Der mittelgroße Blonde mit der großen Klappe: Aus für "DSDS" mit Bohlen
Müsste man spontan sagen, was Dieter Bohlens eindrücklichste Lebensleistung ist, dann hätte man vor zwanzig Jahren noch gesagt: Modern Talking. Jenes Popkonstrukt mit Nora-Goldkettchen, das es fertigbrachte, aus einer einzigen Songidee ein gutes Dutzend Hits zu zimmern.
2002 änderte sich diese Einschätzung aber schlagartig. Bohlens größter Beitrag zur bundesdeutschen Popkultur ist seitdem, Fäkalsprache im Fernsehen, nun ja, salonfähig gemacht zu haben. Denn als Chefjuror der neuen RTL-Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“ (Kurz: DSDS) hat Bohlen jede Form von Stilbuch ganz weit weggelegt.
Vorbild
„DSDS“ ging 2002 aus der britischen Gesangscastingshow „Pop Idol“ hervor. Der dortige Bohlen war Simon Cowell, der nach zwei Ausgaben seine eigene Show „The X Factor“ startete
20 Staffeln
wird „DSDS“ nach dem geplanten Abschied umfassen. Die Erste gewann Alexander Klaws, noch bekannter als er wurde der drittplatzierte Daniel Küblböck (†). Damals waren im Schnitt 9,5 Mio. Zuseher dabei, in der diesjährigen Staffel waren es nur noch 1,85 Mio.
"DSDS" war Bohlen
Egal, wer seitdem die Liveshows moderiert hat, also Michelle Hunziker, Carsten Spengemann, Tooske Ragas, Nazan Eckes, Raúl Richter, Oliver Geissen, Alexander Klaws oder Marco Schreyl - "DSDS" war immer Dieter Bohlen.
Bohlen, der bei der Bewertung der Gesangstalente eine Klinge führte, die so fein war wie ein Polter-Trupp auf „Malle". In den gefürchteten Castings sagte er einmal: „Bei mir kommen solche Geräusche aus anderen Öffnungen.“
Einer Kandidatin, die „Ich hab die Haare schön“ trällerte, beschied er: „Du hast ne schöne Klatsche!“
Spott war gewissermaßen Bohlens Gemüse - wenn er etwa sagte: „Ich hab' vorhin ein Schnitzel gegessen mit Gurkensalat. Und der Gurkensalat war musikalischer als Du.“
Und dann natürlich das Sch-Wort. Bohlen: „Wisst ihr, was der Unterschied ist zwischen eurer Stimme und 'nem Eimer Sch***e? - Der Eimer.“ - „Für mich kannst du keinen Respekt fürs Schwimmen erwarten. Weil Sch***e schwimmt auch!“
Wenn „Dideeer“ gut aufgelegt war, dann beließ er es bei: „Dein Talent ist null und null ist dann noch aufgerundet.“
Und wenn es ein bisschen gehobener sein sollte, hörte sich das so an: „Ja, dein Talent hat geglänzt. Leider durch Abwesenheit.“
Vorwürfe
Die Kritik an Bohlens Sagern, die wiederholt auch sexuelle Anspielungen enthielten, gipfelte 2007 in einem Prüfverfahren der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) wegen „möglicher sozialethischer Desorientierung von Kindern und Jugendlichen“. Der Vorwurf: Durch eine Identifikationsfigur wie Dieter Bohlen würde antisoziales Verhalten als cool und erfolgversprechend dargestellt. Respektlosigkeit im Umgang sei elementarer Bestandteil der Show.
RTL räumte zwar ein, dass Bohlen Kandidaten in zum Teil grenzwertiger Weise bewerte, betonte allerdings den Drang der Kandidaten zur Selbstdarstellung, diese würden „im Übrigen auch über die redaktionelle Gestaltung ihres Auftritts umfassend aufgeklärt“.
Die KJM entschied dennoch, dass RTL gegen Jugendschutzbestimmungen verstoßen habe, auch durch die Inszenierung der Auftritte einiger Kandidaten. Dem Erfolg der Show tat dies vorerst keinen Abbruch.
Vorbild
„DSDS“ war 2002 aus der britischen Show „Pop Idol“ hervorgegangen. Der dortige Bohlen war Simon Cowell, der nach zwei Ausgaben allerdings seine eigene Show „The X Factor“ startete.
Bohlen blieb RTL aber treu und in der achten Staffel konnte „DSDS“ immer noch einen Schnitt von mehr als sechs Millionen Zuschauer pro Show verzeichnen. In Staffel vier hatte es allerdings einen ersten deutlichen Rückgang gegeben, zumindest in der zweiten Phase der Show, den „Top 20“-Samstags-Liveshows. Das wurde auch auf den Kult um die Castingphase zurückgeführt, die mit ihrem Comedy-Charakter rasch zur Hauptsache geworden sei.
Legendär war an den Liveshows - neben Bohlen - zumindest der absurd lange Spannungsaufbau vor der Verkündung der Televoting-Ergebnisse.
Zweitverwertung
Einige Teilnehmer konnten sich durchaus nachhaltig im Gedächtnis halten, zu nennen sind Alexander Klaws, Mark Medlock, Beatrice Egli, Luca Hänni oder Pietro Lombardi. Wenn es mit der Gesangskarriere nicht klappte, lockte zur Zweitverwertung noch immer das ebenfalls von RTL veranstaltete „Dschungelcamp“ (Stichwort: Menderes).
Wenn Bohlen einmal jemanden wirklich gut fand, dann sagt er es natürlich auch. Manchmal wurde aber eine Drohung daraus: „Wenn ihr die nicht weiterlässt, dann höre ich hier auf bei ‚Deutschland sucht den Superstar‘, ganz ehrlich, dann steh ich hier auf und geh nach Hause.“
Der stets braungebrannte Blondschopf überlebte aber alle in der Jury, selbst "den Wendler". Bis zur 19. Staffel, als RTL - schon von einem Quotenschnitt an der 3-Millionen-Grenze geplagt - die Show radikal umbauen wollte. Plötzlich saß Schlager-Entertainer Florian Silbereisen auf Bohlens Jurysessel. Die Quoten rasselten dieses Jahr unter die 2-Millionen-Schwelle.
Aus Jubiläum wird Abschied
"Wir haben uns verändert, auch Dieter Bohlen hat sich verändert“, sagt RTL-Geschäftsführer Henning Tewes nun zur dpa. Und er fügt hinzu: „Ich denke, die Pause hat beiden Seiten gutgetan“. Bohlen ist nach der einmaligen Pause in Staffel 20 wieder dabei - statt Silbereisen.
Aber die Jubiläumsstaffel wird gleichzeitig zur Abschiedsstaffel. Wie RTL ebenfalls verkündete, soll „DSDS“ 2023 eingestellt werden.
Bohlen "muss einfach sein"
Bohlen selbst sagt: "Wir haben uns ja nie gestritten, das haben immer alle falsch verstanden. Es war eher wie in einer Beziehung, 'ne Menge Missverständnisse." Inhaltliche Auseinandersetzungen seien vollkommen normal. "Jetzt haben wir viel geredet, und ich habe immer gesagt, dass ich gerne 'DSDS' mache und RTL für mich die erste Wahl ist. Daran hat sich nichts geändert." "Deutschland sucht den Superstar" sei für ihn Emotion pur, ein wichtiger Teil seines Lebens. "Bei der letzten Staffel dabei zu sein, das muss einfach so sein.“ Brav werde er auf der Ziellinie aber nicht werden: "Wenn ich nicht der Dieter sein darf, der ich bin, hätte ich nicht zugesagt."
Dann ist aber Schluss. Für den gegenwärtigen Retro-Boom im deutschen Fernsehen ist „DSDS“ also offenbar noch nicht retro genug. Aber das kann ja noch werden, vielleicht in ein paar Jahren? Wenn es dann halt wieder einmal einen Retro-Boom gibt.
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