Lulu verweigert sich

Lulu ist ein mittlerweile zur Unkenntlichkeit verschmierter Mythos. Wer ist diese Frau, die sich der grimmige Dramatiker Frank Wedekind ausgedacht hat, ursprünglich für zwei Stücke, nämlich „Erdgeist“ und „Die Büchse der Pandora“.
Ist sie die moralfreie Verkörperung der Triebhaftigkeit? Oder doch eher die naive, reine Unschuld? Im Stück ist Lulu immer das, was die Männer in ihr sehen wollen: Kindfrau, Hure, Angebetete, Ehefrau. Dass Lulus Leben immer zu Katastrophen führt, liegt mindestens so sehr an einer unmoralischen Umwelt wie an ihr.
Regisseur Elmar Goerden hat bei seiner Inszenierung in den Kammerspielen dem Text und Herrn Wedekind zutiefst misstraut. Das „Feld zwischen uns und Lulu“ wollte er erforschen, sagt Goerden im Programmheft. Im Originaltext wimmle es vor frauenfeindlichen Formulierungen und Stereotypen. Das Textbuch liegt auch gut beleuchtet in einer Glasvitrine, immer wieder wird Bezug darauf genommen: „Das steht so drin.“
Goerden führt für seine Inszenierung eine zweite Ebene ein: Die Figuren werden zu Schauspielern, die miteinander streiten, ihre Figuren verteidigen und den Text kommentieren.
Zweite Ebene
Gleich zu Beginn weigert sich Lulu-Darstellerin Johanna Mahaffy, sich als Modell eines Malers begaffen und begrapschen zu lassen und geht ab. Worauf Joseph Lorenz als Dr. Schön einen wunderbaren Wutanfall spielt und den imaginären Regisseur anbrüllt: „So kann ich nicht arbeiten.“
Der ständige Wechsel zwischen Spiel und Kommentar ermöglicht reizvolle Effekte, macht es aber manchmal schwer, der Handlung zu folgen. Die da wäre:
Lulu ist mit Medizinalrat Goll verheiratet, sie lässt sich aber mit dem Maler Schwarz ein. Als Goll dies sieht, trifft ihn der Schlag. Vom Maler wechselt Lulu bald zu Dr. Schön, Schwarz nimmt sich das Leben. Lulu treibt Schön in den Wahnsinn, er will sie zwingen, sich zu erschießen, sie jedoch tötet ihn. Lulu flieht mit Schöns Sohn Alwa nach Paris. Der Artist Rodrigo erpresst sie und wird beseitigt. Lulu flieht nach London, geht dort auf den Strich und wird von Jack the Ripper getötet.
Johanna Mahaffy brilliert als Lulu- bzw. Johanna-Mahaffy-Darstellerin – ein großartiger Auftritt. Susa Meyer ist toll als lesbische Gräfin Geschwitz, eine der interessantesten Figuren des Textes.
Großartig sind auch Joseph Lorenz, Michael König und Martin Niedermair in wechselnden Rollen.
Am Ende weigert sich Lulu natürlich, sich ermorden zu lassen, und sagt: „Dieser ganze Quatsch – eigentlich ist es ja zum Lachen, denn selbst DER Satz ist nicht von mir.“
Großer Jubel.
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