"Le nozze di Figaro": Vorhang zu, und alle Fragen offen
Le nozze di Figaro"-Premiere 2001, letztes Jahr der Intendanz von Gérard Mortier: Christoph Marthaler inszeniert phänomenal in einem heruntergekommenen Standesamt und erfindet den Rezitativisten, der die musikalisch meist heiklen Stellen auf unterschiedlichen Instrumenten, von der Glasorgel bis zum Akkordeon, begleitet. Ein echter Wurf!
"Le nozze di Figaro"-Premiere 2006, Eröffnung des Hauses für Mozart: Nikolaus Harnoncourts fabelhafte Gestaltung ist analytisch, sein "Figaro" kalt und traurig, passend zur Regie von Claus Guth. Und als Sänger sind Stars wie Anna Netrebko, Christine Schäfer oder Franz-Josef Selig (in der kleinen Rolle des Bartolo) zu hören.
Szenenfotos
Warten auf Meilenstein
"Le nozze di Figaro"-Premiere 2015: Keine Rede von tiefgründiger Interpretation, weder szenisch noch musikalisch, auch die Besetzung ist nicht hochkarätig genug. Man hört und sieht eine solide Umsetzung, die in einem Repertoiretheater lange gespielt werden könnte. Aber für das Festival, das weltweit führend im Mozartfach sein sollte, Meilensteine setzen müsste, ist das zu wenig. Das zeigt schon der Vergleich mit den letzten Premieren.
Zugegeben: Es ist eine Crux mit den Werken des Salzburger Meisters. Auf der einen Seite gab es lange den ästhetischen Anspruch, den vollendeten Schönklang eines Riccardo Muti. Auf der anderen den radikalen, alles in Frage stellenden Zugang eines Nikolaus Harnoncourt. Und seither? Viele Dirigenten suchen geradezu dialektisch ein Synthese, mit unterschiedlichen Ergebnissen. Originalklangensembles sind meist erfolgreicher als klassische Symphonieorchester.
Was aber die Festspiele bei diesem Da-Ponte-Zyklus, der nun mit "Figaro" die letzte Premiere hervorbrachte, präsentierten, war keine adäquate Lösung. Nach der Absage von Franz Welser-Möst war Christoph Eschenbach bei "Così" und "Don Giovanni" eingesprungen. Nun stand Dan Ettinger am Pult der Wiener Philharmoniker.
Die Ouvertüre gelang so erfrischend, temporeich, präzise, dass man schon annehmen wollte, das Tief wäre überwunden. In der Folge waren seine Tempi aber schwerfällig und willkürlich, nicht organisch, man vermisste schmerzhaft Transparenz und Flexibilität. Immerhin durfte er vom Hammerklavier aus die Rezitative begleiten, was Philippe Jordan einst in Salzburg noch verweigert worden war. Insgesamt ein musikalisches Festhalten an Klischees und überholten Vorstellungen.
Die sängerischen Leistungen sind um einiges besser, von einem Mozart-Ensemble, das bei jedem Da-Ponte-Zyklus ein Ziel sein muss, kann aber keine Rede sein.
Luca Pisaroni, 2007 und 2009 der Figaro, ist ein erstklassiger Graf, mit noblem Timbre, schönen Phrasierungen, darstellerisch nicht nur der Sonnyboy. Adam Plachetka spielt den Figaro plakativ und gewöhnlich, stimmlich fehlt ihm die profunde Tiefe. Carlos Chausson (Bartolo), Paul Schweinester (Basilio), Franz Supper (Curzio) und Erik Anstine (Antonio) bieten Mittelmaß.
Heikle Besetzungen
Bei den Damen ist Anett Fritsch als Gräfin die beste, all die Facetten dieser Partie kann sie nicht ausloten. Martina Janková ist eine Susanne mit klarer Höhe, aber dünnem Sopran. Sie wäre als Barbarina (seriös gesungen von Christina Gansch) eigentlich besser aufgehoben. Margarita Gritskova fehlen für den Cherubino Spielwitz und stimmliche Ausstrahlung, keine ihrer Arien berührt auch nur im geringsten.
Gut ist die Bühne: Alex Eales ersetzt die Glittenbergs und baute eine Art Setzkasten mit unterschiedlichen Zimmern, vom Gemach der Gräfin bis zum Weinkeller, ins Haus für Mozart. Die Kostüme (Mark Bouman) erinnern an " Downton Abbey".
Regisseur Sven-Eric Bechtolf hat dadurch alle Möglichkeiten für eine Tür-auf-Tür-zu-Komödie, man wünscht sich jedoch oft mehr Ruhe. Seine klassische Inszenierung ist flott, temporeich, teils buchstabengetreu aus dem Libretto entwickelt, aber ohne erkennbaren Anspruch auf neue Zugänge oder heutige Relevanz.
Hinreißend ist der Auftritt von Tristan, Pisaronis Hund. Vielleicht hätte er gleich auch singen sollen.
KURIER-Wertung:
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