Sie hat es erfunden und gemacht: Das KHM zeigt Michaelina Wautier

Agnes und Dorothea waren noch sehr jung, als sie als Märtyrerinnen für das Christentum starben. Die eine, Dorothea, hatte einen Mann bekehrt, der gespottet hatte, das Mädchen solle ihm Blumen und Früchte aus dem Garten ihres Bräutigams – Jesus – bringen. Ein Engel, so erzählt die Legende, soll daraufhin mit einem Korb zur Stelle gewesen sein. Agnes wiederum durchlief grausige Qualen und wurde geköpft, nachdem ihr Feuer nichts anhaben konnte.
Bei Michaelina Wautier sitzen die beiden gemeinsam an einem Tisch, umgeben von ihren Attributen und mit traurigem Blick, so als wüssten sie, was auf sie zukommt.
„Michaelina war einfach viel näher am Leben dran als andere“, schwärmt Katlijne Van der Stighelen. Die belgische Kunsthistorikerin gilt als die „Entdeckerin“ jener Malerin, die nun Gegenstand der großen Herbstausstellung des Kunsthistorischen Museums (KHM) ist: Fast alle bekannten Werke der Künstlerin, die um 1614 geboren wurde und 1689 starb, sind hier vereint.
Die Achse Brüssel-Wien
Wien ist der logische Ort für diese Präsentation, denn Wautiers Hauptwerk, „Der Triumph des Bacchus“, ist seit 1659 in der Sammlung des Erzherzogs Leopold Wilhelm nachweisbar. Dieser war von 1647 bis 1656 Statthalter der Spanischen Niederlande in Brüssel und legte den Grundstein dafür, dass sich heute so viele Werke flämischer Meister wie Rubens, van Dyck oder Jordaens in den KHM-Sammlungen finden.

Dass Michaelina Wautiers Ruf, der zu Lebzeiten respektabel gewesen sein muss, neben diesen Namen derart verblasst ist, hat nichts mit ihren Bildern zu tun: Die strahlen nämlich nicht nur vor Lebendigkeit und handwerklicher Finesse, sondern auch vor Einfallsreichtum.
Dass ihre Werke nicht einfach die zeittypischen Konventionen der Darstellung nachbeteten, muss Wautier bewusst gewesen sein, denn zwei ihrer Gemälde signierte sie mit der Inschrift „Michaelina Wautier invenit et fecit“: Damit erklärte sie, die betreffenden Werke nicht nur gemalt bzw. gemacht („fecit“), sondern auch erfunden zu haben („invenit“). Die Frau, die aus einem Selbstporträt an der Staffelei (1650) blickt, verfügte also zweifellos über einigen Stolz und Statusbewusstsein.

Verzweigte Familie
Wer Michaelina Wautier näherkommen will, landet dennoch bald im Reich der Spekulation, denn die Quellenlage zu ihrer Biografie ist dürftig. Der Umstand, dass ihr Name mehrere Schreibweisen (Vauthier, Wouters ...) kennt und die Künstlerin bisweilen mit ihrer Schwester Magdalena verwechselt wurde, half Kunsthistorikerinnen auch nicht weiter. Zudem pflegte Michaelina eine Art Ateliergemeinschaft mit ihrem Bruder Charles, der ein gefragter Porträtmaler war. Möglicherweise agierte er als ihr Lehrer und nahm sie auf eine Italienreise mit: Details sind unklar.
Detektivgeschichten
Angesichts der vielen Leerstellen ist es dem Museum hoch anzurechnen, dass es Wautier auf ein so prominentes Podest hebt. Kuratorin Gerlinde Gruber inszenierte keine Meistererzählung, eher eine (auch für Kinder gut vermittelte) Detektivgeschichte, die anspricht, was im Halbdunkel bleiben muss. Manchmal ergänzen Objekte die Gemälde sinnvoll – etwa, wenn chinesische Gewänder das Porträt des Jesuiten Martino Martini (1654) flankieren, der den ersten gedruckten Atlas von China herausgab. Nur selten ergibt sich das Gefühl, dass die Schau ihr Material auswalzt – die Längen sind aber teils der Abfolge der Schauräume geschuldet.

Der Hauptsaal räumt aber jeden Zweifel an Wautiers Qualität aus. Zum „Triumph des Bacchus“ kommen hier Werke, die erst kürzlich – befeuert durch eine große Wertsteigerung von Wautier-Bildern am Markt – auftauchten.
In fünf Gemälden verkörpern junge Burschen die fünf Sinne – der „Tastsinn“ hat sich beim Schnitzen in den Finger geschnitten, der „Geruchssinn“ präsentiert ein aufgeschlagenes, offenbar faules Ei und hält sich die Nase zu. Dass die Malerin mit ihren Ideen so nah am Leben war und zugleich in elitäre Sphären stieg, macht ihre Genialität aus: höchst sehenswert.
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