AntikGemeinsames Filmerlebnis also bei den Festspielen, gemeinsam streamen. Das Publikum kaufte Kino/Opern-Karten für den 2500 Jahre alten antiken Medea-Stoff, die Tragödie von der Kindsmörderin. Regie:
Simon Stone. Kamera: Simon Stone. Es spielen: Elena Stikhina (Médée), Pavel Černoch (Jason), Vitalij Kowaljow (Créon), Rosa Feola (Dircé), Alisa Kolosova (Néris). Filmmusik: Cherubini. Ton: Wiener Philharmoniker. Schnitt: Dirigent Thomas Hengelbrock.
Stone stellt die Geschichte radikal ins Heute. Medea und Jason leben in einem Traumhaus (der Autor glaubt, den Altausseer See erkannt zu haben). Dann will Jason nicht zu einem Konzert der Kinder nach
Salzburg mitkommen, betrügt Medea mit Dircé und wird in flagranti erwischt. Auszug, Streit, Scheidung, neue Wohnung in Salzburg Downtown. Medea muss zurück in den Nahen Osten, wird heimatlos, will die Kinder aber wieder sehen, darf nicht einreisen, weil Jasons Papa, hier ein Minister, das verhindert, dann aber doch erlaubt – die Flüchtlingsthematik bekommt zentrale Bedeutung. Medea ersticht ihre Rivalin und den Ex-Schwiegerpapa und stirbt mit ihren Kindern in einem Auto an der Tankstelle. „Tatort“ Cherubini.
HypermodernStone erzählt all das mit Schwarz-Weiß-Filmen, dann wieder auf einer hypermodernen Bühne mit Brautmodengeschäft, Bordell, Hotel etc. Er stoppt die Oper mehrfach, damit Medea Nachrichten auf dem Anrufbeantworter hinterlassen kann (exzellent gesprochen von Amira Casar). Es gibt nackte Haut und Blut, Champagner und Benzin, Kinder auf einem Hoverboard und einen Riesenscreen für Liveübertragungen mitten auf der Bühne, so nervig wie Fernseher in Restaurants. Aber es bleibt zweieinhalb Stunden – also ein Film mit Überlänge, daher teurere Karten – extrem kalt. Diese Inszenierung berührt nur in wenigen Momenten. Sie bricht die Tragödie auf Klischees herunter und verkleinert sie, vom ersten Moment an ist alles berechenbar. Die leidende Mutter, die inneren Konflikte spürt man kaum.
Film kann eine tolle Ergänzung des Bühnengeschehens sein. Wenn er transportieren muss, was sonst nicht erzählt wird, ist er das falsche Medium. An den Qualitäten von Stone, an seiner Theaterpranke, seinem filmischen Blick, seinen analytischen Fähigkeiten, seiner Gabe der Aktualisierung ändert das nichts. Vielleicht sind die Erwartungen an ihn einfach höher.
Weit unter den Erwartungen blieb auch die musikalische Gestaltung durch die
Wiener Philharmoniker mit Dirigent Thomas Hengelbrock. Dieser versucht zwar, das Werk nicht zu schwer, zu romantisch klingen zu lassen, letztlich fehlt es aber an Dramatik und an feiner Differenzierung. Dieses Orchester könnte das viel besser.
Bei den Sängern ist Elena Stikhina in der Titelpartie die Beste – mit einem ausdrucksstarken, gut geführten, durchaus schon kraftvollen Sopran. Pavel Černochs Tenor ist ebenso slimfit wie seine Anzüge, Vitalij Kowaljows Créon nicht sonderlich markant, Rosa Feolas Dircé fein lyrisch und sicher in der Höhe.
„Médée“, hier in der französischen Version gesungen, wird in dieser musikalischen Realisierung jedenfalls als Werk nicht wichtiger.
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