MAK-Chef zu Künstlicher Intelligenz: „Ich will das nicht dramatisieren“
Wir befinden uns, sagt der Direktor des Museums für angewandte Kunst (MAK), Christoph Thun-Hohenstein, an einem „sehr problematischen Standort“.
Und das ist noch freundlich ausgedrückt. Während die europäische und insbesondere auch die österreichische Politik in der Hauptsache mit sich selbst beschäftigt ist, entsteht anderswo eine Zukunft, die bei genauerer Ansicht Weichen ins Albtraumhafte stellt. In China werden Menschen rund um die Uhr überwacht – und schon als potenziell gefährlich markiert, wenn sie aufhören (!), ein Smartphone zu verwenden (weil sie dann nicht mehr lückenlos überwacht werden können).
Intimste Details
Das Silicon Valley wiederum macht Ähnliches – aber im Geiste des Geldverdienens: Google etwa protokolliert so gut wie ausnahmslos alle Online-Einkäufe der Amerikaner mit, Facebook weiß intimste Details auch über Menschen, die kein Facebook-Konto haben, und, Überraschung, die Mikrofone („Alexa“ etc.), die sich die Menschen ins Wohnzimmer stellen, hören nicht nur dann mit, wenn sie per Namensaufruf aktiviert werden.
Irgendwann – ob bald oder doch nicht, darüber scheiden sich die Geister – wird Künstliche Intelligenz ganz neue Maßstäbe des Wissens setzen (und den Menschen und die Arbeitswelt dann völlig neu definieren).
Der Standort ist, wirklich, problematisch.
KURIER: Wie kommen wir da wieder raus?
Christoph Thun-Hohenstein: Die Zukunft der Menschheit wird sich an der künstlichen Intelligenz entscheiden. Von unserem Umgang mit diesen Technologien hängt ab, ob es uns in 50 Jahren noch gibt – oder wir als Menschheit, wie wir sie bisher kannten, weg sind. Ich will das nicht dramatisieren. Aber wir müssen uns dessen bewusst sein.
Wir werden da aber gerade sowohl von China als auch den USA abgehängt, Europa spielt da außer durch Gnaden-Technologietransfer aus den USA keine Rolle.
Wir haben eine Chance: Durch klare Ethikregeln für Künstliche Intelligenz. Die EU-Kommission hat das Papier einer Expertengruppe zum Thema vertrauenswürdige Künstliche Intelligenz vorgelegt. Die Frage ist, ob es der EU gelingt, ein überzeugendes europäisches Modell, wie man mit diesen Technologien umgehen muss, zu entwickeln und durchzusetzen. Wir verharmlosen das viel zu sehr. Das ist das neue Nuklear-Thema, daran wird sich unser Schicksal entscheiden, wenn wir die selbstlernenden Maschinen nicht mehr steuern und ihre Entscheidungen nicht nachvollziehen können.
Aber wir nützen die Technologie ja auch gewinnbringend.
Wir alle sind bereits Cyborgs. Ich halte schon die Smartphones für eine Erweiterung unseres Körpers. Es wird aber noch viel intensiver werden. Wir werden in ein paar Jahren die direkte Verbindung zwischen Künstlicher Intelligenz und menschlichem Hirn haben. Den Körper optimieren wir ohnehin laufend, bald mit Gentechnik, Exoskeletten und so weiter. Wie gehen wir damit um, wenn wir den Maschinenanteil an uns ständig steigern? Werden wir durch intensives Erleben virtueller Realität nicht schizophren?
Na hurra.
Wir müssen unsere Zukunft neu erfinden. So, wie sich diese derzeit anbahnt, kommen wir in eine Sackgasse. Wir haben noch ein
bis zwei Jahrzehnte, die Weichen richtig zu stellen. Sonst werden wir in einer Zukunft leben, die wir uns alle nicht wünschen – in einer Verbindung von „1984“ und „Brave New World“, zwischen totalem Überwachungsstaat und Selbstoptimierung.
Was kann man da machen?
Wir brauchen ein neues Wertesystem. Zivilisation ist nicht die Anbetung neuer Technologien, sondern die technologieunterstützte Erneuerung menschlicher Werte. Wir werden die künstliche Intelligenz und das, was mit unseren Körpern passiert, nur mit Werten bewältigen.
Im Moment scheint es eher in zu sein, bestehende Werte, auf die man sich schon geeinigt hatte, abzubauen.Ich bin Optimist. Obwohl derzeit so viel zerschlagen wird, in Amerika und in Europa, was wir eigentlich für gefestigt gehalten haben, gibt es eine Chance: Denn wir begreifen, dass etwas nicht mehr stimmt. Dass wir uns besser aufstellen müssen. Wir werden diese Wertediskussion führen müssen.
Und welche Werte braucht es?
Vor allem Nachhaltigkeit, Gemeinwohlorientierung, Resonanz und Ganzheitlichkeit.
Resonanz?
Die Theorie von Hartmut Rosa besagt, dass das Versprechen der Moderne Resonanz und die Realität Entfremdung ist. Wir sind entfremdet von den Dingen, aber auch von anderen Menschen: Der gesenkte Blick auf das Smartphone ist das beste Beispiel dafür. Es geht aber darum, bewusst zu leben: Wie kann ich jeden Tag möglichst viele „resonante“ Momente haben. Das geht in Gesprächen, bei Kultur, im Gemeinsamen. Oder in der Freude über ein schönes Objekt. Das, wo unser Menschsein drinnensteckt. Und das spricht genau jenen Bereich an, den das Digitale nicht kompensieren kann.
Kürzlich hieß es in einem Artikel, dass Apple-Gründer und iPhone-Erfinder Steve Jobs die Art, wie wir Smartphones verwenden, hassen würde.
Genauso ist es. Wir müssen lernen, dieses Angebot zu bewältigen – und auch darauf zu verzichten, wenn wir es nicht brauchen. Ist es sinnvoll, das Handy so oft zu verwenden? Kann ich diese Zeit besser nützen? Das wird ein Schlüsselwert sein. Wir müssen die Technologien so einsetzen, dass sie uns nicht zu Trotteln machen, sondern wir die Chance haben, Menschen zu bleiben. Und wir müssen den Überwachungskapitalismus abschaffen. Wir nützen die Vienna Biennale, um unter dem Motto „Schöne neue Werte“ dieses Thema groß in den Vordergrund zu rücken – und eine breite Diskussion loszutreten.
INFO: Ausstellungen und mehr
Die vom MAK unter Christoph Thun-Hohenstein initiierte „Vienna Biennale for Change“ hat sich zur Aufgabe gemacht, verschiedenen Disziplinen, die sich mit Zukunftsfragen befassen, eine gemeinsame Bühne zu bieten. Bei der heurigen Ausgabe mit dem Schwerpunkt „Schöne Neue Werte“ wird Didaktisches, Technisches und Künstlerisches in einer dichten, aber überschaubaren Form präsentiert.
Herzstück der Biennale ist das MAK, wo die Schau Uncanny Values (bis 6.10.) einen Überblick über den Stand der Artificial-Intelligence-Debatte liefert. Rund um schulklassentaugliche Poster-Präsentationen sind Kunstwerke versammelt, die die Welt von Sprachassistenten, Datenbanken und Überwachungssystemen teils spielerisch unterlaufen.
Im Kunstblättersaal zeigt die Schau Space and Experience vielversprechende Beispiele einer „Architektur für ein besseres Leben“. Das MAK Design Labor wurde anlässlich der Biennale neu gestaltet, in einem Saal präsentiert das Designteam EOOS Prototypen für nachhaltige Energiegewinnung und Mobilität.
Weitere Ausstellungsorte sind die Kunsthalle Wien, deren Schau Hysterical Mining (bis 6.10.) feministisch-kritische Positionen zum Technologiekult zeigt. Im Angewandte Innovation Lab am Franz-Josefs-Kai 3 findet sich eine Installation, die begreifbar machen soll, wie das Leben 2047 aussehen könnte.
Zu den Ausstellungen gesellen sich noch mehrere Projekt-Präsentationen und Konferenzen, u.a. in der Ottakringer Brauerei, der Seestadt Aspern und dem AZW. Das Programm findet sich auf viennabiennale.org
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