Am Weg ins Fantastische
Das Herzstück des Ausstellungsreigens ist „Wildest Dreams. Jenseits des Impressionismus“ (bis 19. 1.) im nach jahrelanger Generalsanierung erst 2022 wiedereröffneten Königlichen Museum für Schöne Künste (KMSKA).
Es zeigt den von Hieronymus Bosch, Francisco Goya und Auguste Renoir zu besonderen Lichteffekten inspirierten Schöpfer eines ganzen Universums aus wilden Visionen, Fratzen und satirischen Elementen im Kontext mit seinen Zeitgenossen.
Er kultivierte die Übertreibung und verabscheute nichts mehr als Banalität, sagt KMSKA-Kurator Herwig Todts. Nach Ensor müsse Kunst den Betrachter mitreißen, sei Naturalismus die wichtigste Kunstpraxis und Innovation ein Ziel an sich. Schließlich bringe das Ausprobieren verschiedener Stile, Sujets und Genres künstlerische Innovationen und „Ekstase“ hervor.
Im KMSKA hängt Ensor neben Monet, Manet und Munch. Leihgaben aus internationalen Museen wie MoMA und Musée d’Orsay u. a. im Dialog mit Ensors Gemälden illustrieren, wie der Nonkonformist Ende des 19. Jahrhunderts die Malerei von Romantik, schönem Schein und banalem Realismus befreit, die Grenzen der Kunst neu definiert und sagt: „Häufig von Gegenwind getrieben, bin ich in fantastische Regionen gesegelt.“
Der Tod ist ein häufiger Besucher seiner Bilder und als Sensenmann, Mordopfer oder Skelett in vielen Motiven präsent.
Die Druckgrafik
Ein Must-See für Kunstfans ist auch die Schau „Ensors Zustände der Phantasie“ (bis 19. 1.) im Museum Plantin-Moretus, das – ursprünglich Zuhause und Druckerei einer bedeutenden Verlegerfamilie – als einziges Museum auf der Weltkulturerbe-Liste der UNESCO steht. Es erzählt die Geschichte von 300 Jahren Familiengeschichte und Unternehmertum: mit den ältesten Druckerpressen der Welt und von Rubens gemalten Familienporträts.
Die radikale Modernität des flämischen Meisters ist schon in den frühen Experimenten mit Radiertechniken erkennbar. Er selbst sagte: „Ich beherrsche das Handwerk des Radierens überhaupt nicht. Ich zeichne und graviere ordentlich, aber ansonsten überlasse ich alles dem Zufall.“
Die Themen, oft Visionen kaum denkbarer Höllen, irritieren bis heute. Die schwarzhumorigen Bilder kommentieren ebenso kritisch wie spöttisch seine soziale und kulturelle Umgebung und stehen doch in einer Tradition mit Rembrandt, Hieronymus Bosch und Pieter Brueghel dem Älteren.
Inspiration für die Mode
„Maskerade, Make-up & Ensor“ (bis 2. 2.) im ModeMuseum (MoMu) erzählt von den „Malern der Mode“ und befasst sich aus der heutigen Perspektive „mit Ensors Ideen rund um die Maskerade, die (falsche) Koketterie, die Verführung, die Täuschung und das Vergängliche“, sagt die Direktorin Kaat Debo. Handwerkskunst, Haarkünstler, Licht, Farbe, Mode und viel Make-up treffen in der multimedialen Werkschau aufeinander, etwa bei Installationen und Videoarbeiten von Make-up-Artists wie Walter van Beirendonck oder Arbeiten der Irin Genieve Figgis.
Fotoinszenierungen
Das i-Tüpfelchen der Ensor-Hommage ist schließlich die Schau „Cindy Sherman. Anti-Fashion“ (bis 2. 2.) im Fotomuseum (FOMU), die auf die amerikanische Künstlerin fokussiert, u. a. mit Frühwerken aus der Wiener Verbund Collection.
Die Fotografin, berühmt für monströse Verkleidungen, Schminkspiele und schaurige Selbst-Inszenierungen, ist seelenverwandt mit Ensor, der überzeugt war: „Die Zukunft gehört den Einzelgängern!“
Sie kreierte Bilder von Stereotypen über Weiblichkeit: die Hausfrau, die Schauspielerin oder die Diva.
Wie wir sie betrachten sollen? Cindy Sherman: „Mit offenen Augen und offenem Geist.“
Infos: kmska.be/en; www.momu.be; museumplantinmoretus.be/de; fomu.be/en; ensor2024.be
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