Bestseller-Verfilmung „Lost in Fuseta": Ein „Alemao“, der alle fordert

Jan Krauter als Leander Lost, der im Pool gestrandete Insekten rettet: Autor Schmidt fand aufgrund eines Fotos auf der Hülle der Castingaufnahme, der passt nicht. Dann sah er Krauter spielen
Unter dem Pseudonym Gil Ribeiro hat Drehbuch-Autor Holger Karsten Schmidt eine Krimi-Reihe kreiert, in der der deutsche Asperger-Autist Leander Lost (Jan Kräuter) in Portugal ermittelt – und sehr viel Menschliches offenlegt. Das erste Buch von bisher fünf ist am Samstag als Zweiteiler in der ARD zu sehen. (20.15)
Wie kam es zur Idee, einen Asperger-Autisten zur Hauptfigur einer Krimi-Reihe zu machen? Im deutschsprachigen Raum ist das doch eine Besonderheit.
Ich war seit dem Film „Rain Man“, in dem Dustin Hoffman Ende der 1980er Jahre einen Asperger-Autisten spielte, fasziniert von dieser Entwicklungsstörung. Insbesondere Insel-Begabungen fand ich spannend. Solche Menschen begegnen einem ja hin und wieder auch in TV-Talkshows. 2014 fragte mich Produzentin Simone Höller, ob ich nicht mal Lust hätte, das Thema aufzugreifen. Und da ich gern in Portugal unterwegs bin, wo eine große Lässigkeit herrscht, dachte ich mir, ich könnte diesen sehr deutsch wirkenden Typen dorthin packen, woraus sich dann auch schön viele Reibungspunkte ergeben können.
Und warum nimmt sich eine Grimme-Preisträger mit Gil Ribeiro ein Pseudonym für eine, mittlerweile, Bestseller-Reihe?
Ich bin als Roman-Autor erst relativ kurz tätig. Es war ein Vorschlag des Verlags und für den wollte ich dann auch eine Begründung haben, weil ich so ein Versteckspiel eigentlich nicht mag. Und es hieß, das diene der Verkaufbarkeit. Dann hat das auch mein Literaturagent unterstützt. Er meinte, ich hätte zuvor unter meinem Namen zwei harte Thriller veröffentlicht - „Die Toten von Marnow“, das ist schon etwas ganz anderes als „Lost in Fuseta“, was wohlfühliger ist, ein leichter Destinationskrimi. Leser wären also irritiert, weil sie mit dem Autoren-Namen etwas anderes verbinden als das, was sie dann in Händen haben. Da ich mich in solchen Fragen nicht als klüger einschätze als die Marketing-Abteilung eines Verlages oder als ein Literatur-Agent, die das seit 40 Jahren machen, habe ich dem schließlich zugestimmt. Aber: es ist ein offenes Pseudonym. Mein Klarname steht in jedem Roman.

Kaum angekommen, geht es für Leander und die neuen Kollegen zum ersten Tatort: Polizeichef Raul Da Silva (Adriano Carvalho, li.), Carlos Esteves (Daniel Christensen), Graciana Rosado (Eva Meckbach) und Leander Lost (Jan Krauter)
Was war und ist ihnen an der Figur des Leander Lost und an seinem Schicksalsweg wichtig?
Zunächst, ich hätte diese Geschichte nie ohne Leander geschrieben. Ich vermittle den Lesern ja etwas, wenn ich unter dem Etikett Krimi, was die Deutschen sehr gern lesen und ansehen, schreibe: Wenn ich einen modernen Western schaffen will, kommt so etwas wie „Mörder auf Amrum“ dabei raus, bei Recht und Gerechtigkeit sind es „Die Toten von Marnow“. Bei „Lost in Fuseta“ geht es um Inklusion und die Einbindung Andersdenkender - es geht darum, dass schräge Typen und solche, die nicht so wie alle anderen sind, etwas beitragen können für die Gesellschaft, wenn man sie lässt.
Was ist das Besondere an Leander Lost für sie?
Mich fasziniert, dass Leander mich beim Schreiben erweitert und man als Autor gezwungen ist zu hinterfragen, was allgemein akzeptiert ist. Zum Beispiel, dass ein Mensch 200-mal am Tag lügt - Leander fragt, warum macht man das eigentlich? Aus dieser kindlichen Neugier ergeben sich Fragen, die stellen manchmal auch die Geduld auf die Probe, aber es erweitert uns auch. Schön finde ich, dass er, der zuvor in der Millionen-Metropole Hamburg von seinen Kollegen verlacht wird, erst in ein 2000-Seelen-Dorf kommen muss, um als Mensch akzeptiert und eingebunden zu werden. Die Portugiesen machen beispielhaft vor, dass man Schwächen tolerieren und dadurch Stärken erkennen kann. Das wollte ich zeigen.
Wie kam es zum Namen Leander Lost?
Ich habe gern kurze Namen, dann muss ich nicht so lange tippen. Er hieß ursprünglich Leander Witt. Der Verlag Kiepenheuer & Witsch meinte zum Titel „Lost in Fuseta“, das klingt so englisch und da werden die Leute nicht zugreifen. Ich meinte aber, wir werden immer internationaler, es gibt Filme wie „Lost in Translation“. Dann kam meine Frau mit ihrer lakonischen, pragmatischen Art und sagte: „Dann nenne ihn halt Lost“. So kam das.

Zwei Außenseiter in passender Strandbekleidung: Leander Lost (Jan Krauter) akzeptiert die Waise Zara (Bianca Nawrath)
Und die Rosados heißen wohl auch nicht zufällig so. Haben sie vielleicht eine Vorliebe für Rose-Weine?
Nein, gar nicht. Die heißen tatsächlich zufällig so. Ich habe beim Schreibtisch eine Pinwand, auf der Zetteln mit gängigen Vor- und Nachnamen hängen und kombiniere die dann. Die schreibe ich auf, wenn ich portugiesische Zeitungen lese.
Was ihre Romane aufwertet, ist die Beschreibung des Lebensgefühls, aber auch, dass man Nebengeräusche mitbekommt, wie etwa das schwierige Verhältnis der Portugiesen zu Spanien durch die Figur des „Pfau“ Miguel Duarte, der auf seine Kollegen herabblickt.
Das ist ja wirklich so, die Spanier strömen über die Grenze und behandeln die Portugiesen, als wären sie die hängengebliebenen ärmlichen Verwandten.
Es ist ein spannender Krimi, der ein brennendes Thema behandelt: den Mangel an Trinkwasser und die Rolle internationaler Konzerne bei Privatisierungen. Wie kamen sie damals darauf – heute, nach diesem Hitze-Sommer, ist es aktueller denn je?
Der Verlag hat glücklicherweise das Potenzial der Geschichte erkannt, was beim Fernsehen nicht so einfach war und hat gesagt: mach. Seit Ende der 1980er Jahre, nach einer Interrail-Reise bin ich immer wieder nach Portugal zurückgekehrt. Mir sind da die Golfplätze aufgefallen, die mit Wasser besprengt wurden, während man die Einheimischen und Touristen angehalten hat, Wasser zu sparen, nicht zu duschen etc. Und dann habe ich begonnen, mich zu erkundigen, wie das so ist mit dem Wasser. Der Film „Bottled Water“ ist da sehr erhellend. Es gibt das u. a. europäische Konzerne, die, etwa in Afrika, den Leuten dort das eigene Trinkwasser, das sie zuvor dort abgepumpt haben, in Plastikflaschen für teures Geld zu verkaufen. Das ist natürlich unfassbar dreist und in meinen Augen kriminell. Es gibt auch schon politische Analysen, die meinen, dass im Lauf des Jahrhunderts erste Kriege ums Trinkwasser geführt werden. Also, Wasser ist ein kostbares Gut und wir verballern das einfach so und dann werden auch noch Geschäfte damit gemacht. Das fand ich so ungeheuerlich und so wurde das auch Thema im Buch.

Bestseller-Autor Schmid: „Mich fasziniert, dass Leander mich beim Schreiben erweitert und man als Autor gezwungen ist zu hinterfragen, was allgemein akzeptiert ist"
Zur Person
Holger Karsten Schmidt (56) ist ein viel beschäftigter und ausgezeichneter Drehbuchautor. Titel u. a.: „Mörder auf Amrum“, „Das weiße Kaninchen“. Als Gil Ribeiro veröffentlicht er die „Lost in Fuseta“-Krimis. Zuletzt: „Einsame Entscheidung“ (Bd. 5)
Zum TV-Zweiteiler
Jan Krauter spielt in den mehrsprachig gedrehten Filmen (Florian Baxmeyer, Regie) den Ermittler, der zwischenmenschlich „lost“ ist, aber ein fotografisches Gedächtnis hat. Mit den neuen Kollegen Graciana (Eva Meckbach) und Carlos (Daniel Christensen) wird der eben eingetroffene „Alemao“, der stets Anzug trägt, zum Mord an einem Privatdetektiv geholt. Losts erste Tat in Portugal: Er schießt Carlos ins Bein
Stand es für sie von vornherein fest, dass das Buch auch zum TV-Film werden soll oder unterscheidet sich das Schreiben dann doch so sehr?
Das ist beim Schreiben ganz anders. Bei einem Roman bin ich völlig frei von jedem Etat-Gedanken. Anders ist das als Drehbuch-Autor, wo man mit der Zeit ja immer mehr darauf gedrillt wird, bei z. B. Schauplätzen aufs Geld zu achten. Wenn ich im Roman einen Außerirdischen haben will, dann gibt es den. Punkt. Im Roman kann ich in die Gefühlswelten meiner Figuren hineinblicken, ich kann Gedanken abbilden – das ist im Film nur umständlich über z B. einen Dialog möglich. Und beim Film hat man 90 Minuten, in die man alles pressen muss und man hat ein Tempo, das für alle Zuschauer gleich ist – ein Buch liest jeder in seinem Tempo. Ein Roman dauert auch, bis er fertig ist, da feilt man viel länger daran – ein Drehbuch ist bis auf die Dialoge vergleichbar mit einer Bedienungsanleitung. Ein Roman ist für einen Autor etwas, mit dem er direkt mit dem Publikum kommuniziert. Da steht jedes Wort, wie es aus mir herauskam. Ein Drehbuch wird bis zuletzt immer wieder verändert…
Wie ging es ihnen als Roman-Autor damit, was sie als Drehbuch-Autor mit ihrem Werk gemacht haben, verdichtet haben?
Das ging deshalb gut, weil ich von vornherein gesagt habe, unter 180 Minuten Sendezeit mache ich das nicht. In einem Zweiteiler kann man das dann schon recht gut abbilden, auch wenn man auf manches verzichten muss. Ich hoffe ja, dass es weitergeht, dann kann man die Feinheiten und Charaktere noch besser herausarbeiten. Ich bin also recht zufrieden damit, was ich einkürzen musste, vielleicht auch, weil ich seit 25 Jahren Drehbücher schreibe und auch schon Adaptionen anderer Bücher vorgenommen habe.

Der Handlanger des Wasser-Abfüllers, Abel Peres (José Fidalgo), nimmt Carlos Esteves (Daniel Christensen, re.) als Geisel, um abhauen zu können. Leander Lost (Jan Krauter, li.) versucht ihn aufzuhalten
Ihre Zufriedenheit mit TV-Redaktionen hält sich, kann man ihrer Homepage entnehmen, hingegen in Grenzen. Sie werfen ihnen vor, dass sie Drehbücher verflachen.
Da muss ich differenzieren. Es gibt Redaktionen, mit denen ich sehr gut arbeite und die meine Stoffe voranbringen, weil sie dramaturgisch geschult sind und sich als konstruktive Geburtshelfer verstehen. Mit denen macht die Arbeit Spaß. Es gibt aber auch andere, die bei der Stoffentwicklung vor allem mit dem Beitragen von Bedenken auffallen.
Wenn sie zum Beispiel unsicher sind, ob die Zuschauer etwas aus dem Kon- oder Subtext heraus ohne Gehhilfe verstehen, neigen sie dazu, dass sie das gerne vom Autor dialogisiert hätten. Übertrieben gesagt: wenn sich in einem meiner Bücher jemand mit dem Hammer auf den Daumen haut, belasse ich es bei einem schmerzverzerrten Gesicht. Und eine unsichere Reaktion hätte dann gerne, dass der derjenige das Offensichtliche auch noch ausspricht: „Ich habe Schmerzen.“
Wenn jetzt in den hundert Szenen eines Films alle Figuren immer aussprechen, was sie gerade denken oder fühlen oder beabsichtigen zu tun, macht das den Film nicht besser, sondern bestenfalls plump.
Waren sie bei den Dreharbeiten in Portugal dabei?
Ich war immer in der Nähe, habe für den nächsten Roman recherchiert und war ein paar Mal am Set und war auch Ansprechpartner für Produktion und Regie. Aber ich bin nicht einer, der am Set steht und auf jedes Wort besteht, das geschrieben wurde und damit den Leuten auf den Keks geht. Am Set entsteht ein eigener kreativer Raum zwischen Regie und den Darstellern. Es gibt also Dinge, die sich nicht wiederfinden im Film und solche, die nicht von mir stammen. Daran kann ich sehen, dass Regisseur Florian Baxmeyer etwas in diesem Raum entwickelt hat, was aber im Ton des Buchs bleibt. Das ist nicht jedem gegeben. Da weiß ich dann, das Baby ist in guten Händen.

Leander Lost (Krauter) sitzt vor seiner Traumfrau Soraia Rosada (Filipa Areosa) und merkt es nicht. Die beiden Schauspieler mussten die Stichworte des jeweils anderen in dessen Sprache lernen
Wurde muttersprachlich gedreht? Es sind auch portugiesische Schauspieler Teil des Casts.
Die Sprache am Set war Englisch, die Kamera war polnisch. Die deutschen Schauspieler haben Deutsch gesprochen, die Portugiesen in ihrer Sprache. Die mussten sich dann von ihrem deutschen Schauspielpartner das deutsche Anschlusswort merken und bei den Deutschen war es umgekehrt. Es war nicht unkompliziert, aber ich glaube, dass es sich gelohnt hat.
Es war ein Projekt, das wegen der Pandemie über Jahre ging.
Jan Krauter musste drei Mal vorsprechen, weil er als Besetzung von Leander Lost schon früh feststand. Dann muss man das Ensemble drumherum casten, damit das zusammenpasst, damit die Chemie im Hauptcast stimmt, aber da hat uns Corona das Leben ziemlich schwer gemacht.
Geht es mit Leander Lost weiter – sowohl als Roman als auch als TV-Produktion?
Im heurigen Frühjahr ist Teil 5, „Einsame Entscheidung“, erschienen. Ich arbeite derzeit an Band 6, es macht mir großen Spaß. Was Fernsehen betrifft, hat die ARD Degeto, ohne die Quoten der Erstausstrahlung abzuwarten, ihr Go gegeben. Das heißt, ich sitze parallel am Drehbuch zu Teil 2, der im Frühjahr in Portugal gedreht werden wird.

Der Schweizer Benedict (Philippe Graber) ist Chef des dubiosen Wasser-Unternehmens Eltsen in Fuseta. Ein Schelm, wer aus dem etwas herausliest
Es laufen Debatten darüber, was darf noch gespielt, geschrieben, gedreht werden, ohne dass es „Anmaßung“ gegenüber Betroffenen ist. Gibt’s da bei ihnen eine Schere im Kopf?
Nein. Notfalls werde ich von irgendwelchen Gleichstellungsbeauftragten der Öffentlich-Rechtlichen zurechtgewiesen werden, wie ich von Kollegen weiß. Im Ernst, ich mach mir da keinen Kopf. Wenn es darum geht, ob nur ein Asperger-Autist einen Asperger-Autisten spielen kann oder darf, dann halte ich das für eine völlig absurde Nummer. Schauspiel ist eine Königsdisziplin, in eine fremde Haut zu schlüpfen und die Rolle so überzeugend zu verkörpern, dass wir Zuseher annehmen, das wäre real, das ist große Kunst. Die Frage ist dann auch, wo ziehen wir die Grenzen? Kann nur mehr ein Mörder einen Mörder spielen? Ein Blinde eine Blinde? Diese Diskussion wird m. E. zu eng geführt. Ich finde es gut, dass man einen Fokus legt etwa auf Menschen mit Behinderung, dass man sie sichtbar macht – aber eben gerade nicht wegen ihrer Behinderung, sondern wegen ihres schauspielerischen Talents. Da dürfte man in allen Departments weiträumiger denken, begonnen beim Drehbuch über die Produktion und die Regie bis hin zum Casting.
Jan Krauter macht als Leander Lost einen guten Job, ohne dass es jemals lächerlich würde. Wie haben Sie ihn gefunden?
Beim Casting saß ich mit meiner Frau zu Hause vor dem Rechner und da bekommt man fünf Kurzfilme von der Castingszene zur Ansicht. Da ist vorn drauf eine Art Passbild des Darstellers, um den es in der Castingszene geht. Ich kannte Jan Krauter gar nicht und ich sagte zu meiner Frau, warum soll ich mir den antun, der sieht doch nicht mal so aus, wie ich Leander Lost geschrieben habe – dunkelhaarig, mit langen Wimpern. Meine Frau meinte, ich solle das jetzt erstmal anschauen. Dann haben wir geguckt und ich habe eine Gänsehaut bekommen. Ich wusste, das ist er, das ist Leander Lost. Ich kann mich vor Jan Krauters Spiel nur verneigen.
Danke für das Gespräch.
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