruktive Journalismus – da bin ich ein bisschen skeptisch. Ich verstehe schon die Motivation dafür, aber das hat schon auch wieder viele Fallstricke. Der sogenannte konstruktive Journalismus darf nicht zur Besserwisserei ausarten. Und der Journalismus mit Haltung bietet die Verlockung, die eigene Haltung zu verabsolutieren.
Wobei ein Bewusstwerdungsprozess in der Branche schon spannend ist: Dass der Journalismus ohne Haltung bei Weitem auch nicht so klar dasteht. Nach dem Augstein-Spruch „Sagen, was ist“ – das, „was ist“, kommt halt auch sehr darauf an, wo man selber steht.
Ja, es ist heikel. Jeder wird auch einen Standpunkt und einen Standort haben und wird den auch nicht immer vollständig unterdrücken können. Aber man sollte nicht eigene Standpunkte zur Maxime allen journalistischen Handelns machen.
Der konstruktive Journalismus will nicht nur Probleme benennen, sondern auch Lösungen anbieten, loben und etwas beitragen. Das ist doch nicht schlecht – zumindest verringert das den Verdacht, dass Journalisten immer nur herummäkeln und, egal was Politiker tun, Gelungenes unerwähnt lassen, und die Sachen, die nicht funktionieren, an die sehr große Glocke hängen, oder?
(lacht) Das ist natürlich das Problem. Und ich verstehe schon, dass man da Auswege sucht. Vor allem auch, weil die Nachrichtenverweigerung ein großes Problem geworden ist, die Menschen, die gar keine Zeitung mehr aufschlagen, keine Medien konsumieren, aus Angst davor, wieder Schrecklichkeiten sehen zu müssen. Aber es ist trotzdem sinnvoll, auf die Sachen zu schauen, die nicht gut funktionieren. Und weniger auf die, die ohnehin in Ordnung nicht.
Insgesamt erklärt das aber nicht die Beleidigtheit eines ehemaligen Medienpublikums. Was stört die Menschen so am Journalismus? Ist es das Unbequeme, das wir tun? Und wie kommt man aus dieser Falle raus?
Ich glaube, da sollten wir gar nicht rauskommen. Es ist ganz gut, dass immer auch Unruhe im Spiel ist. Dass man jetzt nicht zum Zentralorgan der Zufriedenheit wird.
Was hat Sie ursprünglich am Journalismus interessiert?
In den 1970ern, als ich das formativ erlebt habe, war die große Zeit des Aufdeckungsjournalismus. Das hat mich sehr bewegt und inspiriert, obwohl ich ja nie wirklich zum großen Aufdecker geworden bin, aber das hat mich gereizt.
Peter Fritz
Der renommierte Journalist berichtete für den ORF unter anderem aus Berlin, Brüssel, Washington, war Chef der ZiB-Auslandsredaktion und ist derzeit Chefanalyst von ORF III
Hugo-Portisch-Preis
Die erstmals vergebene Auszeichnung ist mit insgesamt 60.000 Euro einer der höchstdotierten Journalismus-Preise im DACH-Raum. Träger sind der KURIER, der ORF und die Österreichische Medienakademie. Präsidentin ist KURIER-Chefredakteurin Martina Salomon, Ehrenpräsident Heinz Nußbaumer. In der Kategorie Zeitgeschichte/Dokumentation wurde Tatjana Mischke geehrt. Benjamin Hindrichs erhielt den Nachwuchspreis
Sie sind in die internationale Berichterstattung gerutscht, weil Sie im richtigen Moment in der Redaktion waren, als die Berliner Mauer gefallen ist und sie aufgezeigt haben.
(lacht) So ungefähr, ja. Das war mein erster Auslandseinsatz. Als Fernsehmensch passiert es selten, dass etwas im Bild gut und packend ausschaut – und zugleich welthistorisch bedeutend ist. Oft ist es nur das eine oder das andere. Die Finanzkrise war weltbewegend, aber die konnte man im Bild nicht gescheit herzeigen.
Und dann waren Sie in den USA, als der 11. September wieder die Welt veränderte.
Ich stand vor dem Pentagon, unter dieser riesigen Rauchwolke, und habe telefonisch meine ersten Eindrücke nach Wien durchgegeben.
Wie macht man das eigentlich – in so einer Situation, in der alle völlig von den Socken sind, gleich live im Fernsehen eine gültige Einschätzung geben zu können? Anfangs wusste man ja gar nicht, was da passierte.
Es hat damals tatsächlich auch eine Menge Fehleinschätzungen und Falschmeldungen gegeben. Da haben sich die Meldungen überschlagen. Da ist es schon gut, wenn man mal ein paar Minuten wartet. Im Radio war davon die Rede, dass das Washington Monument gesprengt worden ist. In dem Fall konnte ich durch einen simplen Blick aus dem Autofenster klären, dass das Monument schon noch steht. Das war relativ leicht.
Weniger leicht ist wohl die Einschätzung bezüglich des Ukrainekriegs, die Sie derzeit u. a. auf ORF III liefern. Wie sehr wird der uns verändert haben, wenn er hoffentlich bald endet?
Wir werden wahrscheinlich wieder einen – wohl kleineren – Eisernen Vorhang erleben, der ein gutes Stück weiter östlich verlaufen wird. Wir werden eine westlich dominierte Welt haben, die ein bisschen größer ist als der sogenannte alte Westen. Und eine andere, die vor allem aus Russland und China besteht. Und einen großen Teil der Welt, der sich einmal so, einmal so verhalten wird.
Hatten Sie intensivere Begegnungen mit Hugo Portisch?
Ich konnte einmal ein längeres Interview mit ihm für die ZiB2 führen. Es ging um den Eindruck der Bilder vom Folterskandal in Abu Ghraib. Da hat er sich, gegen seine sonstige, eher amerikafreundliche Linie, sehr sehr kritisch geäußert. Dass dieser Einmarsch der USA in den Irak nur denn Sinn gehabt hätte, wenn man dort Demokratie und Menschenrechte verbreitet. Wenn man genau das Gegenteil macht, verliert das alles seinen Sinn. Er hat auch ziemlich klar gesagt, dass es in erster Linie ums Erdöl geht. Da war er sehr nüchtern in seiner Einschätzung.
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