"Herr der Ringe"-Serie: Die Macht der Millionen in Mittelerde
Diese Geschichte begann im 3. Jahr des Zweiten Zeitalters von Amazon. Jenes Zeitalter, in dem der US-Onlinehändler für Waren aller Art einen eigenen Streamingdienst startete. Im September 2017 sagte Amazon-Chef Jeff Bezos der Legende nach zu seinen Untergebenen bei Prime Video: „Bringt mir das neue ,Game Of Thrones‘!“ Das Zitat ist nicht 1:1 verbürgt, aber so ist das eben in mythischen Geschichten. Fakt ist, dass Bezos zwei Monate später verkündete, dass sein Konzern sich um 250 Millionen US-Dollar die Rechte gesichert hatte, aus J.R.R. Tolkiens Fantasy-Saga „Herr der Ringe“ eine Fernsehserie zu machen.
Die Gründe dafür sind recht irdischer Natur. Mit einer Serie, die weltweit einschlägt, lassen sich neue Kunden gewinnen, die dann nicht nur in Mittelerde vorbeischauen, sondern weitere Produkte kaufen, die sie mit ihrer Prime-Mitgliedschaft geliefert bekommen können.
Um den Hollywood-erprobten „Herr der Ringe“-Stoff ritterten dem Vernehmen nach auch Netflix und HBO (Warner). Überhaupt sind wahre „Streaming Wars“ im Gange. Binnen eines Monats gehen drei Megaprojekte an den Start: Den Anfang machte das „Game of Thrones“-Prequel „House of the Dragon“ (HBO, hierzulande auf Sky), dieses Wochenende „Die Ringe der Macht“ bei Prime Video und am 21. September kommt das „Stars Wars“-Spin-Off „Andor“ auf Disney+.
Recycling-Welle
Kritiker befürchten, dass sich nach den kreativen Gründerjahren mit sehr eigenständigen Serien wie „Breaking Bad“ oder „Mad Men“ nun auch im Streamingbereich eine große Recycling-Welle Bahn bricht – mit entsprechendem Materialverschleiß. Für die erste Staffel von „Die Ringe der Macht“ soll Amazon 465 Millionen US-Dollar ausgegeben haben, womit jede der acht Folgen im Schnitt mit fast 60 Mio. Dollar zu Buche schlägt – ein einsamer Rekord, „House of the Dragon“ etwa kostet 15 Mio. pro Folge. Amazon Studios dürfte die Milliardengrenze bereits mit Staffel zwei, die demnächst gedreht wird, überschreiten.
Auch dieser astronomische Mitteleinsatz ließ Tolkien-Fans skeptisch werden - obwohl man sich mit Simon Tolkien sogar einen Enkel des "Herr der Ringe"-Schöpfers ins Boot geholt hatte. Die ersten Trailer bekamen nicht gerade Bestnoten. Bei solchen finanziellen Dimensionen ist die Flopgefahr auch groß. Um die Stimmung zu verbessern, wurden ausgewiesene Tolkienologen zu exklusiven Screenings eingeladen, wobei sie nur Schnipsel zu sehen bekamen, die keine Rückschlüsse auf Storyverläufe ermöglichen sollten.
Jahrtausende
Längst war aber klar: „Die Ringe der Macht“ befasst sich mit dem Zweiten Zeitalter, jene 3.441 Jahre, in denen Sauron zum ultimativen Schurken aufsteigen konnte. Und das, obwohl der Tolkien Estate – die Nachlassverwaltung des berühmten Oxfordprofessors – das dafür zentrale Buch „Silmarillion“ als Quelle für derlei Vorhaben sperrte.
Wie die Showrunner J.D. Payne und Patrick McKay bekannt gaben, habe man „nur“ die TV-Rechte für „The Hobbit“ und die „Ring“-Trilogie – und: für deren Anhänge. In dieser Materialiensammlung fand man genug Stoff für eine „Struktur, die sich organisch angefühlt hat“, wie Payne diese Woche in einer Online-Pressekonferenz sagte.
Den Kunstgriff, wie man mehrere tausend Jahre in den fünf geplanten Staffeln erzählen kann, erklärte dem KURIER der britische Regisseur Wayne Che Yip. Er verantwortet vier der ersten acht Episoden, die restlichen sein spanischer Kollege J.A. Bayona. „Es kann keine direkte Übersetzung sein“, meint Yip. „Die Elben sind im Grunde unsterblich, also können sie alles umfassen. Aber dann sind da noch die Menschen – auch die Zwerge und die Halblinge haben keine längere Lebensdauer. Wenn wir also alles in Echtzeit behandeln würden, müssten wir fast jede Staffel eine andere Besetzung haben. Und große entscheidende Ereignisse, wie die letzte Allianz der Menschen und Elben, das Schmieden der Ringe der Macht, die Schlacht mit Sauron um den einen Ring, müssten alle in der letzten Folge der letzten Staffel passieren. Es musste also eine gewisse Komprimierung geben, damit wir in den frühen Staffeln zumindest einige der kanonischen menschlichen Charaktere treffen können.“
KURIER: Werden wir viele Überraschungen mit neuen Charakteren erleben, oder ist es der Versuch, diese Welt nachzubilden? Wayne Che Yip: Auf jeden Fall wird es Überraschungen geben! Es wird Dinge geben, auf die Leute hoffen, und es wird neue Dinge geben – für die Die-Hard-Fans, die Gelegenheitsfans, aber auch für jene, die völlig neu in dieser Welt sind. Am Ende ist es hoffentlich eine großartige Geschichte mit den universellen Themen, die Tolkien so beliebt gemacht haben.
Wie positioniert sich die Serie zu Peter Jacksons Kinofilmen?
Wir haben nicht versucht, daran anzuschließen oder uns davon strikt zu lösen. Alle Beteiligten lieben die Filme ebenso wie Millionen anderer Menschen. Wir wollten in aller Bescheidenheit etwas erschaffen, das den großartigen Interpretationen von Tolkiens Werk etwas hinzufügt.
Wie gut muss man sich mit Tolkien auskennen?
Man muss nichts gesehen oder gelesen haben, um die Serie zu genießen, weil sie universelle Ideen von Freundschaft, Abenteuer und vom Kampf gegen das Böse vermittelt. All das ist auch in Tolkiens Werk zu finden, daher hoffe ich, dass wir seinem Geist treu geblieben sind.
Manche kritisierten, dass ein Elbe von einem Schwarzen gespielt wird.
Wir haben die besten Schauspieler für den Job gesucht und uns nicht bemüht, jemanden zu finden, der ein spezifisches Aussehen hat. Wir haben es für alle geöffnet, egal, woher sie kamen. Daher hoffe ich, dass die Leute rasch aufhören, über Diversity nachzudenken, und sich einfach in die Charaktere verlieben.
Kommt Gandalf?
Um das Personal der Serie gab es längst Spekulationen. So ist etwa noch nicht klar, wer den düsteren Sauron spielt. Viele fragen sich, ob die beliebte Figur des Gandalf auftauchen könnte. In den ersten Episoden wurde zwar bereits ein Kandidat ausgemacht, der sich als der berühmte Zauberer entpuppen könnte. Aber in Tolkiens Erzählung kommen die Istaris (Zauberer) erst im Dritten Zeitalter nach Mittelerde.
Im Fall der berühmten Elbin Galadriel, die bei Tolkien im Zweiten Zeitalter keine große Rolle spielt, nahm man sich allerdings gewisse Freiheiten und machte sie sogar zur zentralen Figur, gespielt vom walisischen Shootingstar Morfydd Clark (33).
"Morfydd hat dieses Feuer"
Leith McPherson, seit Peter Jacksons „Hobbit“-Kinotrilogie Dialekttrainerin für Elbisch, Zwergisch und Orkisch, sagt über die Figurenzeichnung: „Die Galadriel, die wir hier kennenlernen, ist voller Feuer. Sie hat nicht die ätherische Ruhe, die wir im Dritten Zeitalter sehen. Sie verdient sich das durch alles, was ihr im Zweiten Zeitalter passiert. Und Morfydd hat dieses Feuer, hat diese Verbindung, hat diese Stärke. Es ist unglaublich, das zu sehen.“
McPherson über den Reiz des Projekts: „Selbst wenn Sie glauben, Mittelerde schon zu kennen, so haben Sie es in dieser Zeit noch nicht gesehen. Das hat niemand. Unser Kreativteam und alle Künstler, die an der Serie arbeiten, ermöglichen es uns, durch diese Tür in eine ganz neue Landschaft zu treten. Ich als jemand, der gerne Zeit in Tolkiens Welt verbringt, kann an ein Filmset gehen, um zum Beispiel Númenor zu sehen, dieses außergewöhnliche Inselkönigreich, das wir noch nie zuvor auf dem Bildschirm gesehen haben.“
Gut möglich, dass Jeff Bezos auch dieses Verlangen getrieben hat, mit seinen Milliarden ausgerechnet bei Tolkien anzudocken. Bezos, der sich mittlerweile aus der Vorstandsetage zurückgezogen hat, stand bei der Londoner Premiere am Dienstag jedenfalls wieder in erster Reihe und bezeichnete sich auf der Bühne als großer Tolkien-Fan.
Einer seiner Söhne sei ein regelrechter „Tolkien-Gelehrter“, meinte Bezos und habe am Beginn des Projektes zu ihm gesagt: „Dad, bitte verbock’ das nicht!“ Die ersten beiden Episoden lassen jedenfalls den Schluss zu, dass von einem künstlerischen Totalschaden keine Rede sein kann. Vielleicht liegt das auch am kreativen Widerstandsgeist der Serienmacher Payne und McKay. Bezos dankte ihnen, dass sie seine Anmerkungen „zur richtigen Zeit ignoriert haben“.
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