Neue Serie: Ein #MeToo-Fall in 37 Sekunden
Harvey Weinstein, Donald Trump, Till Lindemann ...
Es vergeht kaum noch eine Woche ohne neue Namen, neue Fälle, neue Missbrauchsvorwürfe. Mittlerweile stehen in unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft (machtbesessene) Männer im Fokus, die Frauen sexuell belästigt haben sollen. Nach den öffentlich gemachten Vorwürfen folgt meistens eine total verkorkste und emotional geführte Debatte.
Auf Social Media wird vorschnell geurteilt, kleingeredet und verteidigt. In den Medien wird berichtet, die Betroffenen dementieren, bringen ihre Anwälte in Stellung, die die Aussage des mutmaßlichen Opfers als plumpe Verleumdung darstellt. Der Tatbestand wird verwässert, Opfer-Täter-Umkehr steht im Raum.
Wie so etwas vonstattengehen kann, dokumentiert nun die ARD-Serie „37 Sekunden“, die in sechs Folgen die Geschichte eines sexuellen Übergriffs aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt.
Komplex
Im Mittelpunkt der Serie steht der berühmte Liedermacher Carsten Andersen (Jens Albinus), der sich gerade auf seine neue Tour vorbereitet. Bei seiner Geburtstagsfeier, er feiert seinen 55er, die seine frisch verheiratete Tochter Clara (Emily Cox) und seine Ehefrau Maren für ihn ausrichtet, taucht ein unerwarteter Gast auf: Leonie (Paula Kober), Claras beste Freundin.
Niemand ahnt, dass die talentierte Sängerin nicht nur gekommen ist, um ein Überraschungsständchen zu singen. Die 32-Jährige hat seit Monaten eine Affäre mit dem Künstler, dessen Musik sie seit Kindheitstagen liebt. Obwohl beide wissen, dass es vorbei ist, kommen sie sich abseits der Party wieder näher. Als Leonie jedoch keinen Sex möchte, übergeht Carsten ihr „Nein“ …
Sie stößt ihn weg, sagt: „Ich will das jetzt nicht.“ Er lässt erstmal von ihr, sie hält ihn kurz verunsichert fest. Er reißt sie daraufhin an sich, drückt sie an die Wand, vergewaltigt sie, zieht sich die Hose rauf und gesellt sich wieder zu den anderen Gästen. Etwas später in der Serie, als man den Fall juristisch aufzuarbeiten versucht, muss die junge Frau unglaublicherweise vor Gericht angeben, wie lange der Sex gedauert hat: „37 Sekunden“.
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Emily Cox.
Die von Regisseurin Bettina Oberli inszenierte Geschichte von Autorin Julia Penner wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Das ermöglicht es, den Übergriff aus Sicht des Opfers, sowie der Tochter zu sehen, die als Juristin einen Teil der Verteidigung des Vaters übernimmt und dabei auch nicht vor Verleumdungskampagnen gegen die einst beste Freundin zurückscheut.
Gespielt wird die Tochter von Emily Cox, die hofft, dass sie möglichst viele Menschen sehen werden. „Was ich bei dieser Geschichte und diesem Drehbuch so mag, ist, dass sie ein wahnsinnig komplexes Thema auf eine sehr vielfältige Art und Weise beschreiben, nämlich eben nicht nur schwarz-weiß, sondern sehr differenziert, aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtend. Die Serie stellt unter anderem die Frage: Ab wann ist ein Übergriff ein Übergriff?“, sagt Cox im KURIER-Interview.
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Hellhörig
Die in Wien lebenden Schauspielerin, die eben als Alma Mahler im Kino zu sehen war, meint, dass das eine der anspruchsvollsten Rollen gewesen sei, die sie bislang gespielt habe, „weil meine Figur Dinge tut und Entscheidungen trifft, mit denen ich persönlich nicht übereinstimme. Mir war es aber wichtig, ihre Handlungen zu verstehen“, sagt die 38-Jährige.
Um verstehen und urteilen zu können, haben sich die Schauspielerinnen und Schauspieler im Vorfeld der Dreharbeiten intensiv ausgetauscht. „Wir haben dabei sehr viel diskutiert und uns tatsächlich gemeinsam überlegt, wie die Geschichte enden könnte“, sagt Cox.
Trotz der zahlreichen MeToo-Fälle und Grauslichkeiten, die seit Jahren an die Öffentlichkeit kommen, ist sie zuversichtlich. Denn es haben sich die Rahmenbedingungen am Set bereits geändert. „Was das Thema betrifft, sind die Menschen hellhöriger und aufmerksamer geworden. Es ist auch gut, dass es jetzt Stellen gibt, an die man sich wenden und erst einmal besprechen kann, wie zum Beispiel „we do“ in Österreich.
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