Meine im ORF-Nachmittagsprogramm versteckte geniale Freundin
Es hätte alles, was man sich von öffentlich-rechtlichem Fernsehen wünschen könnte: Es ist die Verfilmung eines Millionen-Bestsellers, es geht um die schwierige Emanzipation zweier Mädchen und später Frauen, die beiden jungen Hauptdarstellerinnen sind ein absoluter Glücksgriff, man lernt ein bisserl Geschichte.
Es ist aber eine amerikanisch finanzierte italienische Produktion. Und daher sendet der ORF ab heute ein sehenswertes Stück Literaturfernsehen zu einer Zeit, in der letzte Woche nicht einmal ein Prozent der Österreicher ORF2 schauten.
Heute, Sonntag, ab 13.30 Uhr startet in vier wöchentlichen Teilen „Meine geniale Freundin“, eine HBO/RAI-Serie nach Vorbild der Romane von Elena Ferrante. Es lohnt sich, das Verdauungsschlaferl zu verschieben.
Sehenswert
Und zwar auch für jene, die die Bücher verschlungen haben. Denn mit Elisa del Genio (Lenù) und Ludovica Nasti (Lila) wurden den Buchbildern zwei Gesichter, zwei Neo-Darstellerinnen gefunden, die die Stimmung der Romane nicht nur einfangen, sondern bereichern.
Die ersten Folgen drehen sich um das höchst unterschiedliche Aufbegehren zweier junger Mädchen, um sehr reale Armut, die dem Seher jede falsche Nostalgie austreibt, um eine seltsam sterile Vorstadtgegend des Nachkriegs-Neapels, dessen touristisch bekannte Teile unerreichbar fern sind.
Sie drehen sich um kleine Träume, die unverwirklichbar sind, um Herrschaftsverhältnisse, um Mütter, die grausamer sind als die Väter, um Machtmissbrauch und jene Randgebiete der Freiheit, die es in jeder Kindheit gibt.
Das Ganze wird so erzählt, wie man es außerhalb des ORF inzwischen gewöhnt ist: in langsamen, dafür aber genauen Bildern.
Hier zählen und lesen die Kinder in der Volksschule vor, hier grübeln die beiden Mädchen ausführlich, wie sie eine verlorene Puppe zurückbekommen können, und wagen einen Ausflug zum (ihnen unbekannten) Meer, der nirgendwohin führt.
Denn die Welt von Lenù und Lila ist physisch eingeengt durch einen Bahndamm und psychisch bedrückend. Sie versuchen, aus dieser mit Bildung auszubrechen.
Genial sein war auch damals: unziemlich sein.
Man kann die Zeit im ORF mit wesentlich unaktuelleren Fragen verbringen.
Warum also gibt es Derartiges zu dieser undankbaren Zeit? Der ORF sieht darin den „optimalen Sendeplatz“. Und: „Im Hauptabend legen wir das Hauptaugenmerk auf österreichische und deutsche Produktionen.“ Was das mit der Qualität von Fernsehen zu tun hat, darüber kann man nachdenken, nachdem man sich „Meine geniale Freundin“ angeschaut hat.
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