Erwachen
„Die Welt in Farben“ zeigt einen Überblick über die Malerei des Nachbarlandes in den Jahren 1848 bis 1918 – einer Zeit also, als Slowenien noch Teil der österreichisch-ungarischen Monarchie war. Dass sich daraus künstlerische und persönliche Beziehungen über die heutigen Grenzen hinweg ergaben, liegt auf der Hand. Die Ausstellungen der Secessions-Vereinigungen in Wien und in München waren auch wichtige Präsentationsflächen für die französischen Impressionisten und für Ausnahmeerscheinungen wie Vincent van Gogh: Künstler wie Ferdo Vesel, Ivan Grohar oder Matija Jama rezipierten deren Werke eifrig.
Eine heutige Perspektive auf diese Zeit begibt sich fast unweigerlich in eine Zwickmühle: Es gilt, die grenzüberschreitende Bedeutung der aufkeimenden Moderne zu würdigen – und zugleich im Blick zu haben, dass die späteren Nationalstaaten die Kunst auch intensiv zur Identitätsfindung nutzten und nach der Ausbildung eines „eigenen“ Stils trachteten.
Doch wo wirklich eine Eigenleistung vorliegt und wo schlicht ein regionaler Dialekt, ist in der Belvedere-Schau stellenweise schwer auseinanderzuhalten. Dass im Auftaktsaal zwei Werke der Biedermeiermaler Jožef Tominc und Pavel Künl gleich neben ungleich brillanteren Belvedere-Sammlungshighlights von Josef Danhauser und Ferdinand Georg Waldmüller zu hängen kommen, legt jedenfalls genau jene Qualitätsstufe zwischen Zentrum und Provinz nahe, die es eigentlich zu hinterfragen gilt.
Nationalfarben
Im Ausstellungstitel „Die Welt in Farbe“ steckt jedenfalls die These, dass ein besonders intensives, strahlkräftiges Kolorit ein Alleinstellungsmerkmal der slowenischen Malerei sei. Entlang der Erzählung begegnet uns die Malerin Ivana Kobicka, die – einer Tina Blau in Wien nicht unähnlich – mit Freiluftszenen aus Parks und Wäldern reüssierte, und Rihard Jakopič, der die Deutschordenskirche von Ljubljana 1902 ähnlich akribisch in Farbbestandteile zerlegte wie der Impressionist Claude Monet seine berühmten Heuhäufen.
Eine Ausstellung der Wiener Secession, die 1903 die hiesige Szene in den Kontakt mit solchen Vorbildern brachte, war ganz offensichtlich ein Wendepunkt – dass drei Gemälde von van Gogh, Monet und dem Symbolisten Giovanni Segantini, die damals in Staatsbesitz und später in die Belvedere-Sammlung gelangten, nun im Zentrum eines Schausaals hängen, ist ein reizvolles Atout. Doch sind die Wachau-Ansichten von Matija Jama, der sich 1910 in Dürnstein niederließ, oder Ivan Grohars an van Gogh angelehntes „Feld von Rafolče“ wirklich „slowenische“ Weiterentwicklungen?
Das weitverbreitete Epigonentum jener Zeit lässt sich wohl ebenso wenig nationalisieren wie der Umgang der Künstlerinnen und Künstler mit Farbe: Es gibt gelungenere Ausformungen des Zeitstils und solche, die ratlos zurücklassen – besonders dort, wo die Farbexplosion ins Konturlose, Verwaschene kippt.
Ihr Rezensent weiß als gebürtiger Kärntner allerdings, dass der Alpen-Adria-Kulturraum seit dem Ersten Weltkrieg viel Willkür, Deutschnationalismus und Zurückdrängung seines slowenischen Sprach- und Kulturerbes ertragen musste. Vor diesem Hintergrund hat die Idee, dass der slowenische Einfluss besonders bunt sein könnte, etwas sehr Verlockendes: Man meint, in den Farbmassen der Ausstellung Vorahnungen späterer Farbkünstler zu erblicken, von den Malern des Nötscher Kreises oder Herbert Boeckl bis hin zu Franz Grabmayr und Maria Lassnig.
Ob derlei wirklich in der Luft der Region liegt? Fraglich. Ein Austausch der Bestände in Slowenien mit jenen in Österreich könnte aber noch viele schöne (Wahl)Verwandtschaften zutage fördern. Wenn es nicht hundert Jahre braucht, bis „Nationalgalerien“ vom Wörtchen „National-“ ein Stück weit heruntersteigen.
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