Kurz und Kogler im ORF: "Kläglich grüßt das Murmeltier"

Kurz und Kogler im ORF: "Kläglich grüßt das Murmeltier"
Das ORF-Doppelinterview mit Sebastian Kurz und Werner Kogler wurde derart herzhaft geführt, dass man sich fragen könnte, ob da immer die richtigen Untertitel gezeigt wurden.

*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*

Gleich vorweg: Das ORF-Doppelinterview mit Sebastian Kurz und Werner Kogler wurde, anders als bei der Angelobung am Vormittag, mit den richtigen Untertiteln ausgestrahlt. Die hier verwendeten Zitate sind also durchaus echt.

"Herzlich willkommen“, sagte Kurz zu Beginn. Der Interviewte begrüßte die Interviewer? Ja, Claudia Reiterer und Armin Wolf waren diesfalls im Bundeskanzleramt zu Gast.

Man könne natürlich nicht alle 326 Seiten des Regierungsprogramms besprechen, sagte Wolf. Kurz kommentierte kokett: "Ich nehme an, Sie entscheiden, über welche Seiten wir reden wollen, oder?"

Kurz und Kogler im ORF: "Kläglich grüßt das Murmeltier"

Nach diesem Vorgeplänkel dann die etwas kecke Einstiegsfrage von Reiterer: "Wer von Ihnen beiden ist Mitte und wer ist rechts?"

Die Antwort Kurz‘ verwunderte nicht: "Wir sind eine bürgerliche Mitte-Rechts-Partei. Die Grünen sind eine Ökobewegung und eine Öko-Partei.“ Dann brachte Kurz erneut die Haupterzählung dieser Regierung. Man habe keine Minimalkompromisse schließen müssen, jeder hätte den Raum vorgefunden, sich in wesentlichen Bereichen zu entfalten.

Kogler wiederum fügte die Haupterzählung für seine Klientel an: "Besser Mitte-Rechts mit Grün als Mitte-Rechts mit Rechtsextrem."

Der Grünen-Chef wurde dann von Wolf erneut damit konfrontiert, Kurz einmal als "komplett ideologiebefreiten" "Chef einer türkisen Schnösel-Truppe“ bezeichnet zu haben. Kogler: Das sei erstens vor dem Wahlkampf gewesen und zweitens habe er in selbigem Interview auch gesagt, man könne durchaus von Kurz lernen, wie man Inhalte geradlinig vertritt.

 

Kurz und Kogler im ORF: "Kläglich grüßt das Murmeltier"

"Eine Frage von vorgestern"

Danach ging es um die in den letzten Tagen unausweichliche Frage, wer von beiden sich durchgesetzt habe. Diese sollte viel später an diesem langen Politikabend von Agenda-Austria-Chef Franz Schellhorn als "reine Journalistendiskussion" bezeichnet werden. Kurz hielt diese Frage im Interview für "von vorgestern".

Wolf aber wollte wissen, in welchen Punkten ein Regierungsprogramm ohne Beteiligung der Grünen anders ausgesehen hätte. Kurz gab zu, dass das Klimakapitel dann wohl ein anderes gewesen wäre.

Dazu noch eine weitere geschickte Frage von Reiterer an Kogler: "Was ist denn das Beste aus der Welt der ÖVP?"

Geschickte Antwort von Kogler: Der Begriff "Das Beste aus beiden Welten" sei nicht von ihm, "weil es gibt nur eine Welt und da leben alle Menschen drauf.“ Was die Handschrift der ÖVP betreffe, gebe es schon ein paar Dinge bei den Themen Wirtschaft, Umwelt und Soziales, wo Grün auch gut mit könne. Das sei eben das Konzept einer ökosozialen Marktwirtschaft.

Kanzler Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Kogler (Grüne) im Interview

Kogler hatte, wohl geeicht von einigen Interviews in den letzten Tagen, seine Rhetorik gut geölt und formulierte betont ruhig.

Bei Kurz fiel auf, dass er zwar gewohnt eloquent formulierte, sich aber bei bestimmten Fragen enerviert zeigte.

Beispiel 1: Warum die ökosoziale Steuerreform erst frühestens 2022 umgesetzt werde, fragte Reiterer. "Das stimmt so nicht", unterbrach Kurz. Denn die Ökologisierung des Steuersystems starte schon in früheren Schritten. "Wir werden Ihnen nicht jetzt die Frage beantworten, die wir zwei Jahre lang gemeinsam erarbeiten wollen." 

Beispiel 2: Wolf zitierte die renommierte Wirtschaftsforscherin Margit Schratzenstaller: "Vermutlich haben sich die Parteien in diesen Punkten noch nicht geeinigt“, weil konkrete Gegenfinanzierungsmaßnahmen im Regierungsprogramm "offen gelassen" würden.

Kurz: "Ich finde es immer interessant, dass Leute (in diesem Fall: „Die Dame“) die Regierungsverhandungen kommentieren, die selbst nicht dabei waren.“

Der Autor dieses TV-Tagebuchs ist zwar während des Interviews nicht im Kanzleramt gewesen, fragt sich jetzt aber: Sollen Journalisten überhaupt keine Vorgänge mehr thematisieren, bei denen sie nicht direkt dabei gesessen sind? Da diese Frage gestern nicht gestellt wurde, nun aber weiter im Text.

Reiterer ließ nicht locker und kommentierte das Dauerthema Kalte Progression, die nun wieder nicht abgeschafft wird, so: "Kläglich grüßt das Murmeltier." Dann hielt sie ein Taferl ins Bild, auf dem mehrere Politiker, die ein Taferl ins Bild halten, zu sehen waren.

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Das Foto stammt aus der letzten ORF-Elefantenrunde vor der Wahl (lang ist’s her) und zeigt alle Spitzenkandidaten, die ihre Zustimmung zur Streichung der Kalten Progression bekundeten.

"Man hat ja gottseidank nicht nur mit Tafeln aufzeigen müssen, sondern im Wahlkampf auch den einen oder anderen Satz dazu sagen dürfen“, sagte Kurz, wieder leicht pikiert wirkend. Die Abschaffung der Kalten Progression sei ein Ziel, aber die Senkung der Lohn- und Einkommenssteuer habe Priorität und sei effektiver, meinte der Kanzler.

Zu schnoddrigen Seitenhieben wäre vielleicht auch Kogler aufgerufen gewesen, der nicht nur ein Mal in die Situation kam, die Regierungspläne zu verteidigen. Dieser wurde dabei von Wolf zu kürzeren Antworten angehalten, obwohl er für seine Verhältnisse recht schlank formulierte.

Dann das Thema "koalitionsfreier Raum". Kurz hat "ein gutes Gefühl", dass der Ausweichmechanismus für Asylkrisen nicht zum Einsatz kommen wird. Wann und ob es zum Krisenfall komme, würden jedenfalls beide Parteien vermessen, sagte Kogler, und mit einem Schmunzeln könnte man anmerken, so der Vizekanzler, dass auch die Grünen den "siebenstufigen" Lösungsmechanismus auslösen könnten, auch wenn deren Möglichkeiten zur Mehrheitsfindung im Parlament nicht so vielfältig seien.

"Blaue Rehabilitierungsübungen"

Koglers Antwort zu diesem Thema war bei weitem nicht so kurz, wie das Wolf zuvor eingefordert hatte. Denn der Grünen-Chef fügte noch an, dass man sehr wohl einen Beitrag leisten wollte, "dass Türkis nicht noch einmal in Versuchung kommt, die Blauen irgendwelchen Rehabilitierungsübungen zu unterziehen“, die am Schluss dann doch nicht erfolgreich sein können, "weil die genetisch auf der schiefen Bahn sind."

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Noch mehr hin und herschweifende Rede war nötig, als Kogler dann auf das Thema Sicherungshaft angesprochen wurde. Zuerst werde geprüft, ob die Maßnahme - etwa "für rabiate Einzelfälle“ - überhaupt notwendig ist. Wolf hakte nach: Ob Kogler ausschließen könne, dass die Grünen einer entsprechenden Verfassungsänderung zustimmen? Kogler: "Ich habe in den letzten zwei Jahren gelernt, wirklich nicht alles auszuschließen. Ich weiß schon, dass das eine beliebte Frage ist. Ich schließe es deshalb nicht aus, weil die Formulierung grammatikalisch auch diese Möglichkeit zulässt. Nur umgekehrt ist es so, dass ich einmal davon ausgehe, dass wir uns im Rahmen der bestehenden Verfassung bemühen werden und dann werden wir weitersehen, wo das Ding steht.“

Haben Sie verstanden, wo "das Ding stehen" könnte? Es ist also nichts auszuschließen. Oder doch?

Frauen integrieren?

Etwas später stellte dann Reiterer wieder einmal eine etwas g'feanzte Frage an Kurz. Es ging um die Ansiedelungen der Frauenagenden im Integrationsministerium. Ob die 4.490.959 Frauen in Österreich denn integriert werden müssen?

Kurz meinte, die Frage, warum es kein eigenes Frauenministerium gebe, nicht ganz zu verstehen. Das sei schon öfter so gewesen. Jetzt sei es noch immer "ein eigenes Ressort, verbunden mit Integration.“

Und dann erklärte er recht unverblümt, warum das so sei. Die Herausforderungen für die Frauenrechte sieht die ÖVP offenbar vor allem in der Migration. Es seien laut Kurz folgende: "Das Sicherheitsgefühl von Frauen – gerade in großen Städten, das Aufkommen von Machokulturen, die teilweise nach Österreich importiert worden sind, teilweise ein falsches Rollenverständnis von manchen Zuwanderern." 

Zum Thema Frauenrechte hätten die Grünen noch vor ein paar Monaten sicher einiges anzufügen gehabt. Kogler ließ es aber sicherheitshalber bleiben.

Kurz und Kogler im ORF: "Kläglich grüßt das Murmeltier"

Zu kolportierten ersten Absprachen über von der Regierung zu vergebende Posten hatten die Regierungsspitzen relativ klare Antworten parat.

Kurz: "Dass alle plötzlich im Ministerrat gleich abstimmen, dafür reicht meine Fantasie nicht wirklich aus.“ Daher sei klar, dass gewisse Absprachen notwendig sind.

Kogler: "Wir sind zwar neu, aber nicht naiv."

Kurz als Koglers "Pflichtverteidiger"

Nach der Abhandlung von Hacklerregelung (Kurz will das Gesetz reparieren), Luftraumüberwachung (Kogler will es möglichst kostengünstig), Ausweispflicht im Internet (Kurz: "Kommt nicht") kam es zum Schluss bei einer Grundsatzfrage an Kogler noch einmal zu unübersichtlichen Szenen.

Reiterer erklärte, dass die ÖVP-Vorhaben im Regierungsprogramm "fast alle ein Datum haben oder früher gemacht werden" und die "Vorhaben der Grünen entweder später gemacht werden oder kein Datum" haben.

Kurz unterbricht: "Frau Reiterer, das stimmt nicht!"

Reiterer, irgendwann dazwischen: "Die Lohnsteuersenkung hat ein Datum …“

Und dann: "Lassen Sie mich die Frage stellen …"

Kurz: "Aber ich kenn‘ die Frage schon …" Er erklärt, dass bereits die Lohnsteuersenkung mit Ökologisierungsmaßnahmen verbunden werde.

Reiterer kann die Frage dann endlich ausführen und Kogler - mit folgender Konklusio - stellen: "Papier ist geduldig. Glauben die Grünen, dass es eben fünf Jahre halten wird?"

Kogler: "Das hätte ich mir auch nicht gedacht, dass Sebastian Kurz einmal – Dankeschön – zur Pflichtverteidigung ausrückt."

Kurz und Kogler im ORF: "Kläglich grüßt das Murmeltier"

Der Grünen-Chef gab zu, dass bei vielen Maßnahmen kein exaktes Datum dabei stehe, "aber oft ergibt sich ja schon aus der Formulierung, welche Möglichkeiten der Implementierung sich hier vorfinden." Der Befund sei insgesamt und "über alle Maßnahmen drüber nicht zulässig.“ Das riesige Klimaschutzpaket sei jedenfalls "einmalig in Europa". Manche Dinge wie das 1-2-3-Ticket seien einfach langwierig zu implementieren, sagte Kogler.

"Eh ausreichend Risiko"

Und dann die eigentliche Antwort: "Wir als Grüne nehmen eh ausreichend Risiko, man merkt’s auch an den kritischen Fragen, aber wir haben uns das genau überlegt … und dann wohl für fünf Jahre.“

Kurz will zwar klarerweise nicht versprechen, dass es fünf Jahre hält - denn wer kann das schon -, aber er werde "alles tun, um dafür bestmöglich meinen Beitrag zu leisten.“

Der Kanzler scheint jedenfalls gewillt, die neue Koalition auch mit scharfen rhetorischen Mitteln zu verteidigen. Und der Vizekanzler bleibt offenbar bei seinem "Keep cool" aus den Verhandlungen.

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