Im Zentrum: "Danke, dass ich als Mann auch was sagen darf"

Im Zentrum: "Danke, dass ich als Mann auch was sagen darf"
Eine Frauenrunde mit Wöginger debattierte am Sonntagabend wohltuend sachorientiert über die neue türkis-grüne Regierung.

*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*

All das mag ich
All das mag ich
Aber hier leben, nein danke
Aber hier leben, nein danke

Diese Zeilen stammen aus dem gleichnamigen Tocotronic-Song, mit dem der einleitende Beitrag für "Im Zentrum" untermalt wurde. Dort ging es diesmal um die Frage: "ÖVP-Grüne: Das neue Mitte-Rechts?"

Bei den Grünen scheint es eher umgekehrt zu sein. Sicherungshaft, Kopftuchverbot, Ablehnung des UN-Migrationspakts - "All das" mögen sie eigentlich nicht, dennoch wollen sie in aufrechter Koalition mit Türkis leben. Warum das so ist, sollte im ORF-Talk am Sonntagabend ergründet werden. Und es hätte auch gehöriges Konfliktpotenzial mit sich gebracht.

Hätte.

Denn die Diskussionskultur war an diesem Abend sehr hochstehend. In der Sache hart, aber im Ton verbindlich. Wenn einmal das Wort "Blödsinn" fiel, dann wurde darüber eher geschmunzelt. Betont unaufgeregt wurden die einzelnen Teilbereiche des türkis-grünen Regierungsprogramms durchdekliniert. Niemand fiel der anderen ins Wort.

Frauenrunde

Woran das lag? Wohl an den handelnden Personen. Und diese waren an diesem Abend fast ausschließlich Frauen. Neben Moderatorin Claudia Reiterer waren dies die Klubchefinnen Pamela Rendi-Wagner (SPÖ), Sigrid Maurer (Grüne), Beate Meinl-Reisinger und die Klubobmann-Stellvertreterin Susanne Fürst (FPÖ). Wobei die Diskussion mit einem Klubchef Herbert Kickl, der freilich auch angefragt war, vielleicht anders ausgesehen hätte.

So war es aber August Wöginger (ÖVP) vorbehalten, als männlicher Einzelkämpfer aufzutreten. Das Wort "Kämpfer" kann man aber gleich wieder streichen, denn der Innviertler formuliert außerhalb von Wahlkampfzeiten üblicherweise besonnen.

Während das All-Women-Panel mit Quotenmann also eine sachorientierte Diskussion ablieferte, tobten sich die Alphamännchen indes auf Twitter aus. Falter-Chefredakteur Florian Klenk schrieb: "Hat Sigi Maurer jetzt echt gesagt, es gibt kein links und rechts mehr? #imzentrum"

Mehr hätt's nicht gebraucht.

Was hatte die frisch gekürte Klubchefin der Grünen, Sigrid Maurer, bei "Im Zentrum" eigentlich gesagt? Das hier: "Wir haben mit dieser Koalition diese Rechts-Links-Definitionen endgültig gesprengt.“

Also etwas erkennbar anderes. Klenks Tweet wurde nach heftiger Debatte gelöscht.

Maurer sieht keinen Mitte-Rechts-Kurs

"Diese Regierung lässt sich nicht so eintüten", sagte Maurer. Daher sieht sie auch keinen Mitte-Rechts-Kurs. Die Grünen hätten ihre Themen saubere Umwelt, saubere Politik und soziale Gerechtigkeit untergebracht.

Rendi-Wagner gab sich erneut gesprächsbereit: "Jeder hat eine Chance verdient." Die soziale Handschrift dieser Regierung sei aber kaum sichtbar, meinte sie. Sie sehe hier lediglich "eine Fortschreibung aus türkisblauer Zeit". Und dort, wo gute Ansätze erkennbar seien – die Nahverkehrsförderung sei "super!" – sei die Finanzierung noch sehr vage beschrieben.

Fürst machte freilich typische Oppositionsansagen, aber eben in einem annehmbaren Ton. Sie sehe bei weitem nicht "das Beste aus beiden Welten", wie Wöginger noch einmal betonte, sondern "das Beste, was Türkis und Grün hervorbringen." Sie glaube aber "nicht, dass das das Beste ist für Österreich." Das Regierungsprogramm ähnle eher einem "Abkommen über gegenseitige Nichteinmischung", die Koalition sei ein "fragiles Experiment". Da auch ein "Klausel für den Krisenfall" eingezogen worden sei, habe die ÖVP offenbar "Zweifel, ob mit den Grünen ein Staat zu machen ist", meinte Fürst. Sie erkenne vieles aus dem türkis-blauen Programm von 2017 wieder. Die Grünen hätten dieses unterschrieben, meinte Fürst, "mit Blau würde es auch umgesetzt."

"Serientäterschaft" und "fettes Grinsen"

Während Wöginger, die "Zusammenarbeit mit der FPÖ nicht missen" wollte, erinnerte Meinl-Reisinger noch einmal an eine "Summe an Serientäterschaften und rechtsextremen Aussagen" und eine gewisse "Korruptionsneigung". All das wolle sie nicht in einer Regierung wissen.

Was die Grundrechte betrifft, sei einiges "von Türkis-Blau volley übernommen worden", was eine "Enttäuschung" sei. Blicke man in den Rückspiegel, "sitzen dort Kickl, Strache und Hofer und grinsen fett", sagte Meinl-Reisinger. Aber ansonsten meinte sie: "Regiert’s einmal!" Vieles im Regierungsprogramm sei "aufgeblasen und vage". Aber: "Ohne Geld ka Musi, sonst ist das alles ein Luftschloss auf Treibsand gebaut."

Konkrete Aussagen gefordert

Reiterer war sichtlich bemüht, den Neo-Regierungspartnern konkrete Aussagen abzuringen. Worauf sich die Österreicher also vor allem im Abgabenbereich tatsächlich einstellen können.

Wöginger pochte lediglich auf den "sozialen Ausgleich", ohne konkrete Maßnahmen zu nennen. Die Innviertler zum Beispiel hätten andere Voraussetzungen als die Wiener. Dort gebe es kein entsprechend gut ausgebautes Verkehrsnetz. Leute am Land würden das Auto brauchen, "um in die Arbeit zu kommen.“

Reiterer: "Heißt das, Dieselautos werden nur in der Stadt teurer?"

Hierzu gab es keinerlei klare Aussage.

Rendi-Wagner kritisierte erneut, dass bei Plänen aus der ÖVP-Welt sehr wohl konkrete Zahlen und Zeitangaben verankert seien. So wie etwa bei der Senkung des Spitzensteuersatzes von 55 auf 50 Prozent im Jahr 2021.

Wöginger konterte, es sei eine Senkung in allen Tarifstufen geplant.

Fürst sagte, diese Pläne würden noch aus der von Türkis-Blau geplanten Steuerreform stammen, diese und auch den Ausbau des Familienbonus "werden wir sicher unterstützen".

"Bledsinn"

Meinl-Reisinger sprach von einer weiteren "Enttäuschung": Dem Nicht-Antasten der kalten Progression. "Was heißt schon evaluieren", sagte sie, "das ist ja alles Bledsinn, es gibt genügend Evidenz dazu aus dem Parlament.“ Man spreche von einer Entlastung, dabei habe man vorher schon über die kalte Progression "den Österreichern zu viel aus der Tasche gezogen".

Wöginger schüttelte kurz den Kopf über den "Bledsinn" und setzte ein breites Kampflächeln auf.

Reiterer, in leichter Übertreibung: "Das hat Sie fast nicht am Sessel sitzen lassen, Herr Wöginger."

Rendi-Wagner und Fürst lachten. 

Wöginger: "Weil’s einfach so nicht stimmt." Die Entlastungsschritte hätten in Summe ein größeres Volumen als die kalte Progression, sagte er.

IM ZENTRUM: ÖVP - Grüne: Das neue Mitte-Rechts?

"Ich habe keine Zahlen auszuspucken"

Maurer antwortete auf den Vorwurf der nicht so konkreten Finanzierung. Sie sei den Neos zwar dankbar gewesen für ihr CO2-Steuermodell. Aber in dem pinken Konzept wären SUVs sogar billiger geworden. Sie möchte daher "ein Modell, das der Überprüfung standhält". Dazu würden die Grünen erst die Daten vom Umweltbundesamt und vom Finanzministerium brauchen.

"Ich habe keine Zahlen auszuspucken", sagte Maurer. "Man muss sich tatsächlich auf das verlassen, was wir seit Jahren sagen."

Rendi-Wagner blieb strikt beim Thema soziale Gerechtigkeit. Ihre Überzeugung sei: “Jedes Kind ist gleich viel wert.“ Dies sei beim Familienbonus aber nicht der Fall, was sie für "nicht gerecht" halte. Die Grünen hätten "eine Chance vergeben, dass sie den unsozialen Kurs nicht weiterführen."

Maurer erklärte zwar, dass der Familienbonus nun sozial abgefedert werde, gab aber unumwunden zu: "In einer anderen Regierung hätte man das anders gemacht. Wir sind nun einmal mit der ÖVP in einer Regierung."

Wöginger fügte an, dass der Familienbonus eben "eine steuerliche Entlastung" sei. Fürst stimmte das bekannte FPÖ-Lied an, dass Österreich zur Gesamtlage des Weltklimas wenig beitragen könne und kritisierte das Konzept "Vorbildwirkung": Der geplante Kohle-Ausstieg in Deutschland finde praktisch keine Nachahmer, wenn man China, Indien und überhaupt Südostasien betrachte.

Im Zentrum: "Danke, dass ich als Mann auch was sagen darf"

Susanne Fürst (FPÖ)

Dann wurde es kurz ein bisschen populistisch.

Maurer sagte: "Australien brennt, wir haben nur noch zehn Jahre Zeit …"

Fürst: "Ja, es gibt über hundert Brandstifter, die dort verhaftet sind, ich sag’s nur."

Der Autor dieses TV-Tagebuchs sagt nur: Hier besteht dringender Fake-News-Verdacht.

Maurer bewunderte, ironisch gesprochen, die Gelassenheit, hier zuzuschauen. Die Grünen hingegen würden "nicht ruhig dasitzen und auf andere zeigen."

 

Fürst meinte, es stehe nicht dafür, "Arbeitsplätze und die Wirtschaft zu zerstören, weil wir nur einen ganz kleinen Anteil haben."

"Kluger Mann!"

Die Highlights aus dem Thema Pensionen: Meinl-Reisinger forderte "Generationenfairness". Es gelte, wenn man so einen hohen Zuspruch wie die Volkspartei habe, "nicht nur das Populäre, sondern auch das Richtige zu tun."

Reiterer: "Landeshauptmann Schützenhöfer verwendet immer diesen Satz …"

Meinl-Reisinger: "Kluger Mann!"

Rendi-Wagner lachte mit.

Das Originalzitat stammt übrigens vom früheren deutschen Bundespräsidenten Walter Scheel.

Wöginger rutschte beim Thema Pensionsreform kurz ins Innviertlerische: "Schau ma mal, wos der Macron in Frankreich zsammbringt am End vom Tog."

Die Hackler

Erwartbaren Dissens gab es auch beim Thema Hacklerregelung, die kurz vor der Wahl von SPÖ, FPÖ und in dritter Lesung auch von der ÖVP beschlossen wurde. Gerechtigkeit wollen irgendwie alle herstellen, nur sind die Vorstellungen davon sehr unterschiedlich.

Als Maurer dann den grünen Sozialminister Rudi Anschober mit dem früheren roten Sozialminister Rudi Hundstorfer verwechselte, gab es wieder gemeinsame Erheiterung mit Rendi-Wagner.

Die Migration

Auch beim Thema UN-Migrationspakt blieb die Diskussion einigermaßen sachlich. Maurer sagte einmal mehr, dass man über den Verlauf der Debatte "nicht glücklich" sei. An den grünen Positionen habe sich nichts geändert, "aber es war nicht möglich, das zu paktieren."Wöginger sagte lediglich: Zum UN-Migrationspakt stehe nichts im Regierungsprogramm, "wir bleiben bei unserer Position." Diese war eben 2018 mit der FPÖ abgestimmt worden.

Die Frauen

Abschließend ging es in der Frauenrunde mit Wöginger dann noch um Frauenpolitik. Reiterer fragte, warum die Grünen die Frauenagenden hergegeben hätten.

Maurer antwortete spitzfindig: "Wir hatten sie ja nicht."

Sie interpretierte dann die koalitionäre Entscheidung so, dass die ÖVP sich mit den Frauenagenden offenbar moderner darstellen wolle.

Die ÖVP und moderner? Das wollte Wöginger nicht so bestätigen.

Seine spitzfindige Antwort: "Wir hatten sie ja schon. (die Frauenagenden)"

Rendi-Wagner musste noch ein Mal lachen.

Tirol und seine Machos

Nächste Frage: Kurz habe die Entscheidung, die Frauenagenden im Integrationsministerium anzusiedeln unter anderem mit dem "Aufkommen von Machokulturen, die teilweise nach Österreich importiert worden sind" argumentiert. Was Maurer dazu sage?

"Ich komme ja ursprünglich auch vom Land, dort ist eine Machokultur, die nicht importiert ist, an der Tagesordnung." Maurer halte das daher für "eine sehr einseitige Interpretation."

Klar war, dass hier Susanne Fürst noch einmal einschreiten musste und die FPÖ-Lehre verkündete: "Die Frauenhäuser sind nicht voll mit Frauen, die vor ihren Tiroler Ehemännern fliehen, sondern zu einem großen Teil vor Ehemännern, die aus dem islamischen Kulturkreis stammen.“

Maurer schüttelte den Kopf und sagte: "Die Frauenhäuser gibt es seit dreißig Jahren."

Wöginger, der noch einmal am Wort war: "Danke, dass ich als Mann auch was sagen darf."

Rendi-Wagner beliebte noch einmal zu scherzen: "Aber nur ganz kurz."

Wöginger, der noch einstreute, das Frauenkapitel gemeinsam mit Birgit Hebein verhandelt zu haben, war naturgemäß der Meinung, ein rundes Paket, "bis hin zum Kopftuchverbot", vorgelegt zu haben.

Rendi-Wagner sah das naturgemäß anders: Gute Ansätze, aber zu wenig, um die Lohnschere zu schließen. Die Unterhaltsgarantie für Alleinerzieherinnen fehle völlig.

Die Diskussion im Fazit

Die SPÖ-Chefin lachte viel und sprach fast ausschließlich über Sozialpolitik. Die Neos-Chefin formulierte am blumigsten und positionierte ihre Partei stärker bei grünen Themen wie Grundrechten als Rendi-Wagner. Die FPÖ reklamierte einen Gutteil des Regierungsprogramms für sich, versuchte aber trotzdem kantige Opposition.

ÖVP und Grüne koexistierten auch bei diesem TV-Talk friedlich, wenngleich die inhaltlichen Unterschiede mehr als deutlich zu Tage traten.

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