Markus Hinterhäuser: "Nicht der Türsteher, sondern der Intendant"

Achim Freyer inszeniert Salvatore Sciarrinos "Luci mie traditrici" – hier ein Probenfoto.
Markus Hinterhäuser geht in sein zweites Jahr als Festwochen-Chef. Was sind die Geheimtipps? Welche Fragen sollten endlich ungestellt bleiben? Wie lange wird es das Festival in dieser Form noch geben?

KURIER: Sie haben bei Ihren ersten Festwochen mit Glucks "Orfeo" in der Inszenierung von Romeo Castellucci die intensivste Opernproduktion 2014 herausgebracht. Da spielte eine live zugeschaltete Komapatientin die eigentliche Hauptrolle. So ein Zugang ist natürlich einmalig, nicht wiederholbar. Dennoch: Gibt es bei den Wiener Festwochen 2015 eine ähnlich zentrale Premiere?

Markus Hinterhäuser: "Nicht der Türsteher, sondern der Intendant"
ABD0104_20150430 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA0258 VOM 30.4.2015 - Intendant Markus Hinterhäuser am Donnerstag, 30. April 2015, im Rahmen einer Pressekonferenz der "Wiener Festwochen 2015" in Wien. - FOTO: APA/HANS KLAUS TECHT
Markus Hinterhäuser: Castelluccis "Orfeo"-Inszenierung war eine tiefe Reflexion über das Leben, ein Gebet an die Schönheit und die Würde des Menschen. Das wird es in dieser Form nie wieder geben. Aber die Frage, die sich für uns stellt, ist: Welche Werke lassen sich wie möglichst ideal und wahrhaftig erzählen? Das darf man nicht künstlich herstellen wollen. Was man jedoch herstellen kann, ist eine Idealkonstellation. Und ich glaube, dass wir sie diesmal mit Regisseurin Andrea Breth für Bartóks "Herzog Blaubarts Burg" und Schumanns "Geistervariationen" gefunden haben. Oder mit Achim Freyer für Salvatore Sciarrinos "Luci mie traditrici".

Das sind sehr renommierte Namen. Gibt es auch einen Geheimtipp?

Die Hommage an Mieczysław Weinberg im Musikverein, die ich gemeinsam mit Gidon Kremer programmiert habe und zu der sich jetzt auch noch Martha Argerich dazugesellen wird. Weinberg hat ein riesiges Oeuvre hinterlassen. Was von ihm wirklich gut ist, ist so gut, dass es jedem Vergleich standhält. In seiner Biografie ist auch das politische 20. Jahrhundert abgebildet. Er ist nach dem Einmarsch der Nazis in Polen nach Russland geflohen, kam also von einer Diktatur in die andere. Später dann holte ihn Schostakowitsch nach Moskau und hat sich von Weinbergs Begabung inspirieren lassen. Es ist wichtig, sich mit dieser Persönlichkeit auseinanderzusetzen – auch als Gegenmodell zum wieder schamlos anwachsenden Antisemitismus.

Sie sind bekannt für einen starken Fokus auf die Moderne. Hat das Zeitgenössische bei anderen Festivals den adäquaten Stellenwert?

Ich wäre froh, wenn man mir diese Frage gar nicht stellen müsste. Ich mag auch keine Rechtfertigung mehr vornehmen müssen. Es ist doch keine Frage von Ideologien. Es haben alle künstlerischen Grammatiken miteinander zu tun. Alles, was wir heute hören, ist ein Kontinuum. In der bildenden Kunst wird diese Frage übrigens kaum gestellt, im Theater schon gar nicht. Nur in der Musik ...

Weil so viele Besucher immer noch Vorbehalte haben. Wie erklären Sie sich das?

(denkt lange nach) Die akustische Verwirrung, der wir tagtäglich ausgesetzt sind, weckt vielleicht das Bedürfnis, wenigstens in der Musik noch Harmonie und Wohlklang zu erleben. Sozusagen die Musik als Rückzugsgebiet. Nicht, dass das meine Haltung wäre.

Sie leiten nach diesem Sommer nur noch ein Jahr lang die Festwochen, dann kommt Tomas Zierhofer-Kin als Intendant. Sind das also heuer die vorletzten Festwochen, die dem entsprechen, was man in Wien darunter versteht?

Warum?

Weil Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny gemeint hat, er verlange eine Neuorientierung, weg von Hochglanzproduktionen. Er wünscht sich auch ein Publikum wie beim Donaufestival, sagte er im KURIER.

Was die Zukunft unter Zierhofer-Kin betrifft, steht mir keine Beurteilung zu. Er ist ohne Zweifel viel zu intelligent und erfahren, um nicht zu wissen, wie er die Festwochen positioniert. Was das Publikum betrifft: Ich bin nicht der Türsteher, sondern der Intendant. Ich habe einen Grundrespekt vor allen Menschen, die sich dafür interessieren, was wir machen, und nehme keine Publikumsbeurteilung vor.

Ist der ständige Ruf nach neuem Publikum nicht auch schon ein Klischee?

Die Festwochen haben seit Jahren die Schiene "Into the City". Sie sind immer aus der Innenstadt rausgegangen. Dieser Auftrag ist praktisch ein genetischer Code der Festwochen.

Durch den Abgang Ihrer Schauspielchefin Frie Leysen schon im ersten Jahr haben Sie jedes Jahr einen neuen Verantwortlichen für diesen Bereich, heuer Stefan Schmidtke. Sehen Sie das als Vor- oder als Nachteil?

Die Situation war wirklich unerfreulich, aber wir haben das Beste daraus gemacht. Nun gibt es in drei Jahren drei verschiedene Sichtweisen. Sie zeigen, was Theater sein könnte. Und wie flüchtig alles ist. Im kommenden Jahr ist dann Marina Davidova, eine Kuratorin aus Moskau, für das Schauspiel verantwortlich.

Wenn Sie 2017 Intendant der Salzburger Festspiele werden, übernimmt Bettina Hering den Job der Schauspielchefin. Wie kam es zu dieser Wahl?

Ich habe genau überlegt, wer für diesen Job ideal wäre und wer auch atmosphärisch in den Komplex Salzburger Festspiele passt. Bettina Hering besitzt eine ungeheure Kenntnis und einen feinen Intellekt. Sie ist auch ein sehr positiver Mensch – Optimismus gehört nicht zu meinen herausragenden Charaktereigenschaften.

Sie leiten aktuell die Festwochen und bereiten gleichzeitig schon die ersten Salzburger Jahre vor. Wann schlafen Sie?

Das ist natürlich intensiv und verlangt viel Kraft. Es entspricht auch nicht meinem Selbstverständnis, zwei Dinge gleichzeitig zu machen. Aber das ist ja nur eine Phase in meinem Leben.

So gut wie alle Kulturinstitutionen klagen über Unterdotierung. Sie haben zuletzt die Subventionierung des Musicals kritisiert. Was stört Sie konkret?

Wenn Menschen Freude an Musical haben, soll es mir recht sein. Ich verstehe nur nicht, dass ein vollkommen kommerziell orientiertes Unternehmen Subventionen bekommt. Da gibt es Institutionen, die bedeutend mehr Schutz bräuchten. Subventionen sind ja kein Willkürakt, sie müssten die geistige Infrastruktur eines Landes definieren. Musical sollte sich selbst finanzieren.

In finanziell schwierigen Zeiten scheinen manche große Institutionen auf Nummer sicher gehen zu wollen, um ja nicht Auslastung zu verlieren. Wie beurteilen Sie diese Haltung?

Subventionen bekommt man auch dafür, Risiken einzugehen. Wenn es nur noch um Auslastung geht, sind das bedrückende Parameter. Dann werden diese Institutionen vollkommen anachronistisch. Dann können wir zusperren.

Der Countdown läuft: Am 14. Mai werden die Wiener Festwochen offiziell eröffnet. Allerdings nicht am Rathausplatz (hier bereitet man den Song Contest vor), sondern in Schönbrunn mit dem Sommernachtskonzert der Wiener Philharmoniker unter Dirigent Zubin Mehta und mit Rudolf Buchbinder als Solisten. Ob man 2016 wieder den Rathausplatz bespielt, ließ Intendant Markus Hinterhäuser bei einem Programm-Pressegespräch offen. "Vielleicht überlegen wir uns da auch etwas ganz Neues", so Hinterhäuser.

Gratis-Film

Der Kartenvorverkauf für die heurige Festwochen-Ausgabe laufe prächtig; ab Samstag (2. Mai) sind auch die Tageskassen geöffnet. Hier kann man noch für alle 40 Produktionen Karten erwerben. Neu im Programm ist die Österreich-Premiere des viereinhalbstündigen Films "The Memory of Justice" von Marcel Ophüls über die Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse. Vier Mal wird der Film gratis gezeigt. Der heute 87-jährige Ophüls wird auch zur Wien-Premiere kommen.

In der Proben-Endphase ist bereits Regisseur Achim Freyer angelangt, der heuer als erste Musiktheater-Premiere Salvatore Sciarrinos "Luci mie traditrici" in Szene setzt. Andrea Breth wiederum beginnt erst mit der Proben-Arbeit an Bartóks "Herzig Blaubarts Burg" in Kombination mit Schumanns "Geistervariationen". Als "Geheimtipp" bezeichnet Intendant Hinterhäuser die szenische Deutung von Händels Oratorium "Jephtha" durch die junge Regisseurin Lydia Steier. Auch die "Hommage an Mieczyslaw Weinberg" im Musikverein liegt Hinterhäuser sehr am Herzen.

Königsdramen

Reichhaltig ist auch das Angebot in Sachen Schauspiel. So hat etwa Ewald Palmetshofer "Edward II." von Christopher Marlowe quasi überschrieben; Ivo van Hove widmet sich unter dem Titel "Kings of War" an einem Abend den Shakespeare-Dramen "Henry V.", "Henry VI." und "Richard III.". Frank Castorf setzt mit "Die Brüder Karamasow" seinen Dostojewski-Zyklus fort, Romeo Castellucci präsentiert "Go down, Moses" und Simon Stone inszeniert in Top-Besetzung Ibsens "John Gabriel Borkman".

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