Kostümbildner Thomas Oláh: „Es geht nie um gutes Aussehen“
In der Jogginghose wird man Thomas Oláh nie antreffen, auch nicht während des Lockdowns. Unbeirrt behält er seinen eleganten Look in Schwarz-Weiß bei, komme, was wolle: Er trägt immer Hemd, Manschettenknöpfe, Jackett und schwarzen Anzug. „Wenn man Kostümbildner ist, schauen die Leute immer darauf, wie man aussieht“, sagt Thomas Oláh, von Beruf Kostümbildner für Theater, Film und Fernsehen, und blickt an sich hinunter: „Ich habe mich von Bildern aus den Filmstudios der 30er-Jahre inspirieren lassen, wo es ganz selbstverständlich ist, dass Regisseure im Anzug arbeiten und die Beleuchter eine Fliege tragen. Turnschuhe kommen für mich nicht infrage.“
So verwegen können die Umstände gar nicht sein, dass Oláh von seinem Outfit abrückt. Regisseur Detlev Buck beispielsweise, für dessen Film „Die Vermessung der Welt“ Oláh die Kostüme entwarf, wartete gespannt darauf, in welchen Klamotten sein Kostümbildner zu den Dreharbeiten im subtropischen Klima von Amazonien auftauchen würde: „Ich habe es durchgezogen und auch dort immer weißes Hemd und schwarze Hose getragen“, grinst der 1966 in Wien geborene Oláh: „Man muss die Umstände ignorieren und die Kleidung mit Würde tragen, dann geht das.“
Kostümanprobe
Thomas Oláh steht in seinem knapp 250 Quadratmeter großen Atelier einer Altbauwohnung im 4. Wiener Gemeindebezirk, die früher auch einmal die Wohnung seiner Familie war. Heute dient ihm das lange Vorzimmer als Laufsteg für seine Kostümanproben.
Der Darsteller oder die Darstellerin, die erstmals ihr neues Kostüm anprobiert, tritt hinter den Flügeltüren des anschließenden Zimmers hervor und marschiert auf einen Spiegel am Ende des Ganges zu: „Die Schauspielerin geht auf den Spiegel zu und wirft einen kritischen Blick auf das, was wir ihr gerade angezogen haben“, erläutert der Designer seine Arbeitsweise: „Ich stehe hinter ihr und schaue gar nicht sie an, sondern gucke ihr über den Spiegel in die Augen. Das ist für mich der spannende Moment, wo ich an ihrem Blick ablesen kann, was das Kostüm, das wir entworfen haben, mit ihr macht: Funktioniert es, hilft es, schlägt es ihr sogar etwas Neues vor, was die Interpretation der Rolle angeht?“
Denn bei einem Kostüm ginge es keineswegs um so oberflächliche Fragen, ob man darin attraktiv wirke oder einem die Farbe stehe: „Es geht nie um gutes Aussehen“, meint Thomas Oláh entschieden: „Es geht immer darum, das Wesen einer Figur darzustellen und den Körper so zu modifizieren, dass etwas Entscheidendes der Rolle visualisiert wird.“
Manchmal kommen da auch Kostüme ins Spiel, die das Publikum selbst gar nicht bewusst wahrnimmt.
Das Korsett, zum Beispiel.
Oláh erinnert sich daran, wie er mit dem Schauspieler Fritz Karl an einer Kostümprobe zu Götz Spielmanns Schnitzler-Verfilmung „Spiel im Morgengrauen“ arbeitete. Karl spielte darin einen schneidigen K.-u.-k-Offizier und sollte eine passende Uniform anlegen. Oláh hatte ihm ein Herrenkorsett vorbereitet, dass gerne von Offizieren unter der Uniform getragen wurde, um eine schmale Taille und eine gute Haltung zu garantieren.
Fritz Karl schnappte zuerst lachend nach Luft und wollte nichts von dem seltsamen Teil wissen. Doch Oláh insistierte, Karl gab nach und machte eine Anprobe. Von da an trug er den gesamten Dreh hindurch sein Herrenkorsett, denn es beeinflusste sein Spiel nachhaltig: Es veränderte die Haltung, etwa die Art, wie er sich zum Tisch setzte, schränkte seine Bewegungen ein und verlieh seiner Rolle eine zusätzliche Note: „So wurde aus dem anfänglichen Widerstand gegen ein Kostüm doch etwas, das der Figur letztlich zugutekam“, resümiert Oláh zufrieden.
Mariahilfer Straße
Ein Kostüm wirkt also immer in zwei Richtungen: Visuell nach außen, indem es eine bestimmte Figur präsentiert, und nach innen, indem es auf den Körper der Darsteller Einfluss nimmt – wie eben Korsetts oder steife Krägen, beispielsweise bei historischen Filmen.
Historische Epochen sind ohnehin Thomas Oláhs Leidenschaft. Am liebsten stattet er geschichtliche Zeitalter aus, für die man möglichst viele Kostüme neu anfertigen muss: „Was mir an zeitgenössischen Produktionen nicht so gut gefällt, ist, dass man aus Budgetgründen gezwungen wird, einkaufen zu gehen. Das beschränkt meine Möglichkeiten. Denn wenn ich auf die Mariahilfer Straße shoppen gehen muss, kann ich nur mit dem operieren, was ich dort finde.“
Nicht so bei Filmstoffen, die in die Vergangenheit oder die Zukunft blicken: „Da kann ich einen eigenen Look erfinden. Natürlich muss alles in sich schlüssig sein. Aber innerhalb dieses Rahmens kann ich mich frei bewegen. Deswegen mache ich am liebsten die Kostüme für historische oder post-apokalyptische Filme.“
Historisch arbeitete Oláh zuletzt an der österreichisch-britischen TV-Koproduktion „Vienna Blood“, die im Wien um 1900 spielt und dessen Hauptfigur, der jüdische Arzt und Freud-Schüler Max Liebermann, bei der Lösung von Kriminalfällen hilft.
Als Inspiration für das Liebermann-Outfit diente Oláh ein Foto von 1906, das einen jungen Mann in Mantel und Hut zeigt. Doch Oláh versuchte nicht, die Kleidung authentisch nachzuschneidern, sondern wandelte die Elemente so ab, dass sie auch unserem heutigen Sinn von Eleganz entsprechen. So trägt der junge Mann auf dem Foto seinen Hut sehr hoch auf dem Kopf, was damals gängig war, heute aber lächerlich wirkt: „Wir haben historische Elemente so kombiniert, dass es auch für uns im Jahr 2021 eine modische Attraktion hat.“
Post-Apokalypse
In die post-apokalyptische Zukunft hat Thomas Oláh kürzlich für Netflix geblickt und dessen düstere Sci-Fi-Serie „Tribes of Europa“ (abrufbar ab 19. Februar) ausgestattet. An die 1.500 Kostüme wurden von ihm entworfen und in einer Werkstatt in Prag in Einzelanfertigungen produziert. Zu Spitzenzeiten nähten rund 20 Schneiderinnen und Schneider, um den Aufwand zu bewältigen.
Oláh steht in seinem Büro vor einem langen Tisch, hinter dem sich eine große Bücherwand auftürmt, und blättert in seinen Entwürfen zu „Tribes of Europa“.
Zu sehen sind unter anderem Zeichnungen einer grausam aussehenden Kämpferin mit Schwert: „Die Figur heißt Varvara und ist die Anführerin eines extrem aggressiven Stammes“, erzählt er fröhlich: „Wir haben nach Texturen gesucht, die das Bedrohliche ihres Tribes visualisieren. Dazu gehören Metall wie Arm- und Beinschienen, Lederriemen und Fell. Was ich an der Arbeit an ,Tribes of Europa‘ so mochte: Man musste alles anfertigen, vom Schmuck, über Schuhe und Kostüme. Es gab nichts, was gekauft wurde. So eine eigene Welt komplett zu kreieren, ist etwas sehr Spannendes.“
Kostümschneiderei
Thomas Oláh, geboren 1966 in Wien, studierte Modedesign an der Angewandten, u. a. bei Vivienne Westwood. Durch die Schneiderwerkstatt seiner Mutter, die er schließlich übernahm, kam er schon früh mit Theaterkostümen in Kontakt
Filmausstattung
Oláh begann als Assistent von Birgit Hutter bei der Produktion der Serie "Der Salzbaron". Zu seinen wichtigsten Filmausstattungen zählen „Die Vermessung der Welt“, „Der Medicus“, „Maximilian - Das Spiel von Macht und Liebe“, „Vienna Blood“ und „Tribes of Europa“
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