Ausstellung: Hilft Künstliche Intelligenz dabei, Verdrängtes freizulegen?

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Die US-Künstlerin Mimi Onuoha erfuhr von einem Massengrab in ihrem Wohnort – und startete eine Recherche. Die Secession zeigt das Resultat.

„Lasst es mal gut sein.“ „Es ist keine große Sache.“ „Komm drüber hinweg.“

Man kennt solche Sprüche. Sie kommen häufig aus den Mündern von Menschen, die keine Lust haben, sich mit der mühsamen Aufarbeitung des Unrechts und der Grausamkeiten der Vergangenheit zu beschäftigen. Die gern einen „Schlussstrich“ ziehen wollen. In der Souterrain-Galerie der Secession sind solche Sprüche auf leuchtbunte Plastikbänder gedruckt – sie sollen an die Bänder erinnern, die zur Absperrung von Baustellen verwendet werden – oder von Tatorten.

Für die amerikanisch-nigerianische Künstlerin Mimi Onuoha, von der Secession für eine Solo-Schau eingeladen, war eine Baustelle, die sich als Tatort entpuppte, Anlass für eine vielschichtige Recherche, deren Ergebnis nun bis 22. 2. zu sehen ist. Beim Bau einer Schule in der Nähe von Austin/Texas, wo Onuoha lebt, stieß man 2017 auf ein Massengrab: 95 Personen, alle Afroamerikaner, waren dort scheinbar ohne das Wissen der lokalen Bevölkerung verscharrt worden. Es handelte sich um Zwangsarbeiter, die von Plantagenbesitzern aus Gefängnissen der Region „ausgeborgt“ worden waren. Die Praxis des „convict leasing“ war im US-Süden um 1900 gängig – in einer Zeit, in der Sklaverei offiziell abgeschafft war.

Onuoha war klar, dass es auch anderswo in Texas solche Massengräber geben müsse – und sie wollte Künstliche Intelligenz einsetzen, um diese ausfindig zu machen. „Ich fragte mich, was die Menschen als Beweis akzeptieren würden“, sagt sie. Sie wusste, dass schriftliche Quellen und Medienberichte einen schweren Stand haben. „Die Leute vertrauen DNA-Analysen, Knochen – und der scheinbaren Präzision der Technologie.“

Der Film, der im Zentrum von Onuohas Wiener Ausstellung steht, erzählt also vom Versuch, gemeinsam mit einem Statistikexperten ein Machine-Learning-Werkzeug für die Suche nach Massengräbern zu entwickeln.

Einige falsche Fährten

Das Segment sei „Docu-Fiction“, so Onuoha. Tatsächlich legt die Künstlerin einige falsche Fährten und baut unerwartete Wendungen in ihr Werk ein.

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Die 16 Minuten, bei denen man der Künstlerin beim Erstellen von Datensätzen, Zoom-Calls mit ihrem Gegenüber und ergebnislosen Telefonaten mit lokalen Archivaren über die Schulter schaut, kommen jedenfalls kurzweilig und fast leichtfüßig daher, doch auch das entpuppt sich als Trick: Die technikaffine Künstlerin holt ihre Zuseherinnen und Zuseher damit nahe an sich heran, um sie dann mit einigen generellen Erkenntnissen zur Wahrheitsfindung, zur Verdrängung unbequemer Fakten und zu den Limits technischer Modelle zu konfrontieren.

„Je spezifischer ich bin, desto universeller kann ich sein“, sagt sie. Gerade in Österreich, das beim Zudecken und Verdrängen viel Erfahrung hat, geht das Konzept gut auf. „Wir hoffen, dass viele Schulklassen diese Schau sehen“, sagt Secessions-Präsidentin Ramesch Daha. Man kann die Hoffnung nur unterstreichen.

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