ORF-Doku „Braune Brettln, braunes Leder“: Opfer, Täter und viele Mitspieler

Matthias Sindelar (2. v. r.) war der Kapitän des legendären Wunderteams. Weil die Nazis das Profitum in Österreich abschafften, bekam er ein arisiertes Kaffeehaus
Wie die Nazis den Sport missbrauchten, Leid brachten, bekannte Sportler in Österreich mitwirkten und wie nach 1945 vergessen wurde (22.35 Uhr, ORF2)

Drei Wochen nach dem „Anschluss“ 1938 kam es zum letzten Auftritt einer österreichischen Fußball-Mannschaft für mehrere Jahre. Die NS-Propaganda hatte fürs „Versöhnungsspiel“ gegen Hitlers Deutschland im Praterstadion ein Unentschieden beauftragt. Doch einmal mehr zeigte der Fußball seine unberechenbare Seite. Für das 2:0 des „Gau Österreich“ sorgten die „arischen Spieler“ Matthias Sindelar und Karl Sesta. Jüdische Kollegen und Funktionäre mussten da bereits um ihr Leben fürchten.

Längst auf der rechten Spur war man 1938 beim Skisport. Denn schon 1923 hatte der ÖSV den rassistischen und antisemitischen Arierparagrafen verankert. Dieser Haltung folgend konstatierte Dokumentarist Martin Betz nun im KURIER-Gespräch im Skisport „eine absolute Verdichtung von Täterbiografien“.

Braune Pisten

In „Braune Brettln, braunes Leder“ (22.35 Uhr, ORF2) begibt sich Betz, unterstützt von Wissenschaftlern sowie von ORF-Sport und -Zeitgeschichte, auf Spurensuche bei den Traditionsvereinen Rapid und Austria Wien und in den Wintersport-Kult-Orten Kitzbühel und St. Anton, aber auch zu den versteckten Plätzen der Flucht und Verbrechen. In den 50 Sendeminuten reißt er an, wie die Nazis den Sport missbrauchten und Leid brachten, wie bekannte Sportler mitwirkten und wie nach 1945 vergessen wurde.

Rettungsanker Fußball

„Seine ganze Fluchtgeschichte hat als Klammer den Fußball und vermutlich hat er auch nur dank dem überlebt“, sagt Betz etwa über Emanuel Schwarz. Der Austria Wien-Präsident musste als Jude flüchten, wurde aber im besetzten Frankreich verhaftet. Thomas Schwarz, sein Enkel: „Mein Großvater hatte das Riesenglück, dass in dem Anhaltelager, in dem er interniert war, der Kommandant ein Fußballfan war. Der hat ihn erkannt und ihm zur Flucht verholfen.“

Der im Untergrund lebende Hakoah-Spieler Friedrich Donenfeld versteckte ihn in der Nähe von Paris. Betz: „Es war für mich ein Erlebnis, dass wir Donenfelds Sohn finden konnten und wir mit diesem Versteck einen Puzzlestein mehr in diese Fluchtgeschichte einfügen können.“

ORF-Doku „Braune Brettln, braunes Leder“: Opfer, Täter und viele Mitspieler

"Menschen & Mächte"-Neuproduktion (v. li.): Thomas Schwarz, Franz Binder jun. und Dokumentarist Martin Betz

Mit dem Besitz Vertriebener und Ermordeter wurden übrigens bisherige Profi-Spieler von den Nazis dafür entschädigt, dass diese das Profitum in Österreich abschafften. So kamen etwa Sindelar und Sesta über Arisierungen zu Kaffeehaus bzw. Bäckerei.

Franz „Bimbo“ Binder sorgte sich hingegen ums Überleben: Rapids Dreifach-Torschütze beim 4:3 gegen Schalke, das 1941 die deutsche Meisterschaft brachte, wurde mit weiteren Team-Kameraden – anders als Schalke-Spieler – an die Front geschickt. Um vorübergehend nicht nach Russland zu müssen, ließ er sich den gesunden Blinddarm operieren, wie sein Sohn erzählte.

Aufarbeitung

Nur eine grundlegende Arbeit gibt es zu „Österreichs Skisport im Nationalsozialismus“ (von Andreas Praha). Mit dem Weltkrieg wurden aus vielen Sport-„Helden“ schließlich Kriegs-„Helden“. Etwa der zweifache Weltmeister Josef „Pepi“ Jennewein aus St. Anton, dessen Abschüsse als Jagdflieger wie sportliche Triumphe gefeiert wurden. „Mein Großonkel wurde sicher von der NS-Presse instrumentalisiert“, sagt Martin Jennewein aus St. Anton. Selbst Jenneweins Tod 1943 als Jagdflieger in Russland wurde von der NS-Propaganda ausgeschlachtet.

Fakt ist auch: Auffallend viele Ski-Sportler waren bei SA, SS und Gestapo. Dazu gehörte etwa der erste 100-Meter-Skispringer Josef „Bubi“ Bradl. Abfahrtsweltmeister und SA-Aushängeschild Hellmut Lantschner sowie Gustav Lantschner, Gewinner bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen sowie Kameramann in Diensten Leni Riefenstahls. Oder Ferdinand Friedensbacher - der Sieger der ersten Hahnenkamm-Abfahrt erschoss im Mai 1944 den Apotheker Joseph Sakkadakis auf Kreta. Das wurde in einem Prozess 1970 in Innsbruck von den Geschworenen als Totschlag gewertet und war somit verjährt.

ORF-Doku „Braune Brettln, braunes Leder“: Opfer, Täter und viele Mitspieler

Josef "Pepi" Jennewein, Skirennläufer und Jagdflieger, ca. 1942

Es gab aber auch die, die nicht mitmachten: Skipionier Hannes Schneider aus Stuben wurde 1938 als Gegner von den Nationalsozialisten verhaftet. Er konnte dank eines Deals, den ein US-Banker mit den Nazis schloss, auswandern – er sollte nur für einen einzigen Besuch aus den USA zurückkehren.

Große Geschichte

Ex-ORF-Chef und Rapid-Präsident Alexander Wrabetz sagte bei der Präsentation: „Wir, und da spreche ich auch für die Austria, haben eine ganz große Geschichte und eine ganz große Tradition. Dazu gehört aber auch, dass es in einer Geschichte, die nächstes Jahr 125 Jahre ist, nicht nur Sonnenseiten, sondern auch Schattenseiten gibt und dass man sich denen auch stellen muss. Das ist aber im Fall des Sports vielleicht noch einmal schwieriger, als es schon in den Familiengeschichten ist." Er wies auch darauf hin, dass etwa Rapid-Namensgeber Wilhelm Goldschmidt oder der ehemalige Stürmer Alfred „Fritz“ Dünmann  zu Opfern der Shoah wurden. Austria-Legende Herbert Prohaska erinnerte sich an Austria-Sekretär Norbert Lopper und meinte: Ich glaube und hoffe, dass so ewas nie mehr kommt."

ÖSV-Vertreter waren bei der Präsentation „aus Termingründen" nicht anwesend.

Im Anschluss an diese Doku folgt um 23.25 folgt in ORF2 das „Universum History: Luis Trenker – Ein Mann und seine Legenden“, die ein differenziertes Bild des umstrittenen Südtirolers zeichnet.

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