KURIER-Analyse Oscars 2025: Im Hollywood der Außenseiter

Sean Baker, Regisseur von „Anora“, bekam vier Oscars überreicht und war eindeutiger Sieger des Abends
Rasch noch den Kaugummi ausgespuckt, dann die Oscar-Dankesrede gehalten: Adrien Brody erhielt für sein tolles Spiel als Holocaust-Überlebender und Amerika-Emigrant in „Der Brutalist“ einen Oscar als bester Schauspieler. Für den Hollywood-Veteranen war dies – nach „Der Pianist“ – sein zweiter Oscar.
Seine ebenfalls lang gediente und für einen Oscar nominierte Kollegin Demi Moore ging in der Kategorie beste Schauspielerin leer aus. Sie hatte in ihrer Comeback-Rolle in „The Substance“ mit Hingabe eine Schauspielerin verkörpert, die aufgrund ihres Alters von der Unterhaltungsindustrie ausgemustert und von einer um vieles jüngeren Frau ersetzt wird. Als an Moores Stelle die 25-jährige Newcomerin Mikey Madison den Hollywood-Höchstpreis für ihre Titelrolle in „Anora“ erhielt, konnte man sich des schalen Gefühls nicht erwehren, dass sich der Plot von „The Substance“ vor aller Augen wiederholte.

Demi Moore ging bei der Preisverleihung leer aus
In jedem Fall bevorzugte die Academy das mitreißende Spiel von Mikey Madison, die als Sexarbeiterin einen russischen Oligarchen-Sohn heiratet und dann von dessen Familie gemobbt wird. Sie erhielt den fünften Oscar für „Anora“, alle anderen vier gingen an Regisseur Sean Baker: Er erhielt Statuetten für besten Film, Regie, Originaldrehbuch und Film-Schnitt.
Sean Baker und Disney
Damit war Sean Baker eindeutig der Sieger der 97. Oscarpreisverleihung und brach mit seinem Vierfachgewinn gleich mehrere Rekorde: Baker ist der Erste, der an einem Abend gleich vier Trophäen für einen Film mit nach Hause schleppen konnte. Das gelang bislang nur Walt Disney im Jahr 1954 – allerdings nicht für einen einzelnen Film, sondern für vier verschiedene.

Oscar für Newcomerin Mikey Madison in „Anora“
Ein weiterer Rekord von Sean Baker besteht darin, dass sein mit sechs Millionen Dollar Low-Budget produzierter „Anora“ die meisten Oscars des Jahres gewann, gleichzeitig aber von den wenigsten Menschen – mit Ausnahme der Corona-Jahre – gesehen wurde. Damit steht „Anora“ diametral einem Studioschwergewicht und Publikumsmagneten, wie es Walt Disney darstellte, gegenüber.
Sieg des Indie-Films
Denn die 97. Oscarpreisverleihung markierte auch den Siegeszug von gesellschaftskritischen Außenseiterfilmen, die von unabhängigen Studios produziert wurden. Dazu zählt neben „Anora“ auch der zweite Gewinner des Abends, Brady Corbets mit drei Oscars ausgezeichnetes Monumentalwerk „Der Brutalist“: Es wurde von dem Independent-Darling A24 produziert. Im Vergleich zu „Anora“ und „Der Brutalist“ nahmen sich die Oscar-Gewinne der Traditionsstudios und ihrer Publikumserfolgsfilme mager aus. Das mit Ariana Grande und Cynthia Erivo hochrangig besetzte Musical „Wicked“ von Universal Pictures und Warner Bros.’ „Dune: Part Two“ mit Timothée Chalamet wurde „nur“ für technische Leistungen wie bestes Kostüm, Produktionsdesign und visuelle Effekte ausgezeichnet. Inwiefern sich das Ungleichgewicht zwischen Erfolgen an den Kinokassen und den Auszeichnungen für avancierte Arthouse-Filme auf die – möglicherweise schwindende – Bedeutung der Oscars auswirken könnte, lässt sich diskutieren. Der kreative Geist des unabhängigen Filmemachens und seine Preiserfolge beweisen aber, dass sich jenseits von Prequels, Sequels und Superhelden aufregende Filmstoffe finden lassen. Spürbar wird in diesen Entscheidungen auch die Öffnung der Wahlberechtigten der Academy hin zu mehr Diversität und Internationalisierung.

Adrien Brody erhielt zweiten Oscar für „Der Brutalist“
Ohne Publikum kein Kino: Nicht nur Sean Baker, auch der Host des Abends, Conan O’Brien rief das Publikum dazu auf, sich von seiner Fernsehcouch zu erheben und das Kino zu besuchen. Insofern nahm sich der getanzte Gala-Tribut an das James-Bond-Franchise und dessen Produzenten Barbara Broccoli und Michael G. Wilson fast als tragisches Lebewohl aus; denn die Familie Broccoli hat die kreative Aufsicht über Bond an den Streamingdienst Amazon übergeben.
Wo bleibt die Politik?
Was politische Inhalte betrifft, müssen die Filme weitgehend für sich selbst sprechen: Sie erzählen von Menschen am Rande der Gesellschaft („Anora“), von Migranten, die in Amerika ihr Glück suchen und Erniedrigung finden („Der Brutalist“), oder von einer Welt, die von faschistoiden Mächten bedroht wird („Wicked“). Die Preis-Gala selbst verlief – abgesehen von ein paar spitzen Bemerkungen seitens O’Briens – weitgehend unpolitisch. Am unverblümtesten äußerte sich das israelisch-palästinensische Filmemacherduo der Doku „No Other Land“, das auf die Situation in ihrer Region hinwies und sich damit Kritik vom israelischen Kulturminister einhandelte.
Der Name Trump fiel während der Preisverleihung kein einziges Mal. Leider wurde auch der exzellente Film „The Apprentice – The Trump Story“, der den skrupellosen Werdegang des derzeitigen US-Präsidenten erzählt, mit keinem Oscar gewürdigt. Eine Preisrede von Sebastian Stan über seine Rolle als junger Trump wäre sehr hörenswert gewesen.
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