Vor vier Jahren schon wurde der 30. Geburtstag des World Wide Web gefeiert; Tim Berners-Lee entwickelte die Technologie 1989. Der Moment, der die Geschichte nachhaltig verändert hat, kam aber eigentlich erst am 30. April 1993, also heute vor 30 Jahren: Das CERN überführte die hinter dem weltweiten Netz an Webseiten liegende Technologie ins öffentliche Eigentum, verzichtete auf viel, viel Geld – und das hieß: Ab da konnten Unternehmen und Private die diese Technologie verwenden, verändern und ungehindert Webseiten online stellen. Der Rest ist, wie es so schön heißt, Geschichte.
Das WWW – also jene Internettechnologie, die Webseiten zum, welch bereits altmodischer Begriff, Internetsurfen anzeigt – teilt die Geschichte in ein Vorher und ein Nachher. Wie viele Revolutionen fing sie banal an: Die erste Webcam zeigte eine Kaffeemaschine, einer der ersten dokumentierten Online-Käufe war, natürlich, eine Pizzabestellung.
Aber sie hätte nicht grundlegender sein können. Arbeits- und Kulturwelt, das Nachrichtenbusiness und eigentlich alles andere wurde auf neue Beine gestellt. Plötzlich hatte das Internet, das es schon Jahrzehnte zuvor gab, seine killer application, jene Anwendung also, die es für ein breites Publikum interessant machte.
Die Geschichte des Webs ist begleitet von doofen Marketingbegriffen; einer der ersten davon ist die Datenautobahn. Dabei fanden die ersten Bewegungen im WWW eher in der Daten-30er-Zone statt: Man musste minutenlang zusehen, wie sich ein Bild aufbaute, als Jahre später dann die Musiktauschbörsen das Musikbusiness auf den Kopf stellten, brauchte eine mp3-Datei oft immer noch einen Nachmittag zum Download.
Geschwindigkeit war nicht der Clou des WWW, sondern die Verfügbarkeit von Information. Das ist auch eines der (wenigen) Versprechen, die die digitale Revolution gehalten hat: Das Herrschaftswissen, zuvor eingebunkert in 20-bändigen Nachschlagewerken in bürgerlichen Haushalten, ist heute in einem Maße allen zugänglich, das geschichtlich absolut einmalig ist.
Der Punkt, an den vor 30 Jahren jedoch niemand dachte, ist, dass Informationsfluss immer zwei Seiten hat, sprich: dass es noch lange nicht heißt, wenn all das höchstwertige Wissen verfügbar ist, dass sich die Menschen auch dafür interessieren. Das weltweite Webseitennetz wurde rasch zu einem – überaus unangenehmen – Spiegel, den sich die Menschheit selbst vorhält, und der uns so zeigt, wie wir sind, und nicht so, wie wir sein wollen. „Angst, Hass, Titten und der Wetterbericht“, sangen die Ärzte einst über das Erfolgsrezept der Bild-Zeitung. Was die Menschen im weltweiten Wissensnetz in den Jahren seither wirklich suchen und klicken und konsumieren, hat diesen Satz auf bedrückende Art bestätigt.
Überhaupt: Wie jede Revolution hat auch die digitale in der realen Welt Probleme bekommen – und verursacht. Die Gründerväter und ersten Vordenker erträumten das Netz einst als Demokratisierungsmaschine und Hort der freien Meinungsäußerung, als Sprachrohr für zuvor Unterdrückte, als Innovationsmotor.
Geworden ist daraus in vielen Fällen das Gegenteil: Die Wertschöpfung des WWW hat sich auf wenige konzentriert; für die ist es ein Milliardenbusiness fast schon absurden Ausmaßes. Und spätestens die Social Media haben den Traum der angeblich freien Meinungsäußerung entzaubert: Der schräge Soundtrack des Einwahlmodems ist zum Gebrüll der Radikalisierten geworden, das das Netz heute bestimmt.
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