Katastrophen mit Kunstanspruch: Julius von Bismarcks Werkschau in Wien

Eine riesige Welle rollt heran. Der Himmel verdunkelt sich. Ein Blitz schlägt ein.
Es sind solche Situationen, die im Menschen unweigerlich Furcht auslösen. Sie sind aber auch in der Lage, intensive sinnliche Erlebnisse zu verursachen. In der Philosophie spricht man von der Ästhetik des Erhabenen, und es gibt zahllose Kunstwerke, die auf dieses schaurig-schöne Empfinden abzielen. Eines der berühmtesten ist vielleicht Caspar David Friedrichs Gemälde „Mönch am Meer“ von 1808/’10.
Doch steht der Mensch der Natur heute gleichermaßen hilflos gegenüber wie der winzig anmutende Mönch in diesem Gemälde? Der deutsche Künstler Julius von Bismarck, der eine Auswahl seiner Werke nun im Kunst Haus Wien (bis 8. 3.) zeigt, hat da zumindest ein paar Fußnoten anzubringen.
Die Wellen peitschen
In einem Video am Beginn der Schau, auf 2011 datiert, ist der Künstler zu sehen, wie er inmitten eines Sturms am Strand von Rio de Janeiro steht und mit einer Peitsche auf das Meer eindrischt. Nicht nur Friedrichs frommer Mönch schlägt hier offenbar zurück, auch der antike Feldherr Xerxes wird herbeizitiert – dieser ließ der Sage nach das Meer, das seine Brücken über die Dardanellen zerstört hatte, mit 300 Peitschenhieben bestrafen.
Die Aktion ist absurd, sie stellt aber doch ein verändertes Menschenbild vor: Der Homo sapiens lässt sich heute nicht mehr von höheren Gewalten lenken oder gar bestrafen. So erscheint es logisch, dass im Raum nebenan jenes Projekt vorgestellt wird, mit dem Bismarck 2016/’17 wie der mythische Prometheus das Feuer vom Himmel holte. In Venezuela ließ er Raketen in Gewitterzellen steigen, die Blitze entluden sich entlang einer leitenden Schnur: Viel Aufwand dafür, dass am Ende eine Handvoll brauchbarer Bilder entstand.

Feuer, Wasser, Blitz
Der 1983 geborene Bismarck ist freilich zu reflektiert, um Beherrschungsfantasien anzuhängen, wie sie heute etwa von Tech-Milliardären gerne gewälzt werden. Lieber bürstet er Vorstellungen einer gebändigten Natur gegen den Strich. „Die große Frage ist ja: Können wir unsere Zukunft ins Positive lenken, indem wir die Kontrolle an uns reißen – oder ist dieser Versuch zum Scheitern verurteilt?“, sagt der Künstler. „Das kann man, finde ich, momentan nicht beantworten.“

Bei seinen Erkundungen sucht der Künstler aber selbst oft Grenzsituationen auf: Ein Werk in der Schau zeigt etwa einen gigantischen Wellenberg; bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass dieser sich bewegt. Bismarck und sein Team wagten sich dafür in einen Seesturm, um 1,5 Sekunden Videomaterial aufzunehmen, die dann ins Endlose gedehnt wurden.
In mancher Hinsicht schließt der Träger eines tolstoihaften Rauschebarts an den Typus des „Gentleman-Explorers“ an, der in früheren Zeiten oft die Fantasien beflügelte – allerdings unter den Vorzeichen eines kolonialen Weltbilds. Auch hier setzt Bismarck reflektierend an: Für das Projekt „Landscape Painting“ (2023) reiste er etwa nach Papua-Neuguinea, wo ein Seestück nach seinem Urururonkel, dem einstigen Reichskanzler Otto von Bismarck (1815–1898), benannt ist. Der Künstler tauchte dort ein auf riesige Tücher gemaltes Schraffurmuster ins Meer – auf dem resultierenden Foto scheint sich eine romantisch-exotische Darstellung des 19. Jahrhunderts dann auf raffinierte Weise mit der Realität zu überlagern.

Die Frage, wie nahe eine solche künstlerische Reflexion an die Gegenwart rücken darf und soll, stellt sich schließlich in einer Serie, für die Bismarck Aufnahmen in jenen Teilen von Los Angeles machte, die von der Feuersbrunst Anfang 2025 zerstört wurden. Dass dies trotz des „Abstands“ von der Medienberichterstattung und dem Einverständnis der Anwohner eine Gratwanderung ist, ist dem Künstler bewusst. Die Bilder sind nämlich leider auf unheimliche Weise schön.
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