Bestsellerautorin Caroline Wahl: "Ich sehe, dass Lesen wieder cool ist"

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Caroline Wahl schreibt Bestseller für begeisterte, oft junge Menschen. Ein Gespräch über Erfolg, Schuld, Eltern und ihr neues Buch "Die Assistentin".

Bei Caroline Wahl trägt der Teufel nicht Prada, sondern Jeans, die an den Oberschenkeln zu eng sind.

Mit „Die Assistentin“ ist das neue Buch Wahls erschienen, und die Erfolgsautorin selbst weiß, welche Sätze man Kritikern so mitgeben muss, damit die Essenz zielgenau bei den Leserinnen und -ern ankommt: Die Story rund um die Verlagsassistentin Charlotte Scharf ist „wie im Film ,Der Teufel trägt Prada‘. Nur düsterer. Quasi die auf Arte ausgestrahlte Indie-Variante“, lässt sie ihre Protagonistin selbst sagen, und damit ist das Buch schon ziemlich gut selbst eingeordnet.

Charlotte wird vom erratischen, übergriffigen, dabei manchmal auch charmanten, meist aber überfordert-doofen Verleger schikaniert. Es ist eine Story über Machtmissbrauch, Einsamkeit und Innenwelten. Die mit viel Aufmerksamkeit gelesen werden wird. Denn das dritte Buch Wahls folgt auf den Überbestseller „22 Bahnen“ (mehr als 1 Million Mal verkauft, die Verfilmung läuft kommende Woche in den Kinos an) und „Windstärke 17“. Beides Erfolgsphänomene, für die die Buchwelt hoch dankbar sein darf: Denn bei Wahl ist Lesen heutig, jung, verwundbar und mit Gefühligkeit – Vorsicht, Alte-Leute-Wort – cool.

KURIER: Spüren Sie Druck, diesen stürmischen Erfolg aufrechtzuerhalten? 

Caroline Wahl: Nö. Eher Bock, das aufrechtzuerhalten – und noch was draufzulegen. Ich hatte immer so Probleme mit Druck, ich fand Druck in meinem Leben nie geil. Aber seit ich Autorin bin, macht es einfach Spaß, Herausforderungen anzunehmen. Ich möchte mich mit dem dritten Text neu aufstellen. Zugleich darf man sich nie zu wichtig nehmen. Es ist klar, dass das alles nie einfach so weiterlaufen wird. Ich möchte aber dafür kämpfen, dass es – falls es mal runtergeht – dann wieder hochgeht.

Interessant an Ihrer Karriere ist, dass sich der Buchmarkt zuletzt schwergetan hat mit solchen Erfolgsgeschichten mit jungen Menschen. Dafür ist in der Literatur vieles zu langsam, zu wenig bildhaft. Bei Ihnen aber geht das alles zusammen, Schlag auf Schlag. Wussten Sie das schon vorher?

Nein. Aber ich hatte schon im Hinterkopf, dass ich liefern muss, wenn ich nicht wieder weg sein will. Ich wollte mich nicht für drei Jahre zurückziehen und einen dicken Wälzer schreiben. Sondern zeigen, dass ich Autorin bin und dass mich nicht alle vergessen sollen. Denn Autorin zu sein fühlt sich für mich so richtig an, es ist die erste sinnvolle Tätigkeit für mich und ein Zuhause geworden. Ich möchte, dass mir das nicht so schnell genommen wird.

Auch im Wissen, dass das in der Literatur eine platte Frage ist – in „Die Assistentin“ geht es um Charlotte Scharf, Verlagsmitarbeiterin, geschrieben von Caroline Wahl, Ex-Verlagsmitarbeiterin. Man findet da vieles Biografisches, das Sie in Interviews preisgegeben hatten. Darf man das Buch ein wenig autobiografisch lesen?

Man darf das lesen, wie man will. Und wenn die Menschen Parallelen suchen, dann verbiete ich ihnen das natürlich nicht. Ich weiß aber nicht, ob es die beste Lesart ist. Es ist nicht meine Geschichte, die ich erzähle, kein Einzelschicksal. Dieses Machtmissbrauchsthema ist sehr präsent, nicht nur in der Verlagsbranche, auch in anderen Metiers. Mir geht es darum, ein Schicksal wie das Charlottes aufzuzeigen und erfahrbar zu machen.

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Das ist ja einer der blödesten Aspekte der Arbeitswelt: Junge, talentierte, energetische, meist auch studierte Menschen müssen am Anfang ihrer Karriere etablierten Älteren jahrelang assistieren, anstatt selbst etwas bewegen zu dürfen. Das ist doch bedrückend, oder?

Ja, voll. Es ist so ein veraltetes Bild der älteren Generationen, dass es dazugehört, in der Berufswelt erst mal richtig viel Scheiße zu fressen. Ich denke schon, dass man sich am Anfang der Karriere behaupten muss, dass man seine Bereitschaft signalisieren und auch mal länger arbeiten muss. Aber es gibt klare Grenzen. Es ist vor allem nicht okay, dass junge Frauen dann solchen Chefs ausgesetzt sind.

Wie dem Verleger in Ihrem Buch, der nichts zu können scheint außer reich zu sein?

Ich will ja nicht erzählen, dass nur er der Täter ist. Der Mann ist eine flache Figur, ein Narzisst, der sich selbst im Weg steht. Die vielleicht noch schlimmeren Täter*innen sind eigentlich die in einer Firma Arbeitenden, die einfach zuschauen, wenn in jeder Weise offensichtlich ist, was da passiert. Jeder denkt nur an seinen eigenen Job.

Der Verleger ist übergriffig – und völlig unfähig. Auch das trifft man im echten Leben.

Dieser Mann hat das alleinige Sagen, weil er sich den Verlag kaufen konnte. Und eigentlich macht er einen Kackjob. Am Anfang ist das lustig, auch für mich als Autorin, es gibt ja viele skurrile Szenen. Aber es tut immer mehr weh. Alle freuen sich, wenn er nicht da ist, wenn wichtige Entscheidungen getroffen werden müssen. Aber keiner sagt etwas, alle machen mit bei diesem schlimmen Geschäft. Da müssten auf jeden Fall mehr Kontrollmechanismen her.

Charlotte allein kann sich, wie viele junge Frauen in der Position, nicht aus der Situation holen.

Auch die Erzählerin in meinem Roman fragt: Warum geht sie nicht? Aber sie ist eine junge Frau, die nichts sonst hat, auch sehr einsam ist, keinen Halt bei den Eltern findet. Die sich beweisen will – und dafür auch die Bestätigung durch den Verleger sucht. Es geht darum, was das mit einem jungen Menschen macht, der in so ein System hineingerät. Sie ist keine Heldin, verhält sich auch mal unkollegial, handelt entgegen ihrem moralischen Kompass.

Hat Sie beim Schreiben etwas überrascht an Charlotte? Vielleicht diese Komplizenhaftigkeit mit dem Verleger, die sie immer wieder zeigt?
Ja, und vielleicht am meisten dieser Balanceakt: ihr energetisches Auftreten im Verlag, während ihr Privatleben komplett den Bach runtergeht. Wie sie nachts noch in den Wald rennt, weil sie in ihrer Wohnung nicht klarkommt, weil sie sich zu einsam fühlt. Wie sie den Vermieter nicht anruft, obwohl ihre Heizung nicht funktioniert, und dann morgens im Verlag parat steht und alles regelt.

Die Eltern kommen gar nicht gut weg. Sorgt man sich da, was die eigenen Eltern sagen, wenn sie das lesen?

Die sollen das auf jeden Fall lesen! Die wissen ja, dass das nicht meine Geschichte ist, aber ich finde, das sollten überhaupt möglichst viele Eltern lesen. Denn ganz oft haben Eltern Erwartungen an die Arbeitswelt ihrer Kinder, die nur eben eine völlig andere ist als damals, als sie selbst berufstätig wurden. Meine Mutter hat den Roman schon gelesen, ich zwinge auch meinen Vater dazu, wenn er es nicht tut, muss ich mir ein Ultimatum ausdenken – oder eine Bestrafung (lacht).

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Apropos lesen: Es gibt ja da dauernd Hiobsbotschaften, dass niemand mehr liest. Nur noch 16 Prozent der Amerikaner lesen laut einer neuen Studie zum Vergnügen. Was läuft da falsch?

Das ist so komisch, ich empfinde und beobachte das ganz anders. Ich sehe in den sozialen Medien, dass wieder mehr gelesen wird – und Lesen wieder cool ist. Zu meiner ersten Lesung aus „Die Assistentin“ sind ganz viele junge Menschen gekommen, die für Literatur brennen, auch im Zug sehe ich viele, die ein Buch lesen. Vielleicht achte ich auch mehr darauf, aber ich bin immer irritiert, wenn ich diese Debatten höre.

Positiv interpretiert: Lesen ist für die, die es noch tun, ein Gemeinschaftserlebnis geworden.

Als ich angefangen habe zu lesen, gab es diese Communitys noch nicht. Aber jetzt sehe ich Leser*innen jeden Alters in Buchclubs, die auch hochliterarische Texte lesen. Und natürlich auch viele, die so Romantasyzeugs lesen und sich dann darüber austauschen. Unterhaltungsliteratur profitiert sicher am meisten von Social Media. Aber grundsätzlich habe ich das Gefühl, dass Lesen wieder wichtiger wird. Vielleicht ist das eine absolut egozentrische Wahrnehmung. Es lesen doch alle „22 Bahnen“! (lacht) Ich habe eine Million Leser*innen. Und die gebe ich nicht mehr her.

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