Maja Haderlap eröffnete 38. Bachmann-Preis

Eine Frau in einem roten Kleid steht an einem Rednerpult vor Publikum.
Die Preisträgerin von 2011 hielt bei Eröffnung die traditionelle Rede zur Literatur.

Am Mittwochabend haben in Klagenfurt die "38. Tage der deutschsprachigen Literatur" begonnen. Erstmals wurde die Lesereihenfolge vor der traditionellen Klagenfurter Rede zur Literatur ausgelost. Juryvorsitzender Burkhard Spinnen erinnerte in seinen Grußworten an den im September vergangenen Jahres gestorbenen Marcel Reich-Ranicki, der "letzte der Gründerväter des Wettbewerbs".

Anschließend wurde ausgelost, den ungeliebten Auftakt am Donnerstagvormittag zog Roman Marchel. Nach ihm ist Kerstin Preiwuß dran, es folgen Tobias Sommer, Gertraud Klemm und Olga Flor. Am Freitag beginnt Anne-Kathrin Heier, nach ihr kommen Birgit Pölzl und Senthuran Varatharajah. Den Nachmittag bestreiten die beiden Schweizer Teilnehmer Michael Fehr und Romana Ganzoni. Am Samstag gibt es aufgrund des krankheitsbedingten Ausfalls von Karen Köhler nur drei Lesungen, als erste ist Katharina Gericke an der Reihe, gefolgt von Tex Rubinowitz, den Abschluss macht Georg Petz.

Wegen der Erkrankung Köhlers war überlegt worden, ob man ihr eventuell eine Lesung via Internet ermöglichen könnte. Die Regeln des Wettbewerbs erfordern aber die persönliche Anwesenheit, daher musste diese Variante fallen gelassen werden. Die Vertreter ihres Verlages reagierten spontan und organisierten für Donnerstagnachmittag eine "Solidaritäts-Lesung" für die Autorin. Die Wettbewerbserzählung der Autorin "Il Comandante" wird im Cafe Lendhafen (16.00 Uhr) öffentlich vorgelesen. Es ist ein Auszug aus einem Roman, der im Herbst erscheinen wird.

Die Teilnehmer des 38. Wettlesens

Ein Mann mit lockigem Haar und Bart trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „Hair Pomade“.

Eine Frau mit blauen Augen und braunen Haaren trägt eine schwarze Lederjacke.

Ein Mann mit langen braunen Haaren und einem karierten Hemd lächelt.

Eine Frau mit roten Haaren und einem grauen Schal blickt in die Kamera.

Eine Frau mit Brille und Lederjacke posiert mit den Händen in den Hüften.

Porträt einer Frau mit roten Haaren und blau-grauen Augen.

Eine Frau mit dunklen Haaren blickt nach oben.

Ein Mann mit dunklen Haaren und Bart trägt ein blaues Hemd.

Ein Mann mit lockigem Haar und blau-grauen Augen trägt ein schwarzes Hemd.

Eine Frau mit braunen Haaren und einem roten Hemd mit Flugzeugmuster.

Eine Frau mit blonden Haaren und Brille schaut in die Kamera.

Ein lächelnder Mann mit Brille und gestreiftem T-Shirt schaut zur Seite.

Ein Mann mit langen Haaren und einem grauen T-Shirt blickt in die Kamera.

Haderlap "im Licht der Sprache"

Eine Frau mit lockigem Haar und einem rot gestreiften Blazer spricht.
APA19191998-2_02072014 - KLAGENFURT - ÖSTERREICH: Die österreichische Autorin und Bachmann-Preisträgerin Maja Haderlap am Mittwoch, 02. Juli 2014, im Rahmen der Eröffnung der "38. Tage der Deutschsprachigen Literatur" in Klagenfurt. FOTO: APA/GERT EGGENBERGER
Die Kärntner Autorin Maja Haderlap schloss die Eröffnung mit der traditionellen Klagenfurter Rede zur Literatur ab. Haderlap, diePreisträgerin von 2011, befasste sich in ihrer Rede mit mehrsprachigen Lebenssituationen und das Phänomen des literarischen Sprachwechsels.

Sie wolle versuchen, "von einer Peripherie aus, von der deutsch-slowenischen Sprachgrenze, die für Kärnten prägend ist", darüber nachzudenken. In den vergangenen drei Jahren hätten drei Autorinnen den Bachmann-Preis gewonnen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Ganze Wissenschaftszweige hätten sich dieses Themas angenommen, eine wahre Flut an Etikettierungen versuche das Phänomen zu erfassen. "Fast scheint es, als wären die in eine Sprache eingewanderten Autoren das Produkt einer internationalen Transaktion, herausgerissen aus ihren sozialen, kulturellen, sprachlichen Verankerungen und an neue Sprachufer gespült." Dabei, so die Autorin, könnten die Gründe, die zu einem Sprachwechsel der Autorinnen und Autoren führen würden, unterschiedlicher nicht sein. "Am Ausgangspunkt steht viel zu oft die Flucht vor politischer Verfolgung oder Krieg, die Flucht aus Armut und sozialer Misere, ein Studium, eine neue Arbeit, die Liebe mit ihren nachhaltigen Bindungskräften, eine mehrsprachige Lebenssituation."

Die ständig sich wiederholenden Fragen nach der Identität der Autoren würden aber auch einen Hinweis darauf geben, dass sich hier möglicherweise ein "Wunsch nach Abgrenzung" bemerkbar mache, nach einer Markierung des angestammten literarischen Territoriums. Sie habe fast das Gefühl, sich in einer Ruhe vor dem Sturm zu befinden, "in dem man den dazugekommenen Schriftstellerinnen entgegenrufen möchte, sie sollten sich auf ihre Geschichten und Bemühungen nicht allzu viel einbilden, schließlich gebe es noch die angestammten Autoren, denen die Zuflucht-Sprache eigentlich gehöre."

Sprachwechsel

Ihre Erfahrungen nach dem Gewinn des Bachmann-Preises hätten ihre Einschätzung bestätigt, dass ein Sprachwechsel "ein äußerst schwieriger Prozess ist", notgedrungen verbunden mit kulturellen und persönlichen Konflikten. Haderlap ist slowenischer Muttersprache, ihren Roman "Engel des Vergessens" hat sie auf Deutsch geschrieben. Darüber seien ihr viele Fragen gestellt worden, etwa welcher Kultur sie sich zugehörig fühle. "Die Situationen glichen einer fortdauernden Grenzkontrolle." In Kärnten sei die Sprachfrage noch dazu eine ideologische, politische Kategorie gewesen. Sie habe schon als Kind nicht verstanden, warum es besser sein sollte, einsprachig zu sein. Auf Slowenisch zu schreiben, habe sie in den achtziger Jahren auch deshalb getan, um das Zurückweichen des Slowenischen in Kärnten aufzuhalten. Das Schreiben auf Deutsch wiederum habe schließlich "einen Weg aus der Enge der fortwährenden nationalen und sozialen Zuschreibungen" bedeutet.

Eine Frau hält eine Rede vor einem Publikum.
APA19191920-2_02072014 - KLAGENFURT - ÖSTERREICH: Die österreichische Autorin und Bachmann-Preisträgerin Maja Haderlap am Mittwoch, 02. Juli 2014, im Rahmen der Eröffnung der "38. Tage der Deutschsprachigen Literatur" in Klagenfurt. FOTO: APA/GERT EGGENBERGER
Haderlap ging dann auch auf den Begriff des "Schreiben zwischen den Sprachen" ein. Dies klinge auf den ersten Blick einleuchtend, könne aber das Phänomen nicht erfassen: "Man befindet sich, solange man schreibt, nie außerhalb einer Sprache und ihrer Traditionen." Am Ende zähle aber, wie man mit seinen Identitäten umgehe. An die Stelle von Herkunft und Biografie sollte das literarische Werk treten, denn "es ist der geschriebene Text, der zählt".

Allenthalben geäußerte Thesen, die Sprachwechsel der Autorinnen und Autoren seien Ausdruck der Globalisierung, weist Haderlap zurück. Die Sprache habe ihren Ort, betont sie, der Ausgangspunkt jeder Geschichte liege im Topographischen, ein abgewandeltes Bachmann-Zitat aus der Erzählung "Drei Wege zum See", wo es am Beginn heißt: "Der Ursprung dieser Geschichte liegt im Topographischen."

INFOS und LIVESTREAM: bachmannpreis.eu

Mit Roman Marchel hat am Donnerstag der erste Tag des Wettlesens um den Bachmann-Preis im Klagenfurter ORF-Theater begonnen. Er erntete fast einstimmiges Lob für seine Erzählung. Kerstin Preiwuß hingegen musste teils heftige Kritik einstecken. Den Vormittag beschloss Tobias Sommer, der nicht wirklich überzeugen konnte.

Alter, Pflege und Verlust

In "Die fröhlichen Pferde von Chauvet" des Grazers Roman Marchel geht es um das Altern, um die Pflege und den Verlust von Angehörigen. Mit großer Feinfühligkeit zeichnet der Autor das Bild der alten Hermine Grundner, die für ihren Kater und ihren pflegebedürftigen Ehemann sorgt und das ihrer Tochter, die Ärztin und Witwe ist. Die beiden Frauen sind gleichwertige Protagonistinnen, deren Schicksal eng mit dem Mann bzw. Vater verknüpft ist. Am Ende erstickt Hermine Grundner ihren Mann, der in seinem Bett trotz Spritzen vor Schmerzen schreit.

Die Jurydiskussion verlief ausgesprochen lebhaft, das war auch Hubert Winkels geschuldet, den der Text fatal an Michael Hanekes "Liebe" erinnerte, vor allem im Aufbau und der Dramaturgie, er kritisierte eine "Überinstrumentierung". Er fand bei seinen Kollegen dafür allerdings einhellige Ablehnung. Daniela Strigl befand, die Geschichte sei von Understatement geprägt. Hildegard Keller und Meike Feßmann fanden viel Lob. Juri Steiner stellte fest, es sei eine "grandiose Mutter-Tochter-Geschichte". Arno Dusini, der neue Juror, sah einen "ganz wunderbaren Text".

Nerzfarm als KZ

Kerstin Preiwuß las anschließend eine Erzählung, in der die Protagonistin Angst vor Hunden hat, sich an ihren Vater erinnert, der in der Nazizeit offenbar Funktionär gewesen war. Dieser hatte Nerze gezüchtet, und die Zuhörer erfuhren zahlreiche Details über Haltung, Vermehrung und Tötung dieser Tiere und über die Sorgen und Nöte des Vaters in der ehemaligen DDR.

Strigl sah den Text mit einer Hypothek belastet, "nämlich den NS-Vater", die Nerzfarm sei ein KZ, die Tiere würden vergast, "das ist einfach aufdringlich". Winkels teilte die Bedenken Strigls, Keller wiederum spendete Lob für den virtuosen Umgang mit der Sprache. Feßmann, die Preiwuß vorgeschlagen hat, konnte die Kritik naturgemäß nicht teilen. Dusini sah einen sehr gut aufgebauten Text, er habe aber "schwere Bedenken". Spinnen stieß sich am Bild des "literarischen Nerzes", dessen Funktion im Text ihm nur allzu bekannt sei.

Autor am Finanzamt

Den Vormittag beschloss Tobias Sommer mit dem Text "Steuerstrafakte", in dem ein Autor zum Finanzamt zitiert wird, aber nicht weiß, warum. Er setzt sich auf den Sessel des Finanzbeamten, als dieser den Raum verlässt, um Unterlagen zu kopieren. Es ist eine leichte, lockere, auch selbstironische Erzählung, die das Klima in einer solchen Behörde präzis beschreibt. Was Wunder, ist Sommer doch im Brotberuf Finanzbeamter.

Juri Steiner, der Sommer vorgeschlagen hat, sah eine Doppelfigur, den Prüfer und den Geprüften, die sich mit der Zeit vermischen. Für Feßmann war es eine "Amtsstubenposse", fast eine Art Kasperltheater. Strigl stellte die Frage, warum man sogar bei Kafka lachen könne, bei diesem Text aber nicht. Spinnen ortete eine Reihe von "Unentschiedenheiten" des Autors, er begreife vieles einfach nicht.

Glasklare Wutliteratur und erotische Wiederbegegnung

Mit der Lesung von Gertraud Klemm ist am Donnerstagnachmittag das Wettlesen um den Bachmann-Preis im Klagenfurter ORF-Theater fortgesetzt worden. Ihr Romanauszug "Ujjayi" spaltete die Juroren, wobei das Lob überwog. Den Abschluss des ersten Lesetags machte Olga Flor, die es nach 2003 zum zweiten Mal versuchte. Auch ihr Text wurde kontrovers debattiert, überzeugen konnte sie aber nicht.

Klemms Protagonistin ist die junge Mutter Franziska, die mit ihrer Situation nicht wirklich zurechtkommt, nicht mit ihrem Schreibaby, nicht mit ihrem "patscherten" Ehemann, der schon ein zweites Kind will, obwohl sie noch nicht einmal mit der jetzigen Situation zurechtkommt. Der Haushalt und die Mutterschaft haben sie fest im Griff, lassen sie eine große Wut empfinden. Es ist Muttertag, man geht gemeinsam mit den Eltern essen. Dort trifft sie eine ehemalige Liebe, und eigenartigerweise führt genau diese Begegnung dazu, dass sie jetzt doch wieder schwanger werden will.

Arno Dusini sah einen Text, der von Aggression spreche, auch von Selbstaggression, das Schreiben der Autorin laufe "gegen die Wand". Meike Feßmann las die Geschichte als "Frustrationslabyrinth" der Kleinkinderziehung, die ihr gut gefallen habe. Daniela Strigl meinte, der Text sei "radikal und banal", die Adelung der Banalität durch ihre Dekonstruktion. Hubert Winkels, der Klemm nominiert hatte, lobte, dass das "Räderwerk der Suada" stets sichtbar blieben. Burkhard Spinnen fühlte sich "unangenehm berührt", er habe beim Lesen eine "schwere Anti-Haltung" aufgebaut. Der Duktus sei sehr gut getroffen, aber das reiche nicht. Hildegard Keller konstatierte ein "glasklares Stück Wutliteratur".

Wiederbegegnung

Olga Flors "Unter Platanen" widmet sich ebenfalls einer Wiederbegegnung, diesmal in Lissabon. Die Hauptfigur heißt Sibylle Klein, die bei einer Tagung in der portugiesischen Hauptstadt eine Liebe aus Studentenzeiten wiedertrifft und sich an die wilde Leidenschaft erinnert. Inzwischen ist sie verheiratet und hat zwei Kinder, liebt ihren Mann, die Leidenschaft für den Ex ist aber nach wie vor vorhanden. Sie entscheidet sich aber für ihre Ehe und gegen eine Wiederaufnahme der Beziehung.

"Es ist eine alte Geschichte", so Winkels. Der Text sei ein Romanauszug, per se trage er sich aber nicht. Strigl, die Flor eingeladen hatte, sah in Sibylle eine "Existenz auf des Messers Schneide". Feßmann bemängelte, dass der Text dem Leser überhaupt keinen Freiraum gebe. Keller meinte, der Text sei "fast bruchlos angeschlossen an den Vorgängertext". Überzeugt war sie trotzdem nicht. Juri Steiner meinte, er komme teilweise nicht ganz mit. Dusini schickte voraus, dass er die Autorin sehr schätze, konstatierte aber eine "Wohlstandsprosa". Juryvorsitzender Burkhard Spinnen enthielt sich jeglichen Kommentars.

Das Wettlesen wird am Freitag mit Anne-Kathrin Heier fortgesetzt, nach ihr kommen Birgit Pölzl und Senthuran Varatharajah. Den Nachmittag bestreiten die beiden Schweizer Teilnehmer Michael Fehr und Romana Ganzoni.

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